Bernard Bolzanos Leben

Bernard Bolzano wurde am 5. Oktober 1781 als viertes von 12 Kindern geboren. Seine Mutter war eine deutschsprachige Pragerin, sein Vater war ein Kaufmann aus der Lombardei, der schon früh nach Böhmen ausgewandert war. Von 1796 bis 1799 studierte Bolzano Philosophie, Mathematik und Physik an der Karls-Universität in Prag. Gegen den Wunsch seines Vaters studierte er von 1800 bis 1804 auch noch Theologie, und zwar mit der Absicht, Priester zu werden. Bolzano konnte seine immer wieder aufkeimenden religiösen Zweifel besänftigen; denn er kam schließlich zur Auffassung, dass eine religiöse Lehre schon dann gerechtfertigt ist, wenn ihre Akzeptanz ein größeres moralisches Gut verspricht als ihre Ablehnung. Im Jahr 1804 richtete Kaiser Franz I. an allen Universitäten und Hochschulen der Monarchie spezielle Lehrstühle für Religionslehre ein. Dahinter stand die Absicht, die Menschen zu „guten Christen und verantwortlichen Bürgern“ zu erziehen und dadurch dem Gedankengut, welches aus der Französischen Revolution herrührte, entgegenzuwirken. Im Jahr 1805 erhielt Bolzano einen Ruf auf einen dieser neuen Lehrstühle, und zwar auf den an der Karls-Universität in Prag. Kurz darauf wurde er zum Priester geweiht und erhielt auch die Doktorwürde. Im Rahmen seiner Pflichten hatte Bolzano die Studierenden in katholischer Religionslehre zu unterrichten und jeden Sonntag durch Predigten – sogenannte „Erbauungsreden“ – zu unterweisen. Diese Aufgaben, die vom Inhaber der Lehrkanzel für Religionslehre zu erfüllen waren, fielen in den Rahmen der sogenannten „philosophischen Studien“, die drei Jahre dauerten und von jedem Studierenden der Universität als Vorbereitung auf sein Fachstudium (in Medizin, Jurisprudenz oder Theologie) zu absolvieren waren.
Bolzano kam diesen Pflichten trotz einiger Krankheiten gewissenhaft bis zum Jahr 1819 nach. In dieser Zeit veröffentlichte er auch bedeutende Werke zur Geometrie sowie zu den Grundlagen der Analysis. Seine Predigten, welche er auch an Feiertagen vortrug, waren sehr gut vorbereitet und äußerst populär. Dies war nicht zuletzt deswegen der Fall, da er – ganz im Gegensatz zu den Zielsetzungen, die vom Staat damit verfolgt wurden, eine liberale, tolerante und aufgeklärte Auffassung vertrat und auch öffentlich kundtat. Diese fortschrittliche Haltung sowie Bolzanos Kritik an dem an den Universitäten verpflichtend vorgeschriebenen Lehrbuch führten dazu, dass er den konservativen Kräften in Kirche und Staat mehr und mehr ein Dorn im Auge war. Nach mehreren offiziellen Untersuchungen wurde er seines Amtes enthoben. Diese Amtsenthebung fiel in die Zeit der stärksten konservativen Reaktion auf liberales und fortschrittliches Gedankengut – nämlich in den „Vormärz“ des Metternichschen Österreichs. Bolzano wurde offiziell für den Rest seines Lebens verboten zu unterrichten und zu predigen. Er durfte auch nichts veröffentlichen, und seine persönliche Post wurde geöffnet und zensiert. Später wurde das Veröffentlichungsverbot etwas gelockert: Bolzano durfte von nun an wieder Werke ohne politischen oder religiösen Inhalt publizieren. Bolzano musste sich von 1821 bis 1825 auch einem kirchlichen Verfahren unterziehen, in dessen Rahmen er seine Auffassungen und deren Vereinbarkeit mit der katholischen Lehre verteidigte. Danach wurde ihm verboten, die Beichte abzunehmen; Messe durfte er hingegen nach wie vor lesen. Bolzanos Amtsenthebung hatte jedoch auch positive Konsequenzen für seine Person und sein Leben: Er hatte nun die Zeit und Energie, sich der Forschung zu widmen, wofür er während seiner Tätigkeit als Lehrer wegen seiner Gewissenhaftigkeit und seines schlechten Gesundheitszustandes nur in geringem Ausmaß Zeit fand. In den Jahren 1823 bis 1830 verbrachte er jeden Sommer am Lande, und zwar in der kleinen Ortschaft Tiechobus, am Gut von Josef und Anna Hoffmann. Im Winter wohnte er im Hause seines Bruders, des Kaufmanns Johann Bolzano. Anna Hoffmann kümmerte sich besonders um Bolzano und seine angeschlagene Gesundheit. Von 1830 bis 1841 blieb Bolzano nunmehr das ganze Jahr über bei den Hoffmanns in Tiechobus. In dieser Zeit erschien anonym das von seinen Schülern herausgegebene 4-bändige Lehrbuch der Religionswissenschaft (1834), und er verfasste sein bedeutendstes Werk, die Wissenschaftslehre, die 1837 in vier Bänden erschien. Bolzano traf sich auch mit einigen seiner früheren Studenten, etwa Michael Josef Fesl und Franz Příhonský, und sie halfen Bolzano, seine Werke im Ausland zu veröffentlichen. Im Jahr 1841 erkrankte Anna Hoffmann; ihre Familie und Bolzano zogen wieder nach Prag, wo Bolzano von nun an bei seinem Bruder lebte. Anna Hoffmann starb im folgenden Jahr. 1841 nahm Bolzano auch wieder seine Tätigkeiten in der Königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften auf. Er wurde zuerst Geschäftsführer verschiedener Sektionen, und von 1842 bis 1843 war er auch Direktor der Gesellschaft. Kurz nach den turbulenten Ereignissen der Märzrevolution des Jahres 1848 in Prag erkrankte Bolzano an einer Erkältung, welche seine ohnehin geschwächten Lungen angriff. Er verstarb am 18. Dezember 1848 und wurde drei Tage danach am Wolschaner Friedhof in Prag begraben. Sein letztes großes Werk, eine umfassende Abhandlung über die Philosophie der Mathematik mit dem Titel Größenlehre, blieb unvollendet.