Wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojekts „open.heart – Familien und PatInnen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“

August 2015 bis November 2017 (gegenwärtig: Publikation der Ergebnisse)

Barrierefreiheit: Kurzbeschreibung des Bildes
Forschungsteam: (v.l.n.r.) Maria-Amancay Jenny, BA Pädagogik; Doris Reithmaier, BA Pädagogik; Dr. Eberhard Raithelhuber, Ass.prof. (main researcher); Kübra Çağlar, Studentin BA Pädagogik; Mag. Hila Kakar (Foto: Kolarik)

Presse & Berichte
Zusammenstellung ausgewählter Ergebnisse

  • Ausgangslage
    Allein reisende jugendliche Flüchtlinge unter 18 Jahren, die in Österreich noch keinen positiven Asylbescheid haben, wurden zu Beginn des Forschungsprojekts (August 2015) und werden bis heute im Land Salzburg bislang fast durchgängig im Rahmen der sogenannten „ Grundversorgung“ in Wohngruppen und Heimen betreut, d.h. außerhalb der regulären Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Gegenüber den etablierten Standards in der Kinder- und Jugendhilfe sind diese sozialen Hilfsangebote in der Regel weit schlechter ausgestattet. Auch werden diese Jugendlichen, die meist als „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (umF) bezeichnet werden, bislang generell nicht in Pflegefamilien untergebracht. Vor allem die Volljährigkeit wird so für viele zu einem kritischen Moment und Übergang: Ihr Status ändert sich meist radikal. Sie müssen die Einrichtungen meist verlassen, oft ohne Anschlussperspektiven. Sie sehen sich in ihrer Lebensgestaltung Herausforderungen gegenüber, für die sie nicht vorbereitet sind und mit denen sie alleine gelassen werden.

  • Diese meist männlichen Jugendlichen, die bspw. aus Kriegs- und Krisengebieten in Afghanistan, Syrien oder Somalia stammen, befinden sich in einer mehrfach prekären Lage (aktuelle Zahlen und weitere Infos zu umF finden Sie  hier). Verantwortlich dafür sind nicht nur ihre Lebenssituation im Herkunftsland und ihre Migrations- und Fluchterfahrung, sondern auch, wie sie im Ankunftsland behandelt werden. Denn in Österreich werden mehrfach nationale, europäische und internationale Verpflichtungen gebrochen, wie bspw. die  UN-Kinderrechtskonvention. Einschlägige fachliche Standards im Umgang mit Kindern und Jugendlichen in Not- und Problemsituationen werden unterlaufen, wie bspw. das  Positionspapier der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs vom Juni 2015 darlegt.
  • Entwicklung in der Fachpraxis / Forschungsbedarf:
    Im Rahmen des  Pilotprojekts open.heart der  Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg erhielten allein reisende jugendliche Flüchtlinge unter 18 Jahren ab Herbst/Winter 2015 erwachsene MentorInnen. Außerdem sollte es einigen mittelfristig ermöglicht werden, von den betreuten WGs und  Heimen der Grundversorgung in Familien überzusiedeln. Längerfristig sollten mit dem Vorhaben die Lebensbedingungen für „ unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (umF) in Österreich strukturell verbessert werden. Das Pilotvorhaben wurde dabei von der Universität Salzburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft, AG Sozialpädagogik, unter Leitung von Assistenzprofessor Dr. Eberhard Raithelhuber wissenschaftlich begleitet. In der Fachdebatte werden Mentorenschaften und Patenschaften für jugendliche Flüchtlinge ebenso wie die Unterbringung in Familien hohe positive Wirksamkeit zugesprochen. Es liegen allerdings nicht nur für Österreich, sondern weltweit noch kaum umfassende, grundlegende Erkenntnisse zu diesem Phänomen vor.
  • Forschungsfragen:
    Die wissenschaftliche Begleitforschung fragte danach, welche Bedeutung solchen Formen der  Mentorenschaft und der familienähnlichen Lebensverhältnisse für die verschiedenen Beteiligten („PatInnen“, „Gastfamilien“, „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“) entwickeln, bspw. im Kontext von Übergängen im Lebenslauf. Gleichzeitig wurde in den Blick genommen, was in den verschiedenen sozialen Begegnungen im Pilotprojekt interaktiv hergestellt wurde – bspw. in Ausbildung und Fortbildung der „PatInnen“.
  • Beitrag zum Wissensgewinn / Ergebnisverwertung:
    Die Forschungsergebnisse dienten zum einen dazu, das Pilotvorhaben auf der praktischen Gestaltungsebene zu reflektieren. Entsprechend enthält der Abschlussprojektbericht, der dem Projektträger im November 2017 übergeben wurde, fachliche, fachpolitische und sozialpolitische Handlungsempfehlungen. Aus der wissenschaftlichen Begleitung im engeren Sinne heraus wurden zum anderen offene Fragen zur Mentorenschaften und Pflegefamilien für allein reisende jugendliche Flüchtlinge in der Grundlagenforschung bearbeitet.
  • Methode und Design:
    Die Datenerhebung und -auswertung des qualitativ ausgerichteten Forschungsprojekts erfolgte in einem zweifachen methodischen Zugriff auf diese sozialen Wirklichkeiten: Zum einen wurden mittels narrativer Methoden biographische Konstruktionen in den Blick genommen. Zum anderen dienten ethnographische Zugänge wie bspw. die teilnehmende Beobachtung dazu, Aushandlungsprozesse, organisationale Rahmungen und situative Momente zu untersuchen. Von besonderer Bedeutung für die Forschung war dabei die Rekonstruktion von längeren Verläufen und Prozessen. Daher sollten bspw. Interviewdaten mit den gleichen Personen ebenso wie Daten der teilnehmenden Beobachtung zu mehreren Zeitpunkten erhoben.
  • Weiterführung der Forschung
    Die Prozessperspektive auf die Herstellung sozialer Wirklichkeiten in den Patenschaften zwischen „einheimischem/r Erwachsenen“ und „Jugendlichem“ konnte im Kernprojekt (8/2015 bis 11/2017) ansatzweise eingelöst werden. So wurden etliche „PatInnen“ zu zwei Zeitpunkten im Rahmen halbstandardisierter Interviews befragt (t1 als bereits „ausgebildete PatInnen“ vor dem Kennenlernen „ihres“ Jugendlichen“ und t2 nach einigen Monaten der Patenschaft). In den Interviews zeigte sich, dass sich die Perspektive der „PatInnen“ auf „ihren“ Jugendlichen und auf sich selbst teils stark veränderte. So treten Kategorisierungsmuster und v.a. funktionale Verständnisse der „Aufgabe“ als PatIn im Laufe der Zeit hinter dem Erleben einer persönlichen Beziehung zurück. Aufgrund der bislang wenig erforschten Perspektive auf die „PatInnen“ in Mentoringprogrammen für Jugendliche – insbesondere im Kontext von Flucht bzw. Asylstatus – werden nun im Folgeprojekt MENTORIAL alle „PatInnen“ (ca. 15 Personen) noch einmal in narrativen Interviews zu ihrer Perspektive auf die Patenschaft befragt, ca. 1,5 Jahre, nachdem sie die Patenschaft aufgenommen haben. Das Folgeprojekt wird unter der Leitung von Ass.-Prof. Eberhard Raithelhuber und Mitarbeit von Amancay Jenny durchgeführt.
  • Literatur:

     Literaturliste der „UMF – Arbeitsgruppe unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ in der asylkoordination österreich

    Ahrens, K. R., DuBois, D. L., Garrison, M., Spencer, R., Richardson, L. P., & Lozano, P. (2011). Qualitative exploration of relationships with important non-parental adults in the lives of youth in foster care. Children and Youth Services Review, 33, 1012–1023.

    Alazar, T., Kleinekathöfer, E., & Tietje, I. (2014). Flüchtlinge durch Mentor/inn/en unterstützen! In M. Gag (Ed.), Bildung in Umbruchsgesellschaften: Vol. 10. Inklusion auf Raten. Zur Teilhabe von Flüchtlingen an Ausbildung und Arbeit (pp. 246–266). Münster [u.a.]: Waxmann.

    International Organization for Migration (IOM) (Ed.). (2013). Children on the Move. Geneva: International Organization for Migration (IOM).  LINK

    Nidos, SALAR, & CHTB. (2015). RECEPTION AND LIVING IN FAMILIES. Overview of family-based reception for unaccompanied minors in the EU Member States. Utrecht: Stichting Nidos.  LINK

    Orgocka. A. & C. Clark-Kazak (Eds.), Independent Child Migration – Insights Into Agency, Vulnerability, And Structure (pp. 1–11). San Francisco: Jossey-Bass.

    Swiss Foundation of the International Social Service. (2015). Separated Children Handbook: From identification to the search for a durable solution A Practical Guide for Professionals (2nd Edition). Genève: Swiss Foundation of the International Social Service (ISS).  LINK

    Trifonov, K. (2014). Die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Österreich. soziales_kapital – wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit, (12), 47–55.

    United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), & Council of Europe. (2014). Unaccompanied and separated asylum-seeking and refugee children turning eighteen: What to celebrate? Strasbourg: UNHCR.  LINK

    Wade, J., Sirriyeh, A., Kohli, R., & Simmonds, J. (2012). Fostering unaccompanied asylum-seeking young people Research study. Creating a family life across ‘a world of difference’. London: British Association for Adoption & Fostering.  LINK short report