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COVID-19. WIE MAN DIE DRAMATIK DES EXPONENTIELLEN WACHSTUMS VERSTÄNDLICH VERMITTELT

Einschätzungen zur Ausbreitung der Covid-19 Pandemie scheitern oft daran, dass die Charakteristika exponentiellen Wachstums nicht intuitiv verstanden werden und die Dramatik der exponentiellen Ausbreitung in den gängigen Grafiken auch nicht erfassbar ist. Ein Team um die Salzburger Psychologen Florian Hutzler und Stefan Hawelka konnte in einer am 28. April 2021 erschienenen Publikation zeigen, dass logarithmisch-skalierte Grafiken die Wachstumsdynamik verständlich abbilden können. Dieser Forschungsbefund ist hoch relevant, vor allem um frühe Phasen exponentiellen Wachstums und den Beginn einer weiteren Welle der Epidemie schnell und effizient zu kommunizieren.

Wir Menschen unterschätzen das nahezu explosionsartige Wachstum exponentieller Funktionen dramatisch, ohne diese Fehleinschätzung zu erkennen, stellen Psychologen fest. Im Gegenteil, wir sind fest davon überzeugt, mit unserer intuitiven (falschen) Statistik richtig zu liegen, nach der sich die Zukunft wie in einem Strahl linear fortsetzt.

Wachstum der Pandemie häufig unterschätzt

Daher wurde und wird das Wachstum der COVID-19 Pandemie häufig unterschätzt – durch die Öffentlichkeit genauso wie durch politische Entscheidungsträger*innen. „Die menschliche Tendenz, exponentielles Wachstum massiv zu unterschätzen, ist unabhängig von der mathematischen Begabung oder der Erfahrung des Einzelnen” sagt Florian Hutzler, Erstautor der Studie „und die linear-skalierten Grafiken, mit denen Epidemie-Daten meist in den Medien vermittelt werden, helfen nicht, unsere Fehleinschätzung zu korrigieren.” Exponentielle Wachstumsprozesse sind Prozesse, in welchen die Zunahme immer proportional zum jeweiligen Bestand ist. Standardbeispiel: Zinsen bei der Bank, der Zinssatz bezieht sich auf das aktuelle (stetig anwachsende) Kapital.

Publikation in der Fachzeitschrift Open Science der Royal Society

Florian Hutzler, Stefan Hawelka und ihr Team von der Universität Salzburg konnten in einer am 28.4.2021 erschienenen Publikation in der Fachzeitschrift Open Science der Royal Society zeigen, dass logarithmisch-skalierte Grafiken (obwohl als solche weniger vertraut) es uns erlauben, den Verlauf eines COVID-19-typischen, exponentiellen Wachstums nahezu perfekt zu veranschaulichen.

Dafür legten die Forscher 122 Versuchspersonen Abbildungen vor, auf denen die Ausbreitung einer hypothetischen Epidemie für die ersten 20 Tage dargestellt war. Die Versuchspersonen mussten abschätzen, wie viele Personen nach 30 Tagen infiziert sein würden. Für die eine Hälfte der Abbildungen wurde die gewohnte lineare Darstellung gewählt – d.h. die Fallzahlen wurden in gleichbleibenden Schritten von 1000, 2000, 3000 größer. Für die andere Hälfte der Abbildungen wurde eine logarithmische Darstellung gewählt in denen die Fallzahlen in einem ersten Schritt um 10, dann um 100 und weiter um 1000 zunehmen. “Der Clou dabei ist, dass in der logarithmischen Grafik aus der für uns nicht greifbaren Exponentialfunktion eine gerade Linie wird. Der Anstieg wird damit deutlich sichtbar“, so die Forscher „und obwohl die logarithmische Darstellung für die meisten Personen unvertraut ist, können sie doch geistig die gerade Linie fortsetzen – und kommen hiermit zu ziemlich zielsicheren Vorhersagen.”

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Grafik Wachstumsdynamik Covid-19

Erklärung der Abbildung

In der oberen, linearen Grafik ist das explosionsartige Wachstum einer Epidemie aus den Zahlen der ersten 20 Tage nicht erkennbar. Nur auf ihre Intuition angewiesen werden Expert*innen sowie Laien das tatsächliche Ausmaß an Neuinfektionen am 30. Tag massiv unterschätzen.

Anders wirken die gleichen Daten in der unteren Abbildung. Die logarithmische Darstellung der Hoch-Achse ist uns zwar unvertraut – dieser Nachteil wird allerdings dadurch aufgehoben, dass aus der ansonsten schwer greifbaren Exponentialfunktion eine gerade Linie wird. Und diese können wir geistig leicht fortsetzen und können, selbst als Laien, das Ausmaß der Neuinfektionen richtig einschätzen. (Grafik: © Florian Hutzler)

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Dieser Forschungsbefund ist besonders wichtig, um frühe Phasen exponentiellen Wachstums und den Beginn einer weiteren Welle der Epidemie schnell und effizient zu kommunizieren. Denn wie die zweite Welle in Österreich im November 2020 gezeigt hat, ist einsetzendes exponentielles Wachstum zu Beginn schwer zu erkennen. „Und wenn wir es dann erkennen, sind wir bereits mitten in einer Wachstumsdynamik, die sich nur mehr unter großen Anstrengungen stoppen lässt“, so Hutzler.

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Publikation

Florian Hutzler, Fabio Richlan, Michael Christian Leitner, Sarah Schuster, Mario Braun und Stefan Hawelka: Anticipating trajectories of exponential growth. In Royal Society Open Science.  https://doi.org/10.1098/rsos.201574

Weitere Informationen:  ccns.sbg.ac.at/people/hutzler

v.l.n.r. Stefan Hawelka, Florian Hutzler(

Univ.-Prof. Mag. Dr. Florian Hutzler

Coordinator Centre for Cognitive Neuroscience

Paris Lodron Universität Salzburg I Fachbereich Psychologie & Centre for Cognitive Neuroscience

Hellbrunnerstraße 34 | A-5020 Salzburg

Tel: +43 662 8044 5114

E-Mail an Univ.-Prof. Mag. Dr. Florian Hutzler

v.l.n.r. Stefan Hawelka, Florian Hutzler I Foto: © Luigi Caputo