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DAS RECHT AUF PRIVATSPHÄRE

Was genau ist das Recht auf Privatsphäre und wie wichtig ist es? In seinem derzeitigen Forschungsprojekt beschäftigt sich der Philosoph Leonhard Menges mit der Entwicklung einer Theorie, die bei konkreten Fragen der informationellen Privatsphäre Orientierung geben soll.

Die Enthüllungen  Edward Snowdens haben gezeigt, dass US-amerikanische und britische Geheimdienste Zugriff auf private Daten von vielen Millionen Internetnutzer*innen hatten. Das Unternehmen  Cambridge Analytica hat Informationen von 87 Millionen Facebookkund*innen genutzt – meist ohne ihre Einwilligung einzuholen -, um politische Kampagnen durchzuführen, die auf ihre Persönlichkeitsprofile abgestimmt waren. Das  Sozialkreditsystem in China verwendet unter anderem Gesichtserkennungssoftware, um Menschen mit geringer Punktzahl auf der Straße zu identifizieren und die Öffentlichkeit auf großen Bildschirmen darauf hinzuweisen, dass sie sich in der Nähe befinden.

Philosophische Ethik auf der Suche nach Antworten

Viele Menschen, die sich diese Entwicklungen der vergangenen Jahre bewusstmachen, haben den Eindruck, dass hier das Recht auf Privatsphäre von Menschen verletzt wurde. Einerseits sind damit die gesetzlich gesicherten Rechte gemeint, die zum Beispiel die Datenschutz-Grundverordnung schützt. Doch kann das nicht alles sein. Einige Maßnahmen von staatlichen Institutionen und Unternehmen scheinen das Recht auf Privatsphäre zu verletzen, selbst wenn sie gegen keine geltenden Gesetze verstoßen – so wie im Beispiel aus China.

Eine klassische Aufgabe der philosophischen Ethik ist es, solchen Sorgen und Gedanken nachzugehen und sie möglichst klar auf den Punkt zu bringen: Was genau ist das Recht auf Privatsphäre? Wie lässt es sich begründen? Und wie sollten wir, angesichts dieses Rechts, mit den genannten Entwicklungen umgehen? Das sind die zentralen Fragen, die in der philosophischen Diskussion um das Recht auf Privatsphäre diskutiert werden, und die Dr. Leonhard Menges vom Fachbereich Philosophie der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in seiner aktuellen Forschung zu beantworten versucht.

Recht auf Privatsphäre = Recht auf Urheberschaft?

Ausgangspunkt ist die viel diskutierte These, dass das Recht auf Privatsphäre das Recht ist, zu kontrollieren, was mit persönlichen Informationen geschieht.  In seiner Arbeit zeigt Menges, dass die meisten Versuche, diesen Gedanken auszubuchstabieren, scheitern. Sein Vorschlag lautet, dass wir das Recht auf Privatsphäre als ein Recht auf Urheberschaft verstehen sollten. Es ist ein Recht darauf, dass persönliche Informationen über uns nur dann fließen, wenn wir die Urheberinnen und Urheber dieses Informationsflusses sind.

Ein so verstandenes Recht auf Privatsphäre lässt sich gut begründen. Es schützt uns zum Beispiel vor Diskriminierung. Wenn dieses Recht respektiert wird, dann erfahren unsere zukünftigen Arbeitgeber*innen nur dann von unserem Gesundheitszustand, wenn wir Urheber*innen dieses Informationsflusses sind.

Das Buch des eigenen Lebens

Es schützt auch unsere persönliche Autonomie.  Jospeph Raz schlägt vor, dass unsere Autonomie darin besteht, dass wir die Autor*innen des Buches unseres eigenen Lebens sind.

Ein Beispiel: Wenn jemand unsere Krankenakten nutzen würde, ohne dass wir es erlaubt hätten (und damit Urheber*innen dieses Informationsflusses wären), dann fügt diese Person dem Buch unseres Lebens eine Zeile hinzu, die wir nicht geschrieben haben. Dies würde unsere persönliche Autonomie untergraben.

Kurz: Vor einem solchen Eingriff sind wir geschützt, solange Informationen über uns nur dann fließen, wenn wir Urheber*innen dieses Informationsflusses sind.

Wie hilft diese Theorie dabei, mit den konkreten Herausforderungen umzugehen, vor die uns Unternehmen und staatliche Institutionen stellen? Das ist eine der Leitfragen der zukünftigen Forschung von Leonhard Menges: „Um sie zu beantworten, müssen wir besser verstehen, wie wichtig es ist, Urheberin oder Urheber von Informationsflüssen zu sein. Außerdem müssen wir besser verstehen, wie Unternehmen und Institutionen persönliche Informationen fließen lassen und dabei unsere Urheberschaft umgehen.“

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Dr. Leonhard Menges ist Assistenzprofessor am Fachbereich Philosophie der KGW-Fakultät der PLUS.

2021 erhielt er den mit 12.000 Euro dotierten Internationalen Hauptpreis für Wissenschaft & Forschung der Stadt Salzburg. Im Rahmen der Kulturfondspreise zeichnet die Stadt Salzburg bemerkenswerte Leistungen auf den Gebieten von Kunst & Kultur und Wissenschaft & Forschung aus. Schwerpunkt der Internationalen Hauptpreise waren die Themen Digitalisierung und Medienkunst. Leonhard Menges wurde für seine Arbeit zu Fragen der informationellen Privatsphäre angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft ausgezeichnet.

Presseaussendung der Stadt Salzburg:   stadt-salzburg.at/presseaussendungen/ausgezeichnete-kunst-wissenschaft-kulturfondspreise-der-stadt-salzburg-2021/

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Ass.-Prof. Dr. Leonhard Menges

Paris Lodron Universität Salzburg | FB Philosophie an der KGW-Fakultät

Franziskanergasse 1/I | A-5020 Salzburg

E-Mail an Ass.-Prof. Dr. Leonhard Menges

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