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Panorama:Uni: Die Corona-Krise befeuert den Antisemitismus

Pressemitteilung vom 13.4.2021

Panorama:Uni am 19. April 2021 wegen positivem Corona-Fall abgesagt!

Ersatztermin folgt.

Veranstaltungshinweis:

Panorama:Uni. Wissenschaftler*innen der Universität Salzburg im Gespräch. Eine gemeinsame Veranstaltung der Wissensstadt Salzburg, der Universität Salzburg und der Salzburger Nachrichten.

Am Montag, 19. April 2021 um 19 Uhr diskutiert die Zeithistorikerin Prof. Helga Embacher mit Maria Mayer in der Panoramabar Lehen zum Thema „Corona, Verschwörungsphantasien und Antisemitismus. Warum alte Feindbilder neu aufleben“.

Die Veranstaltung wird live gestreamt über  www.panorama-uni.at. Für das online Publikum gibt es die Möglichkeit über die Email-Adresse Fragen zu stellen.

Helga Embacher
Helga Embacher I Foto: © Kolarik

Viele Teilnehmer*innen bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen glauben an Verschwörungsideologien. Demnach wollen mächtige Menschen, vornehmlich Juden, das Virus bewusst verbreiten, um die Menschheit zu beherrschen. Die Salzburger Zeithistorikerin Helga Embacher forscht zum Antisemitismus in der Corona-Krise.

Laut  einer Studie der University of Oxford glauben 20 Prozent der befragten Briten, dass Juden das Corona-Virus erzeugt hätten, um damit zur eigenen finanziellen Bereicherung einen Zusammenbruch der Wirtschaft herbeizuführen. Weiß man, wie hoch die entsprechenden Zahlen in Österreich sind?

Dazu kann ich auf die Antisemitismus-Studie des Nationalrates von 2020 verweisen: Der Frage „Eine mächtige und einflussreiche Elite, z.B. Soros, Rothschild, Zuckerberg, nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und politischen Einfluss weiter auszubauen“ stimmten 8 Prozent voll und ganz zu, für 20 Prozent trifft es eher zu und 25 Prozent machten keine Angabe. Dass Juden das Corona-Virus für ihren eigenen Vorteil erschaffen haben, glauben allerdings wenige. Umfragen sind jedoch immer Momentaufnahmen.

Was sind besonders eindrückliche Beispiele für Antisemitismus in der Corona-Pandemie?

Auffallend war, wie schnell neben Bill Gates und George Soros (ungarischer Holocaustüberlebender, Philanthrop und Investor), die Rothschilds, Israel oder die Juden als Urheber und Nutznießer galten. Für den ungarischen Premierminister Viktor Orbán stand Soros sofort als einer der zentralen Sündenböcke fest. Trumps Gesundheitssprecher Michael Caputo machte Soros als „the real virus behind everything“ („das wahre Virus hinter allem“) fest.

Im Mittelalter wurden die Juden als angebliche „Brunnenvergifter“ für die Pest verantwortlich gemacht. Wie ist zu erklären, dass in der Corona-Krise solche antisemitischen Feindbilder reaktiviert werden?

Juden machte man weit über das Mittelalter hinaus für diverse Krankheiten verantwortlich. Mittelalterliche Ritualmordlegenden, wonach Juden christliche Kinder ermorden und das Blut für das ungesäuerte Brot für Pessach verwenden würden, leben abgewandelt sogar bis heute fort. Ein Beispiel dafür ist die QAnon-Bewegung, der zufolge eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite einen Deep State anführen und Kinder entführen, gefangen halten, foltern und ermorden würde, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Konkret werden Hillary Clinton, Barack Obama und Georg Soros genannt, an der Spitze der „Guten“ steht Donald Trump als eine Art Heilsfigur. In Europa sind QAnon-Anhänger oft auf „Corona-Demonstrationen“ vertreten.

Was sind die Wurzeln der Verschwörungsmythen von der Jüdischen Weltherrschaft?

Diese gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, wo Antisemitismus in einer Zeit massiver Veränderungen zur Welterklärung instrumentalisiert wurden. „Die Juden“ galten als Inkarnation alles Bedrohlichen und zur Erklärung allen Weltübels. Zur Verbreitung dieser Mythen erheblich beigetragen haben „Die Protokolle der Weisen von Zion“, eine vom russischen Zarenreich ausgehende Fälschung über das angebliche Streben der Juden nach Weltherrschaft.

Bei den Corona-Protesten sind auch antisemitische Verdrehungen zu beobachten,  eine Art Täter-Opfer-Umkehr. Die Demonstrierenden vergleichen sich z.B. mit Holocaustopfern. Impfgegner*innen heften sich den gelben Judenstern auf ihre T-Shirts mit der Aufschrift „Ungeimpft“. Wie kann man diese Provokation erklären?

Es ist nicht neu, dass Menschen den Holocaust instrumentalisieren. Auch Abtreibungsgegner*innen oder Kritiker*innen nicht-artgerechter Tierhaltung beziehen sich auf den Holocaust, in muslimischen Communities finden sich problematische Vergleiche zwischen der gegenwärtigen Islamfeindlichkeit und der Verfolgung der Juden in den 1930er-Jahren. Wenn Demonstrierende sich mit Anne Frank oder Sophie Scholl gleichsetzen und zu Widerstandskämpfer*innen gegen eine Diktatur stilisieren, provozieren sie bewusst, um größtmögliche mediale Aufmerksamkeit zu erhalten. Dieser bewusste Tabubruch ist allerdings eine Verhöhnung der tatsächlichen NS-Opfer. Gleichzeitig besteht wenig Scheu gegenüber Rechtsradikalen, die den Holocaust leugnen. Dieses absurde „Spiel mit dem Holocaust“ funktioniert auch deshalb, weil in der Gesellschaft zu wenig konkretes Wissen darüber besteht und dieser zu einer moralischen Instanz, zum absolut Bösen, geworden ist.

Der Antisemitismus ist mit Corona auf dem Vormarsch, doch zugleich gibt es einen Streit darüber, was Antisemitismus ist und was es nicht ist. Der Streit hat ja auch die Universität Salzburg erreicht. Sie setzte ein für das Sommersemester geplantes Philosophie-Seminar zur antiisraelischen Boykottbewegung BDS vor dessen Beginn aus, weil gegen den externen Lehrveranstaltungsleiter von ÖH-Seite der Verdacht des Antisemitismus erhoben wurde. Jetzt gibt es eine neue Definition zum Antisemitismus „Die Jerusalemer Erklärung“, die Sie auch unterschrieben haben.

Dieser Streit wird mittlerweile seit 20 Jahren geführt, wobei es vor allem darum geht, wann Kritik an Israels Regierung als antisemitisch einzustufen ist. Mittlerweile hat eine Reihe von Regierungen, das österreichische Parlament 2017, eine Arbeitsdefinition der IHRA (= International Holocaust Remembrance Alliance) übernommen. Viele Wissenschaftler*innen kritisieren aber, dass diese wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen. Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die von 200 der renommiertesten Holocaust-Forscher*innen aus Israel, USA und Europa vorgelegt wurde, ist der Versuch, eine exaktere Definition zu bieten. Hinsichtlich der Boykottbewegung, die ja heterogen ist, wird z.B. vertreten, dass ein Boykott nicht per se antisemitisch sein muss, allerdings sein kann, wenn gewisse Kriterien erfüllt werden. Ich persönlich lehne BDS ab und betrachte viele, aber nicht alle Unterstützer*innen eines Boykotts als antisemitisch oder zumindest ihre Ansichten als problematisch. Man sollte im Übrigen auch nicht davon ausgehen, dass ein positives Israelbild und, wie es oft heißt, „gute Beziehungen zu Israel“, gegen Antisemitismus immunisieren. Dafür liefern rechte Parteien viele Beispiele. Gerade in Deutschland und Österreich dient Israel nach wie vor als Projektionsfeld, während das Wissen um die Komplexität im Nahen Osten äußerst gering ist.

Panormabar in Lehen, Salzburg

Foto: © Eva Kraxberger