Approach in sozialen Interaktionen
Soziale Interaktionen als Ursprung und Auflösung von Diskrepanzen
Soziale Interaktionen können die Quelle von Diskrepanzerleben sein, d.h. einer Verletzung von Erwartungen, eine Nichterfüllung von realen oder erwarteten Motiven oder eine Nichterfüllung von erwarteten Motiven (siehe „Experimental Existential Psychology, Social Neuroscience and Threat Management“). Menschen können dann in Hemmungszustände oder Verteidigungsspiralen geraten oder sie versuchen wieder handlungsfähig zu werden. Das Loop2Loop-Modell ( Jonas & Mühlberger, 2017; Steindl & Jonas, 2015; für eine genauere Beschreibung, siehe „Unsere Forschung“) beschreibt, dass Menschen in sozialen Interaktionen nicht nur aufeinander reagieren, sondern dass diese Prozesse vermittelt werden über motivational-affektive und motivierte kognitive Prozesse. Soziale Interaktionen können aber auch bei der Reduktion von Diskrepanzen helfen, wie dies z.B. in Beratungsprozessen geschehen sollte.
Beratung als Hilfe in den konstruktiven Approach
Auch in Organisationen, in der Politik und der Beratung geht es häufig um den Umgang mit Bedrohungen: Viele Herausforderungen unserer Zeit, sowie Veränderungsprozesse in Unternehmen, aber auch eigene Ziele und Visionen lassen in uns Diskrepanzen zwischen Ist und Soll entstehen. Beispielsweise erlebt eine Person in ihrem Berufsalltag eine Diskrepanz zwischen einem aktuellen Motiv und der wahrgenommenen Realität. Möglicherweise ist sie in ihrem jetzigen Beruf unglücklich, weil sie sich und ihre Kompetenzen gerne stärker einbringen würde, hat aber das Gefühl, Tätigkeiten nur nach bestimmten Vorgaben ausführen zu dürfen. Ihr Bedürfnis ist es, eine Arbeit zu finden, in der sie mitentscheiden und ihre Fähigkeiten einbringen darf. Diese Diskrepanz zwischen Motiv und Realität kann Unsicherheit und Angst hervorrufen (Behaviorales Inhibitionssystem, BIS), woraus ein Verhaltensantrieb entsteht, die Diskrepanz zu reduzieren. Wenn Menschen jedoch nicht wissen, wie sie dies selbst erreichen können, suchen sie häufig die Hilfe von Berater:innen. Berater:innen können dabei helfen, die Diskrepanz zu reduzieren und den:die Klient:in zu unterstützen wieder handlungsfähig zu werden, d.h. auf konstruktive Weise das Behaviorale Approachsystem (BAS) zu aktivieren. Dabei kommen verschiedene Beratungsformate wie Coaching, Training, Consulting oder Mentoring zum Einsatz. Sozialpsychologische Erkenntnisse aus unserer Forschung können dabei von Vorteil sein. Zum Beispiel kann prozedurale Gerechtigkeit dabei unterstützen, mit Veränderungen handlungsmotiviert umzugehen (Reiss, Prokhorova, Schulte-Cloos & Jonas, 2018). Auch bei organisationalem Wandel und eigenen Zielen können Beratungsformate hilfreich sein. In unserer Forschung widmen wir uns daher folgenden Fragen:
- Wie können Beratungsprozesse und deren Wirkung psychologisch beschrieben werden (z.B. Behrendt, Mühlberger, Göritz, & Jonas, in press; Jonas, Mühlberger, Böhm, & Esser, 2017)?
- Welche Diskrepanzen können durch die unterschiedlichen Beratungsformate (Coaching, Training, Supervision, Mentoring, Mediation) reduziert werden?
- Welche Implikationen können für die Gestaltung von Beratungsprozessen abgeleitet werden?
- Welches Beratungsformat und welche Beratungstechniken passen am besten zum Bedürfnis und zur Motivation des:der Klienten:Klientin (z.B. Böhm, Mühlberger & Jonas, 2017; Mühlberger, Böhm, & Jonas, 2021; Mühlberger, Büche & Jonas, 2018)?
Beratung und Vernetzung als Hilfe für Studierende: Das PLUSTRACK–Projekt: Aktiv Studieren durch die Verknüpfung sozialer und digitaler Welten
Die Wahrnehmung von Diskrepanzen führt Menschen häufig in einen unangenehmen Hemmungszustand (eine sogenannte „Angststarre“, welche durch Aktivierung des behavioralen lnhibitionssystem, BIS, beschrieben werden kann), aus dem sie nur durch motivationale Reorientierung, wie z.B. Handlungorientierung, wieder herauskommen (beschreibbar durch das Behaviorale Approachsystem, BAS).
Diese Handlungen können destruktiv, aber auch konstruktiv sein und werden sichtbar, wenn Menschen miteinander in Interaktion treten. Das Loop2Loop-Modell beschreibt, dass Menschen in sozialen Interaktionen nicht nur aufeinander reagieren, sondern dass diese Prozesse vermittelt werden über motivational-affektive und motivierte kognitive Prozesse.
Auch Studierende erleben in ihrem Studium häufig Diskrepanzen. Beispielweise ist ein:e Studierende:r in seinem:ihrem jetzigen Studium unglücklich und nur wenig motiviert, da er:sie sich mehr Mitbestimmung erwartet hätte, aber das Gefühl hat, in den Lehrveranstaltungen nur wenig mitbestimmen und sich nur wenig einbringen zu können (=Diskrepanz zwischen Motiv und Realität). Oder ein:e Studierende:r erwartet sich mehr Austausch mit Kommiliton:innen, aber die Lehrveranstaltungen des ersten Semesters fördern diesen nur wenig (=Diskrepanz zwischen kognitivem Fokus und Realität).
Auch diese Diskrepanzen aktivieren das BIS, wodurch Unsicherheit und Angst entstehen können.
Durch das Projekt PLUSTRACK, das vom BMBWF und der Universität Salzburg gefördert wird, sollen diese Diskrepanzen reduziert werden. Den Studierenden werden verschiedene Beratungsformate angeboten (Mentoring, Coaching, Training), um sie auf ihrem Studienweg optimal zu begleiten. Außerdem wird eine Community-Network-Plattform entwickelt, die sowohl Studienanfänger:inne:n den Studieneinstieg erleichtert, als auch Höhersemestrigen und Lehrenden entsprechende Unterstützung bietet.
Ziel ist die optimale Begleitung und Unterstützung der Studierenden in schwierigen Studienabschnitten, was auf zwei Wegen passieren soll: Einerseits, dass Studierende sich selbst besser kennenlernen (z.B. Wer bin ich? Was sind meine Wünsche? Was möchte ich erreichen?) und andererseits, dass Studierende sich untereinander besser vernetzen können (z.B. Wer sind meine Kommiliton:innen? Was sind unsere Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Wen kann ich um Unterstützung bitten?). Langfristiges Ziel unseres Projektes ist eine bessere Identifikation mit dem eigenen Studium und der Universität, bessere soziale Eingebundenheit und daraus resultierende Motivation für das Studium.
Veränderungsprozesse und Gerechtigkeit im Kontext zukünftiger Arbeitswelten – Arbeit 4.0
Die Frage, wie man Menschen für Ideen und Verbesserungshinweise öffnen kann, ist sowohl in der Interaktion zwischen zwei Personen relevant, als auch auf organisationaler und gesellschaftlicher Ebene. Da Veränderungen immer auch mit dem Bewältigen von Diskrepanzen verbunden sind, ist auch hier die Frage relevant, wie Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit unterstützt werden können:
- Wann öffnen wir uns für neue Ideen?
- Wann engagieren wir uns selbst für neue Ideen?
- Was muss dazu im sozialen Umfeld geschehen?
Dabei ist die Frage, wie Akzeptanz geschaffen wird, zu trennen von der Frage, wie Menschen aktiviert werden können, sich selbst zu engagieren. Relevante Einflussfaktoren sind Gerechtigkeit (prozedurale und distributive), Wertschätzung, Respekt (interpersonale Gerechtigkeit) und Kontrolle (informationale und prozedurale).
Die zukünftige Arbeitswelt wird zunehmend vernetzter, digitaler und flexibler. Dies trägt nicht nur zur Entstehung neuer Produkte und Dienstleistungen bei, sondern verändert auch nachdrücklich die bisherigen Produktionsweisen und beeinflusst dabei die Strukturen in Organisationen. Gewohnte Werte wandeln sich und neue Ansprüche an Arbeit entstehen. In diesen Veränderungen liegen einerseits Chancen, andererseits aber auch Unsicherheiten. Die ganze Gesellschaft ist gefordert, in diesem Prozess Rahmenbedingungen so zu gestalten und Interessen so auszuhandeln, dass alle Betroffenen von den neuen Entwicklungen profitieren. Doch wie kann dazu beigetragen werden, dass sich die einzelnen Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen, Lebenssituationen und Talenten in zukünftigen Arbeitswelten gut aufgehoben fühlen? Der Gestaltung der Arbeit in Organisationen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Können aber angesichts der zunehmenden Flexibilisierung in Organisationen überhaupt noch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein gewisses Ausmaß an Sicherheit und Stabilität verleihen? Können sich Personen noch mit Unternehmen verbunden fühlen, wenn sich traditionelle Strukturen zunehmend auflösen und Mitarbeiter:innen einem permanenten Wandel ausgesetzt sind?
Psychologische Forschung zu organisationaler Gerechtigkeit hat in den letzten Jahrzehnten deutlich gemacht, dass Menschen dann eine höhere Bereitschaft aufweisen, sich auf Unbekanntes einzulassen und sich von Veränderungen weniger bedroht fühlen, wenn Prinzipien der Gerechtigkeit erfüllt sind. Diese Forschung lässt vermuten, dass Personen auch in sich wandelnden Unternehmensstrukturen einen Bezug zu ihrem Unternehmen behalten, wenn die Veränderung fair gestaltet und auch die neue Arbeitswelt gerecht erlebt wird.
Arbeit sollte zentrale psychologische Grundbedürfnisse erfüllen, Bedürfnisse nach Kompetenz (Teilhabe, Aufstieg, Kontrolle, Verständnis), Zugehörigkeit bzw. Identität (Kontakt, Bestätigung bzw. Anerkennung in der Gemeinschaft) und Autonomie bzw. Würde (Verwirklichen eigener Werte, Freude an der Arbeit). Wie kann aber z.B. das Bedürfnis nach Zugehörigkeit erfüllt werden, wenn Menschen mit neuen Entscheidungsautoritäten, wie intelligenten technischen Systemen, konfrontiert werden? Was gibt Sicherheit im rasanten technologischen Wandel und was ein Gefühl von Identität? Was hilft Menschen, mit den permanenten Belastungen umzugehen, die aufgrund der zunehmenden Schnelllebigkeit, Flexibilität und Unvorhersehbarkeit entsteht? Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen müssen mit wirtschaftlichen Anforderungen der Unternehmen in Einklang gebracht werden – aber wie kann das gehen? Wie können Forderungen an die Weiterentwicklung der Mitarbeiter:nnen mit deren individuellen Zukunftsperspektiven/-wünschen verbunden werden?
In unserer Forschung versuchen wir zu zeigen, wie die Berücksichtigung von Prinzipien der Gerechtigkeit dazu beitragen kann, dass ein bedürfnisgerechtes Arbeiten möglich wird – denn Gerechtigkeitsprinzipien verändern unseren Blick auf Handlungsoptionen und Gestaltungschancen und helfen, neue Potentiale zu entdecken.