Inklusive Sprache: so wird sie an der PLUS gelebt und gefördert


Sprachleitfaden Uni Salzburg Interview

An der Paris Lodron Universität Salzburg kommt bald ein neuer Sprachleitfaden, in diesem geht es um aktuelle sprachliche Formen der Inklusion – in Bezug auf Barriere-Reduzierung, Mehrsprachigkeit und Geschlechtervielfalt. Wir haben mit Sabine Bruckner, BA MA und Dr. Persson Perry Baumgartinger gesprochen. Bruckner ist Teil der Abteilung Family, Gender, Disability & Diversity der PLUS und leitet das Projekt Sprachbox . Baumgartinger ist Wissenschaftler, Lektor, Trainer und Coach und hat am Projekt Sprachbox als externer Berater maßgeblich mitgewirkt.

Die beiden sind reich an Expertise im Bereich inklusiver, diverser Sprache und haben uns erklärt, worum es sich bei dem Projekt Sprachbox handelt, warum inklusive Sprache so wichtig ist und wieso es eigentlich gar nicht so schwierig ist geschlechtsneutral zu sprechen, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag.

Was ist die Sprachbox und worauf basiert sie? Warum ist sie wichtig?

Sabine: „Die Sprachbox ist ein mehrteiliges Ressourcen- bzw. Tool-Set, das wir im Rahmen eines mehrmonatigen Arbeitsgruppen-Prozesses entwickelt haben. Der Kick-off dafür hat letztes Jahr im Februar stattgefunden und die Arbeit hat in großen Teilen eine Arbeitsgruppe geleistet – mit Persson Baumgartinger als Prozessbegleitung. Zusammengesetzt haben wir die Arbeitsgruppe bewusst aus Personen aus Verwaltung und Lehre sowie Studierenden, um eine Arbeitsunterlage entwickeln zu können, die sehr nah an der Praxis der PLUS orientiert ist. Die Sprachbox basiert auf einem intersektionalen Zugang, das heißt wir sind vom Begriff geschlechtlicher Vielfalt ausgegangen und haben diesen um Mehrsprachigkeit erweitert und mit der Reduzierung von Barrieren verknüpft. Sie besteht aus fünf Broschüren, zudem wird es einen kurzen Erklär-Film und Plakate dazu geben. Und auch auf der Website der PLUS werden natürlich alle Informationen der Sprachbox zur Verfügung gestellt.“

Persson: „Noch ein anderer Aspekt, worauf die Sprachbox basiert, ist der Sprachleitfaden der bereits 2012 an der Paris Lodron Universität Salzburg herausgegeben wurde. Den haben wir natürlich mit einbezogen, erweitert und um neuere sprachliche Formen der Inklusion aktualisiert – in Bezug auf Barriere-Reduzierung, Mehrsprachigkeit und Geschlechtervielfalt. Diese Erweiterungen basieren auf sehr vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit mit Sprache und Kommunikation. Außerdem wurde viel darüber diskutiert, wie wir Sprache respektvoll verwenden können und Menschen, Personengruppen, Identitäten oder Lebensweisen in die Sprache einschließen, die bisher entweder gar nicht oder nur sehr wenig vorkommen. Im Grunde geht es um eine respektvolle Sprache und darauf bauen wir auf. In der Sprachbox ist Wissen aus vielen unterschiedlichen Bereichen gebündelt: Linguistik, feministische und queere Linguistik, angewandte Sprachwissenschaft, Arbeitspraxis, institutionelle Gegebenheiten an der PLUS, Trans-Studies, Inter-Studies, Geschlechterforschung, Disability-Studies sowie Mehrsprachigkeitsforschung.“

Was passt an unserer jetzigen Sprache nicht? Und warum war an der PLUS ein neuer Sprachleitfaden notwendig?

Sabine: „Zum einen ist die Sprachbox Teil der neuen Diversitätsstrategie der PLUS und auch Teil des Code of Conduct. Das heißt, es gibt ein Bekenntnis der PLUS hinsichtlich Vielfalt. Den Arbeitsauftrag haben wir 2021 bekommen, da haben wir begonnen zu entwickeln und im Februar 2022 gab es den Startpunkt für den konkreten Entwicklungsprozess mit der Arbeitsgruppe. Der Begriff „Sprachleitfaden“ war für uns von Anfang an nicht so passend, weil er eigentlich zu kurz greift, wenn es darum geht Bewusstseinsbildungsprozesse in Gang zu setzen und die heteronormative, binäre Denkweise etwas aufzubrechen und den Blick dahingehend zu öffnen, dass es in der Gesellschaft schon immer geschlechtliche Vielfalt gegeben hat.
Außerdem sollen damit auch strukturelle, langfristige Prozesse in Gang gesetzt werden. Insofern ist die Sprachbox von Beginn an mit einem prozesshaften Charakter gestartet. Das heißt, wir werden zwar am 21. Juni 2023 einen ersten Output liefern und präsentieren. Aber darüber hinaus werden wir inhaltlich und zu strukturellen Themen an der PLUS weiterarbeiten – immer mit der großen Frage vor Augen: Wie kann respektvoller Umgang ganz grundsätzlich funktionieren?“

Persson: „Was die Sprache selbst betrifft, interessiert es uns, wie wir sie verwenden. Sprache per se ist ja nicht gut oder schlecht, wir gebrauchen sie nur auf verschiedene Arten und Weisen und erzeugen damit Wirkung, konstruieren eine Welt. Die Frage ist, welche Tools (wie zum Beispiel diese Sprachbox) bieten Hintergrundwissen und helfen dieses auch anzuwenden? Sprich, was gibt es für verschiedene Arten inklusiver Sprache und was kann ich damit machen?

Zudem haben wir es gesellschaftlich häufig mit Ein- und Ausschlüssen von Personengruppen oder Menschen zu tun, die wir als Minderheiten bezeichnen. Das betrifft auch sehr alte Institutionen wie Universitäten. Diese Ein- und Ausschlüsse spiegeln sich in der Sprache wider, zum Beispiel in wenig respektvollen Bezeichnungen. Minderheiten gibt es aber nun sehr viele. Und entsprechend viele verschiedene Vorschläge, Ideen und Möglichkeiten für inklusive Sprache gibt es.

Was vielleicht noch nicht alle wissen: Seit kurzem gibt der Staat Österreich sechs Optionen für den Geschlechtereintrag vor. Diese Optionen könnten noch respektvoller formuliert sein. Aber zumindest gibt es sie (Anm.: „weiblich“, „männlich“, „inter“, „divers“, „offen“, „keine Angabe“). Öffentliche Einrichtungen wie Universitäten müssen darum auf jeden Fall reagieren. Denn aktuell ist unsere Sprache noch nicht respektvoll genug bzw. haben wir die respektvollen Arten und Weisen noch nicht übernommen. Auch deswegen wurde der Sprachleitfaden von 2012 erneut überarbeitet, wobei vieles gar nicht so neu ist. Den Stern gab es beispielsweise damals schon. Allerdings ist es heute eine andere Diskussion, weil es viel mehr Gegenwind gibt als noch vor zwölf Jahren – gegen Menschenrechte von trans-, inter- und nicht-binären Personen, die sich eben auch sprachlich zeigen. Und das ist unter anderem eine Basis, auf der wir aufbauen, und ein Anstoß inklusivere Sprache auch in Bezug auf Mehrsprachigkeit und Barriere-Reduzierung zu sehen – das ist tatsächlich bei der Sprachbox neu dabei.“

Inwiefern ist Sprache wichtig bei der Bewusstseinsbildung?

Persson: „Es gibt ja diese Frage: ‚Was tun wir, wenn wir nicht kommunizieren?‘ Geht das? Können wir miteinander leben, ohne Sprache zu verwenden? Das können wir in diesem Rahmen jetzt nicht fertig besprechen, aber es ist eine sehr interessante Diskussion. Und die Frage ist im Endeffekt nicht beantwortbar, weil es unterschiedliche Antworten darauf gibt und alle auf ihre Art und Weise auch stimmen. Das ist auch Teil von Sprache, dass es Vielfalt gibt und Mehrdeutigkeit. Zudem ist Sprache das Werkzeug, das wir verwenden, um Wissen zu bekommen und weiterzugeben. Wir alle sind auf dieser Welt, begeben uns in die Welt und sollten darum in der Welt auch unseren Platz haben, hierfür ist Sprache ein wichtiges Tool.

Respektvolle Sprache ist umso wichtiger an Universitäten, die einen sehr großen gesellschaftlichen Stellenwert und dadurch auch eine große Verantwortung haben. In der Sprachbox gibt es einige gute Möglichkeiten dazu. Das ist alles Bewusstseinsbildung, die sehr wichtig ist, weil es leider auf den üblichen Bildungswegen, die wir haben (Kindergarten, Schule, Universitäten, Fachhochschulen) noch immer sehr wenig Wissen zu Geschlechtervielfalt, Barrieren, Barrieren-Reduzierung, Behinderungen und Mehrsprachigkeit gibt. Darum gibt es Initiativen, wie die Sprachbox, um Wissen auch weiterzutragen und in Institutionen zu bringen.“

Muss ich mich an den Sprachleitfaden halten und inwiefern betrifft das wissenschaftliche Arbeiten? Kann mir eine Universität vorschreiben, welche Sprache ich zu verwenden habe?

Persson: „Ich finde, es geht nicht um das Müssen, sondern vielmehr darum „Wie respektvoll will ich sein? Wie respektvoll will ich Sprache verwenden und wie respektvoll will ich diese Welt mitgestalten?“ Denn alle beeinflussen durch ihre Sprache die Welt. Wenn ich Sprache verwende, baue ich immer auch eine Welt auf. Es geht also darum, wie sehr ich mich selbst in die Verantwortung nehme.
Zudem ist Geschlechtermarkierung sowieso immer ein Teil unserer Sprachverwendung, das ist im Deutschen so. Das heißt, wenn ich jetzt sage, ich gendere nicht, ich verwende nur die und die Form, dann gendere ich trotzdem. Außer man verwendet geschlechtsneutrale Formen, die unter anderem auch in Bezug auf Barriere-Reduzierung sehr hilfreich sind.“

Sabine: „Genau und man kann auch noch daran anschließen, dass die Resonanz bisher sehr positiv ist. Und Inhalte der Sprachbox auch schon vor ihrer Veröffentlichung sehr stark nachgefragt werden – sowohl auf Ebene der Verwaltung als auch von Lehre und Forschung, wo es großen Bedarf an diesen Wissensständen gibt. Besonders Wissenschaft stellt sich auch durchaus komplexen und gesellschaftlichen Fragestellungen. In Verbindung mit der Diversitätsstrategie der PLUS gibt das ein Stück weit eine Basis, um in Richtung von Vielfalt und Diversität auch in den Bereichen Lehre und Forschung zu gehen. Und letztlich auch die gesellschaftlichen Gegebenheiten in diesem Bereich abzubilden.“

Ist es für Institutionen üblich einen Sprachleitfaden zu haben?

Persson: „Ja, ist es. Wenn man den Begriff „Sprachleitfaden“ sehr groß und breit sieht, ist der Duden auch eine Form von Sprachleitfaden. Insofern gibt es Werkzeuge, die eine Rahmenbedingung geben, wie wir Sprache verwenden, schon sehr lange. Die ersten nicht-sexistischen Sprachleitfäden im deutschsprachigen Kontext gab es in den 1970er, 1980er Jahren. Diese wurden auch von Behörden, Institutionen, Universitäten herausgegeben. Aber solche Bedürfnisse und Initiativen kommen natürlich immer von unten, es sind immer aktivistische Kontexte. Das ist auch eine Basis, auf die wir uns beziehen, die aktivistischen Kontexte, die diese Konzepte überhaupt erst ausarbeiten, Konzepte, die mit der Zeit dann weitergetragen und übernommen werden.
2018/19 hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, dass der Staat Österreich wissenschaftlich gesehen mehr als zwei Geschlechter anerkennen muss, weil man heutzutage wissenschaftlich gesehen nicht mehr davon ausgehen kann, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Seitdem ist das natürlich eine noch größere Sache geworden, weil alle öffentlichen, halb-öffentlichen und teilweise auch privaten Firmen darauf reagieren wollen und auch darauf reagieren sollten. Denn wenn der Staat sechs Geschlechtereinträge vorgibt, muss man da auch in der Kommunikation nachziehen.

Die ersten nicht-sexistischen Sprachleitfäden (so haben sie damals geheißen) sind aus nicht-rassistischen Sprachleitfäden hervorgegangen und haben sich dann zu geschlechtergerechten Sprachleitfäden, geschlechtersensiblen Sprachleitfäden und zu geschlechterinklusiven Sprachleitfäden (so wie wir sie aktuell haben) weiterentwickelt. Die nicht-rassistische Sprache wurde damals vor allem in den USA aus der Bürgerrechtsbewegung herausentwickelt und wurde dann in deutschsprachigen Kontext übernommen. Das heißt, Sprachleitfäden gibt es schon sehr lange und wenn man Duden und Co. mitzählt, noch viel länger. Wenn wir diskriminierungskritische Sprachleitfäden auch noch dazuzählen, dann schon einige Jahrzehnte.“

Was denkt ihr, wie der Sprachleitfaden angenommen werden wird? Wem fällt es tendenziell leichter oder weniger leicht achtsam mit Sprache umzugehen?

Sabine: „Es ist ja eine Empfehlung, die wir aussprechen. Es gibt keinen Zwang und keine Verpflichtung gemäß der Sprachbox zu kommunizieren. Es ist ein Arbeitsprozess und ein Produkt, das die AG herausbringt und für den täglichen Gebrauch empfiehlt. In diesem ganzen Prozess hat es im Herbst 2022 eine lange und breit aufgestellte Feedback-Phase gegeben, in der wir diese Empfehlungen, also das Kernelement sozusagen schon mal in die Strukturen der PLUS eingespielt haben und auf Ebene der Lehre, der Forschung, der Verwaltung, der Studierenden, um Feedback gebeten haben. Es gab ein paar Rückmeldungen, die durchaus auf eine widerständige Haltung verweisen, überwiegend war die Resonanz aber absolut positiv, besonders von Personen aus der Lehre, die wirklich ein „Handwerkszeug“ brauchen. Aufgrund dieser starken Nachfrage haben wir dann entschieden, dass wir bereits vor Präsentation der Sprachbox im Juni 2023 mit Einführungsworkshops beginnen. Im April haben wir mit ersten Workshop-Einheiten gestartet.

Die Fragestellungen sind bisher sehr unterschiedlich, es kommen auch Personen mit ganz konkreten Fragen aus der Praxis. Bisher haben wir den Eindruck, dass der Bedarf nach so einem umfassenden Sprachleitfaden sehr groß ist. Und wir bemühen uns generell in einem kommunikativen Prozess zu bleiben. Wir bekommen auch laufend Anfragen zum Projekt per Mail und es kommen immer wieder Personen bei uns direkt vorbei und erzählen uns von Problemen aus der Praxis. Zu all diesen Fragen und Inputs führen wir eine Liste, die uns auch nach der Präsentation des Sprachleitfadens noch weiter beschäftigen werden.“

Persson: „Meine Erfahrung ist, die Anwendung fällt jenen tendenziell leichter bzw. leicht, die offen sind und Interesse daran haben respektvoll zu sein. Und ich glaube, dabei handelt es sich um keine spezifische Personen- oder Berufsgruppe.

Tatsächlich gibt es, gesellschaftlich gesehen, sehr harte Widerstände – auch über Österreich hinaus in den unterschiedlichsten Ländern – aber eigentlich sind das sehr wenige Menschen. Diese sind allerdings sehr laut und bekommen ein großes Back-up von Medien. Wenn Leute mit Fragen und eventuell auch einer Widerstandshaltung in einen Workshop kommen und wir miteinander reden und uns austauschen, dann lösen sich diese Widerstände erfahrungsgemäß meistens auf. Auf jeden Fall braucht es bei dem Thema eine institutionelle Rückendeckung. Egal ob Universität, Wirtschaft oder Behörde – die Leitung muss dahinterstehen und sagen, wir wollen Vielfalt in unserer Einrichtung den notwendigen Raum geben. Und das funktioniert eben auch durch Sprache.“

Danke euch für das interessante Gespräch!

Euer commUNIty Team

Photo Credits:
Titelbild: Kay Müller