Der Chefsessel

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(30. Jänner 2004, Alter Studienplan)

„Der Chefsessel”

A. Mirko S, langjährig in Österreich beschäftigter Ausländer, befindet sich auf dem Heimweg von einer Demonstration für die Rechte von Asylwerbern. Unweit des Demonstrationsschauplatzes trifft er auf den arbeitsscheuen Wiener René M, dessen Hass sich gegen jeden richtet, nur nicht gegen sich selbst. Glücklich wieder ein Hassobjekt gefunden zu haben, stellt er sich Mirko S in den Weg und will von ihm in schwer verständlicher Wiener Mundart wissen, was er als Ausländer in Österreich zu suchen habe, wobei er ihn mit den Händen mehrmals zur Seite an die Hauswand stößt, ohne ihn dabei zu verletzen. Wenig später gesellen sich auch noch die ebenfalls ausländerfeindlich gesinnten Rolf T und Gregor P zum Geschehen. Als sie in Mirko S einen „schmarotzenden Asylwerber” zu erkennen glauben, versetzen sie Mirko S spontan mehrere Faustschläge, während René M diesen weiter zur Hauswand stößt und so ein Entkommen verhindert.
Mit blutender Nase, mehreren Blutergüssen und einer Platzwunde an der Lippe erstattet Mirko S Anzeige bei der Polizei. René M, Rolf T und Gregor P können kurz darauf ausgeforscht werden. Als der diensthabende Polizeibeamte Wolfgang L jedoch erkennt, dass es sich bei den Tatverdächtigen um alte „Gesinnungsfreunde” handelt, entsorgt er die Anzeige von Mirko S vor den Augen seines Polizeikollegen Albert A im Papierkorb. Etwas irritiert über diese Vorgangsweise erzählt Albert A dies am Abend seiner Lebensgefährtin Doris D, Studentin der Kunstgeschichte. Diese rät ihm, das Ganze vorerst für sich zu behalten, denn in einem Jahr werde die Stelle seines Dienstvorgesetzten ausgeschrieben. Sollte sich Wolfgang L dann als Konkurrent bewerben, könne man diesen Vorfall gegen ihn verwenden. Albert A hält das für eine ausgezeichnete Idee, auf die nur eine kreative Kunststudentin kommen könne. Als sich wenige Monate später tatsächlich sowohl Albert A als auch Wolfgang L um die Nachfolge für die Stelle des Vorgesetzten bewerben, erstattet Albert A Strafanzeige gegen Wolfgang L wegen des Wegwerfens der Anzeige. Wolfgang L scheidet damit als Konkurrent aus dem Bewerbungsverfahren aus und Albert A wird befördert.
Nun hat Albert A nur noch ein lästiges Problem zu lösen: Seine Ex-Freundin Lisl L bekommt ein Kind von ihm. Wider besseres Wissen bestreitet Albert A die Vaterschaft, um sich langjährigen Unterhaltsverpflichtungen zu entziehen. Im Zuge der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung wird vom Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Zur Blutabnahme, welche von einem medizinischen Sachverständigen am Institut für gerichtliche Medizin vorgenommen wird, schickt Albert A seinen, ihm ähnlich sehenden Freund, Günther G. Gegenüber dem medizinischen Sachverständigen weist sich Günther G mit dem Reisepass von Albert A aus, den ihm dieser dazu gegeben hat. Da das Foto im Reispass schon ziemlich alt ist, erweist sich eine zuverlässige optische Identitätskontrolle von vornherein als kaum möglich. Der Sachverständige schöpft daher keinen Verdacht. Albert A hat mit seiner Vorgangsweise Erfolg. Es wird gerichtlich festgestellt, dass er nicht als Kindesvater in Betracht kommt.
Dem eigenen Glück muss eben immer „rechtlich” etwas nachgeholfen werden.

Prüfen Sie das geschilderte Geschehen hinsichtlich strafbarer Handlungsweisen.

B. X, Beamter des Bauamtes, steht wegen des Vorwurfes des Missbrauchs der Amtsgewalt vor Gericht, weil er nach Durchführung eines mangelhaften Bewilligungsverfahrens eine Baubewilligung untersagt haben soll. Bereits am Beginn der Hauptverhandlung erklärt die vorsitzende Richterin, deren Lebensgefährte der antragstellende Bauwerber war, dass sie eigentlich gleich das Urteil fällen könne, da der Amtsmissbrauch im gegebenen Fall auf der Hand liege. X wird verurteilt. Den Schädigungsvorsatz sieht das Gericht in der Arbeitsersparnis des Beamten begründet.
a) Zu welchen Rechtsmitteln würden sie X raten?
b) Hinsichtlich der Sanktion wird als erschwerend gewertet, dass gegen X bereits ein Verfahren wegen § 302 StGB anhängig war, dieses aber mangels Beweisen eingestellt werden musste und er vor einem Jahr wegen fahrlässiger Körperverletzung bei einem Verkehrsunfall verurteilt wurde. Welche Möglichkeiten hat X, die Strafe zu bekämpfen?
c) Als Sachverständiger zur Frage, ob bereits ein mangelhaftes Bewilligungsverfahren als Befugnismissbrauch iS des § 302 StGB zu werten sei, wurde der Vorgesetze des X geladen, welcher auch ein guter Freund der vorsitzenden Richterin ist. Kann X dies bekämpfen?

C. Y steht unter Betrugsverdacht (§ 146 StGB). Die StA beantragt daraufhin beim zuständigen Untersuchungsrichter das Erlassen eines Hausdurchsuchungsbefehls hinsichtlich der Wohnung des Y zwecks „Sicherstellung von Beweismaterial”. Der Hausdurchsuchungsbefehl wird erteilt. In der Wohnung des Y wird jedoch nichts für die Strafverfolgung Relevantes gefunden. Als die Polizei erkennt, dass die Nachbarwohnung von der Tochter des Y bewohnt wird, führt sie kurz entschlossen auch dort eine Hausdurchsuchung durch. Dabei werden Unterlagen entdeckt und beschlagnahmt, aus denen sich der Betrugsverdacht gegen Y erhärten lässt.
a) Ist diese Vorgangsweise zulässig? Kann das gefundene Beweismaterial gegen Y verwertet werden?
b) Y ist bereits wegen Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB) vorbestraft und wurde dafür zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Da der nunmehrige Betrug zeitlich vor der Veruntreuung vollendet wurde, wird über Y eine Zusatzstrafe von 4 Monaten Freiheitsstrafe verhängt. Die bedingte Strafnachsicht aus dem vorangegangenen Verfahren wird widerrufen. Ist dies zulässig? Wie kann Y die Sanktionsverhängung bekämpfen?
c) Zur Hauptverhandlung erscheint Y nicht. Aus verfahrensökonomischen Gründen wird auf die direkte Einvernahme der Zeugen in der Hauptverhandlung verzichtet. Es werden bloß deren Vernehmungsprotokolle aus dem Vorverfahren verlesen. Da Y nicht anwesend ist, wird von seinem Einverständnis dazu ausgegangen. Ist dies zulässig? Wie kann das Urteil bekämpft werden?