Im Wirtshaus zum Schluckspecht

Diplomprüfungsklausur
aus Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafvollzugsrecht und Kriminologie
28. Mai 1997

I. Strafrechtsfall:

Im Wirtshaus zum Schluckspecht versuchen A und B ihre schlechten Lebenserfahrungen im Wein zu ertränken. Als A, schon ziemlich alkoholisiert, wenngleich noch nicht volltrunken, ausfällig wird, weist der Wirt ihn aus dem Lokal. Voller Verbitterung macht sich A auf den Heimweg. An der Tür entnimmt er dem Schirmständer einen fremden Schirm im Glauben es sei sein eigener. Als er im Begriffe ist, damit zu gehen, kommt C, der Eigentümer des Schirms, auf ihn zu und macht ihn höflich auf die Verwechslung aufmerksam. A läßt sich jedoch nicht beirren und stößt den C, nachdem dieser ihm den Schirm gewaltsam entreißen wollte, heftig zur Seite. C fällt dabei mit dem Kopf auf eine Stufe, wobei er sich eine leichte Gehirner¬schütterung zuzieht. Wankenden Schrittes verläßt A hierauf mit dem Schirm die Gaststätte.
Froh über sein doch noch vorhandenes Durchsetzungsvermögen, aber dennoch verbittert über den Rausschmiß, nimmt A einen vor der Tür liegenden Stein und wirft ihn im Weggehen durch eine Scheibe der Gaststätte. Das erleichtert ihn sehr, zumal ihm der B beim Rausschmiß gesagt hat, „laß dir das nicht bieten“.
Danach besteigt A sein Auto und fährt, beide Fahrspuren benötigend, nach Hause. Auf der Fahrt überholt A mit zu geringem Seitenabstand einen Radfahrer, welcher sich schreckt und dabei zu Sturz kommt. A sieht im Rückspiegel den Sturz, da er den Radfahrer aber nicht mit dem Auto gestreift hat, nimmt er an, daß es zu keiner Verletzung gekommen ist und fährt weiter. Ein nachfolgender, mit zulässiger Geschwindigkeit fahrender PKW kann nicht rechtzeitig bremsen und überfährt den gestürzten Radfahrer. Der Radfahrer findet dabei den Tod. Durch den Sturz selbst wurde er nicht verletzt.
Wieder nüchtern, führt A am nächsten Tag erneut sein Weg ins Wirtshaus zum Schluckspecht. Der Wirt zeigt sich ziemlich ungehalten über die eingeschlagene Scheibe und erklärt A, daß er diese unbedingt ersetzen müsse. A ist selbstverständlich bereit, alle Kosten zu übernehmen und bittet, die anfallenden Rechnungen an ihn zu schicken. Angenehm überrascht erklärt der Wirt, daß aus seiner Sicht die Sache damit erledigt sei, doch gibt er A zu bedenken, daß er bereits heute morgen Anzeige gegen ihn bei der Polizei erstattet hatte. Den mitgenommenen Schirm, von dem A in der Zwischenzeit erkannt hat, daß es sich nicht um seinen eigenen handelt, will A behalten, da ihm selbst auch schon oft sein Schirm im Gasthaus abhanden gekommen ist.

Wie haben sich die beteiligten Personen strafbar gemacht ?

II. Prozeßfragen:

1. In alkoholisiertem Zustand schlägt A zum wiederholten Mal seine Lebensgefährtin (L). Verzweifelt schüttet diese ihr Herz bei der Freundin (F) aus. Im Einvernehmen mit L meldet F den Vorfall der Polizei und erstattet Anzeige. Über ihr Entschlagungsrecht belehrt, sagt L vor der Polizei über den Tathergang aus. In der Hauptverhandlung gegen A entschlägt sich L der Aussage, da sie wieder einmal A verziehen hat.
Darf in der Hauptverhandlung
a) das Polizeiprotokoll über die Angaben der Lebensgefährtin (L) verlesen werden ?
b) der Polizist, der das Protokoll über die Vernehmung der L aufgenommen hat, vernommen werden ?
c) die Freundin (F) über das ihr von L erzählte Tatgeschehen vernommen werden ?

2. Der heruntergekommene und immer in Geldnot befindliche A wird verdächtigt, in die Villa des Industriellen D eingebrochen zu sein und dabei wertvolle Kunstgegenstände gestohlen zu haben. Der StA stellt daher einen Strafantrag beim Einzelrichter des GH I bezüglich §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 iVm § 129 Z 1 StGB. A bestreitet entschieden die Tat, gibt aber in der Hauptverhandlung zu, aus Geldnot eine Woche zuvor S 5000,- aus der Geldtasche des X gestohlen zu haben. Da die belastende Beweislage hinsichtlich des Einbruchdiebstahles nur sehr dürftig ist, verurteilt der Einzelrichter A aufgrund seines glaubwürdigen Geständnisses nur wegen Diebstahles von S 5000,- nach § 127 StGB. Der Einbruchdiebstahl findet im Urteil keine Erwähnung.
War diese Vorgangsweise korrekt ? Welches Rechtsmittel könnte der Staatsanwalt, welches der Beschuldigte erheben ?

3. A wurde zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt, wobei ihm 12 Monate bedingt nachgesehen werden. A möchte nun seine Berufsausbildung, zu deren Beendigung er noch ein Jahr benötigen würde, fertigmachen und erst dann die Strafe antreten. Ist dies möglich ?