Die starke Frau

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(24.April 2003, Alter Studienplan)

„Die starke Frau”

A. Hugo X leidet sehr unter dem selbstbewussten Auftreten seiner emanzipierten Gattin Silke X und dem zunehmenden Autoritätsverlust zu Hause. Sein Arbeitskollege Otto Traummann rät ihm, seine Frau eine Woche lang zu Hause einzuschließen und ihr die Wohnungsschlüssel wegzunehmen. Nur mit einem unermüdlichen Kampf um altbewährte patriarchalische Prinzipien könne der zunehmenden Emanzipierung Einhalt geboten wer¬den.
Durch diese Aufmunterung bestärkt, begibt sich Hugo X mit geschwellter Brust nach Hause. Zu Hause angekommen, lässt er sich gemütlich vor dem Fernseher nieder und ordert bei seiner Gattin in patriarchalischem Befehlston das Servieren eines kühlen Bieres. Diese Aufforde¬rung veranlasst Silke X bloß zu einem Lachen und der schnippischen Antwort, dass er sich schon selber ein Bier holen müsse, wenn er eines wolle. Erbost über die offene Missach¬tung seiner „häuslichen Befehlsgewalt”, versperrt Hugo X daraufhin die Wohnungsein¬gangstüre und nimmt den Schlüssel an sich. Den verständnislosen Blick seiner Gattin beantwortet Hugo X damit, dass er erst dann den Schlüssel wieder herausgeben werde, wenn er sein Bier am Tisch habe.
Nachdem sie sich zwei Stunden schweigend gegenüber gesessen waren, fällt Silke X ein, dass sie sich mit ihrer Freundin Kathi S verabredet hat, die sie mit dem Auto abholt und sie daher dringend weggehen muss. Sie überlässt daher diesmal den „Sieg” ihrem „ge¬liebten” Ehegatten, bringt ihm sein gewünschtes Bier und bekommt als Gegenleistung die Wohnungsschlüssel.
Während der Autofahrt klagt Kathi S über Probleme mit ihrem geschiedenen Ehegatten Josef S. Dieser überweist meist nur verspätet die Unterhaltszahlungen für ihre gemeinsame Tochter. Offiziell ist er als arbeitslos gemeldet, verdient aber daneben „steuerfrei” ein schönes Einkommen als „Freizeithandwerker”. Silke X rät ihrer Freundin, Josef S mit einer Anzeige beim Finanzamt wegen der Schwarzarbeit zu drohen für den Fall, dass er weiter¬hin keinen Unterhalt leistet.
Rasch entwickelt sich während der Fahrt zwischen den beiden Frauen eine heftige Diskus¬sion über das indiskutable Verhalten von Männern. Als plötzlich vor ihnen ein langsam fahrendes Auto, gelenkt von einem „Mann mit Hut” auftaucht, fordert Silke X ihre Freundin auf, diese Schlafhaube von „Mann” zu überholen. Kathi S, durch das Gesprächsthema emotional bis aufs äußerste erregt, schert sofort mit dem Auto auf die Gegenfahrbahn aus und überholt mit weit überhöhter Geschwindigkeit ohne zu denken oder zu schauen in einer unübersichtlichen Rechtskurve. Gerade in diesem Moment kommt ein Auto entgegen. Ein Frontalzusammenstoß wird nur dadurch vermieden, dass der entgegenkommende Fahrzeuglenker geistesgegenwärtig in die an¬grenzende Wiese ausweicht. Der Fahrer bleibt unverletzt. Kathi S kommt mit ihrem Auto ins Schleudern und landet im Straßengraben. Kathi S und Silke X kommen mit mehreren Prellungen und Hautabschürfungen glücklich davon. Trotz Unfallschock sind sich beide Damen sofort einig, wen die Schuld am Unfall trifft: Die Männer!
Prüfen Sie das geschilderte Geschehen hinsichtlich strafbarer Handlungsweisen.

B. Gegen A wird ein Verfahren wegen des Verdachtes der Beteiligung an einem Raub (§ 142 StGB) geführt. A bestreitet, an der Tat beteiligt gewesen zu sein.
a) Gegen den Tatbeteiligten B wurde bereits abgesondert ein Verfahren wegen des gegen¬ständlichen Raubes geführt. Als er im Verfahren gegen A als Zeuge geladen wird, verweigert B die Aussage, da er befürchtet, sich zusätzlich belasten zu können. Der Staatsanwalt beantragt daraufhin die Verlesung des Protokolls aus der Hauptver¬handlung gegen B, wo dieser ein Geständnis abgelegt hatte und rechtskräftig verur¬teilt wurde. Der Richter verliest hierauf das Geständnis, welches in der Folge auch eine wesentliche Grundlage des Urteils bildet. Ist dies zulässig? Kann das Urteil bekämpft werden?
b) Im Urteil wird A zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen und einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Eine bedingte Strafnachsicht lehnt das Gericht ab, da gegen A auch wegen einer anderer Straftat noch ein Verfahren anhängig ist. Welches Rechts¬mittel hat A?
c) Das Opfer des Raubes gibt als Zeuge an, die Täter in der Dunkelheit nicht genau er¬kannt zu haben. Im Urteil findet sich ua die Feststellung, dass die Täter vom Opfer eindeutig identifiziert werden konnten. A wird daher verurteilt. Welche Rechtsmittel¬möglichkeiten hat er?

C. X wird vom Bezirksgericht wegen schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) verur¬teilt. X behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben und führt als Zeugin seine Freundin an, die das Geschehen genau verfolgt hat. Das Gericht lehnt die Einvernahme der Zeugin ab, da diese kaum glaubwürdig sei.
a) Welche Rechtsmittelmöglichkeiten hat X?
b) Der Verteidiger des X kann wegen Erkrankung eine Woche lang nicht ins Büro kom¬men. Seine Kanzleikraft informiert ihn erst nach seiner Rückkehr über die Rechtsmit¬telausführungsfrist, welche jedoch inzwischen abgelaufen ist. Unter welchen Voraus¬setzungen ist eine Wiedereinsetzung möglich?
Wie lange ist die Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag und wann beginnt sie zu laufen?
c) Das Tatopfer erhält ein Schmerzengeld von € 1000,- zugesprochen und wird mit dar¬über hinausgehenden Forderungen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Kann das Tat¬opfer das Urteil bekämpfen, wenn es der Meinung ist, zuwenig an Schmerzengeld zu¬gesprochen bekommen zu haben?