Dorfkaiser

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(1. Februar 2002, Alter Studienplan)

(„Der Dorfkaiser“)

A. Sepp Freundlich, Hotelier im idyllischen Wintersportort Hinterwald, möchte noch rechtzeitig vor Beginn der Wintersaison einen Zubau zu seinem Hotel errichten. Er bringt daher ein vollständiges Bauansuchen mit allen gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen bei dem als Baubehörde I. Instanz für Baubewilligungen zuständigen Bürgermeister des Ortes, Franz Dorfkaiser, ein. Dieser sieht für die Bewilligung kein Problem und verspricht seinem Freund Sepp, dass der Akt rasch erledigt werde und er den Zubau rechtzeitig vornehmen werde können.
Zuständiger Sachbearbeiter im Gemeindeamt ist Hugo Quassler, der mit dem Zubau nur wenig Freude hat, da er unmittelbarer Grundstücksnachbar des Hotels ist. Er möchte die Bauabsichten von Sepp Freundlich mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln behindern. Obwohl Hugo Quassler trotz seiner beruflichen Stellung bloß bescheidene juristische Kenntnisse aufweisen kann, ist er sich zumindest bewußt, dass er einen vollständigen Bauantrag zu bearbeiten hat. In Überschätzung seiner „amtlichen Allmacht“ lässt er Sepp Freundlich jedoch wissen, dass sein Bauansuchen nicht den „dörflichen Mindestanforderungen“ entspreche und er noch weitere Unterlagen vorlegen müsse. Bis dahin werde er den Akt nicht einmal in die Hand nehmen. Was der „dörfliche Mindeststandard“ von Hinterwald bei Bauansuchen ist, kann Hugo Quassler freilich nicht konkretisieren, da das Gesetz einen solchen nämlich nicht kennt.
Sepp Freundlich lässt Hugo Quassler daraufhin ziemlich unfreundlich ausrichten, dass er den Rechtsweg beschreiten werde. Nur beginnt dieser für ihn nicht beim Gemeindeamt, sondern bei der Staatsanwaltschaft. In seiner juristischen Blauäugigkeit beeindruckt Hugo Quassler dies nur wenig, denn seines Wissens nach ist die Staatsanwaltschaft wohl kaum für Baufragen zuständig.
Nichts desto trotz beginnt Sepp Freundlich auch ohne Baubewilligung mit seinem Hotelzubau, da die Zeit drängt. Als der Bürgermeister, Franz Dorfkaiser, vier Wochen später am Stammtisch von der Sache erfährt, erteilt er Hugo Quassler die Weisung, das Bauverfahren unverzüglich gesetzmäßig durchzuführen und gegen die bereits begonnene Bautätigkeit zwischenzeitlich nichts zu unternehmen. Hugo Quassler fügt sich der doch höheren Macht des Dorfkaisers.
Viel mehr belastet den Dorfkaiser Franz jedoch ein ganz anderes Problem: Seine geschiedene Ehefrau droht ihm mit einer Anzeige, wenn er nicht den seit 7 Monaten ausständigen Unterhaltsleistungen für den 8 jährigen ehelichen Sohn nachkommt. Franz Dorfkaiser sieht nicht ein, warum er diese bezahlen soll, wenn zum einen seine Ex-Ehefrau nunmehr zusammen mit ihrem Sohn bei einem reichen Liebhaber wohnt und zum anderen im Dorf gemunkelt werde, dass der vermeintlich eheliche Sohn aus einem Seitensprung mit besagtem Liebhaber stamme. Schluss mit der sonnig freundlichen Dorfidylle!

Wie haben sich die beteiligten Personen strafbar gemacht?

B. Die geschiedene Ehefrau des Dorfkaisers erstattet tatsächlich Anzeige bei der Polizei wegen der nicht geleisteten Unterhaltszahlungen. Der zuständige Bezirksanwalt weiß zwar aus verlässlicher Quelle, dass der Sohn aus einem Seitensprung der Ehegattin stammt, er will jedoch die Geschichte rasch diversionell erledigen und tritt von der Verfolgung unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren zurück. Zusätzlich trägt er Franz Dorfkaiser auf, die ausständigen Unterhaltszahlungen zu entrichten und auch einen Unterhaltsvorschuss für die nächsten 3 Monate zu leisten.
a) Ist diese Vorgangsweise zulässig? Was kann Franz Dorfkaiser unternehmen, wenn der Diversionsvorschlag seiner Meinung nach gesetzwidrig und daher „unannehmbar“ ist?
b) Nachdem eine diversionelle Erledigung gescheitert ist, wird Franz Dorfkaiser vom örtlichen Bezirksrichter zu einer Geldstrafe verurteilt, deren Vollzug für die Dauer einer Probezeit von 5 Jahren bedingt nachgesehen wird. Auch der Richter erteilt die Weisung, die ausständigen Unterhaltszahlungen zu entrichten und einen Unterhaltsvorschuss für die nächsten 3 Monate zu leisten. Ist dies gesetzmäßig, wie kann das Urteil bekämpft werden?
c) Wie kann Franz Dorfkaiser geltend machen, dass er nicht der Vater des Kindes ist?

C. Gegen den Gemeindebeamten A wird, wegen des Verschwindens anvertrauter Gelder, Anklage wegen Amtsmissbrauch erhoben (§ 302 StGB). A kann sich keinen Anwalt leisten und erscheint daher unvertreten. Auf die Frage des Richters, ob er einen Verfahrenshelfer beantragen wolle, meint A, dass er promovierter Jurist sei, die Tat gestehe und daher keinen Verteidiger brauche. Erfreut über den verfahrensökonomischen Kooperationswillen verurteilt das Gericht A nur wegen § 133 StGB.
a) Welche Fehler des Urteils können mit welchem Rechtsmittel bekämpft werden?
b) Mit der Ausführung seiner Nichtigkeitsbeschwerde möchte A doch einen Rechtsanwalt betrauen. Welche Möglichkeiten hat er? Wie wirkt sich das jeweilige Vorgehen von A auf den Lauf der Rechtsmittelfrist aus?
c) In einem schöffengerichtlichen Verfahren meldet der Verteidiger eines Beschuldigten gleich nach Urteilsverkündung ein RM an. Der Beschuldigte verzichtet jedoch eine Wochen später auf sein Rechtsmittel. Was hat das Rechtsmittelgericht zu tun, wenn der Verteidiger dennoch eine bereits vorbereitete Ausführung seiner Nichtigkeitsbeschwerde einbringt?
d) In einem bezirksgerichtlichen Verfahren möchte ein Rechtsanwalt mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO die Beweiswürdigung bekämpfen. Das Rechtsmittelgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde in nichtöffentlicher Sitzung zurück. War das Vorgehen des Gerichtes korrekt?