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Wertewandel. Konservatismus-Trend in der Corona-Krise gestiegen

Wie verändern sich die Werte und Einstellungen der Menschen in Zeiten der Pandemie? Salzburger Soziologen sind an einer weltweiten Längsschnittstudie zu dieser Frage wesentlich beteiligt. Für Österreich zeigt sich nach einem Jahr Pandemie ein verstärkter Konservatismus-Trend. Werte die auf die Bewahrung der Ordnung abzielen, gewinnen an Bedeutung. Werte die auf Unabhängigkeit und Hedonismus ausgerichtet sind, werden weniger wichtig. Ein bemerkenswertes Ergebnis im internationalen Vergleich: Österreich war im Mai 2020 unter allen 17 beteiligten Ländern das Land mit den geringsten Sorgen um die Gesundheit und um wirtschaftliche Folgen. Salzburg hat die Aufbereitung der globalen Daten nach Österreich geholt. 

 Es ist ihr wichtig, neue Ideen zu entwickeln und kreativ zu sein. Sie macht Sachen gerne auf ihre eigene originelle Art und Weise. Bitte geben Sie an, wie ähnlich oder unähnlich Ihnen die beschriebene Person ist.“ 21 solcher Portraits zur Messung von Grundwerten und ungefähr 300 andere Fragen zu politischen und sozialen Einstellungen enthält die international vergleichende Umfrage zu Werten in der Krise („Values in Crisis“, VIC ). Die Initiative geht auf den deutschen Politikwissenschaftler und Werteforscher Christan Welzel zurück, der im März 2020 einen   globalen Aufruf zur Mitwirkung an der ländervergleichenden Umfrage publiziert hat. Federführend für das Projekt in Österreich ist das Methodenteam der Abteilung Soziologie der Universität Salzburg um Wolfgang Aschauer und Alexander Seymer, in Kooperation mit Soziologen der Universität Graz und Linz (  Team des Sozialen Survey Österreich).

Längsschnitt-Design im Ländervergleich ist Alleinstellungsmerkmal der Studie

Eine Besonderheit der Studie ist das Längsschnitt-Design mit drei Erhebungswellen in allen teilnehmenden Ländern. „Die gleichen Proband*innen werden im Jahresrhythmus befragt, um potentielle Werteveränderungen in der Krise zu prüfen. Die zweite Erhebung läuft aktuell in vielen Ländern und betrifft die Phase, wo ein Ende der Krise in Sicht scheint. Eine finale dritte Erhebung ist 2022 geplant, wenn hoffentlich die ökonomisch und sozial tiefgreifenden Folgen der Krise einigermaßen überwunden sind“, erläutert Wolfgang Aschauer.

17 Länder nehmen an der „Values in Crisis“ Studie teil; sieben Länder in Europa (Deutschland, Österreich, UK, Schweden, Polen, Italien, Griechenland), zwei lateinamerikanische Länder (Brasilien, Kolumbien), fünf Länder aus Asien (Japan, China, Hongkong, Südkorea, die Malediven) und drei Länder aus den GUS-Staaten (Russland, Kazachstan, Georgien).

Die Datenaufbereitung der weltweiten Erhebung findet in Österreich statt, auf Initiative der Salzburger Soziologen und in enger Zusammenarbeit mit dem „Austrian Social Science Data Archive“ AUSSDA (Otto Bodi-Fernandez und Manfred Herzog). „Die internationale Aufbereitung und Harmonisierung der Daten ist ein äußerst komplexer Prozess, der mehrere Monate Zeit in Anspruch nimmt. Es beginnt mit Sprachproblemen. Der Masterfragebogen ist Englisch, sowohl die Übersetzung in die unterschiedlichen Sprachen als auch die Rückübersetzung ins Englische stellen eine große Herausforderung dar. Sehr schwierig ist auch die Harmonisierung von Variablen wie Einkommen und Bildung. Und bei den Verträgen mit den Kooperationspartnern spielen schließlich verschiedene Wissenschaftskulturen eine nicht zu unterschätzende Rolle,“ erläutert Alexander Seymer und ergänzt „Es ist für uns ein großer Erfolg, dass erstmals eine Umfrage zu den sozialen Auswirkungen der Pandemie im weltweiten Vergleich für die Analyse bereitsteht und im österreichischen Datenarchiv frei zugänglich für die globale Scientific Community der Werteforscher*innen zur Verfügung steht.“ In Kürze werden die Daten der ersten internationalen Erhebungswelle auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Österreich als „Zuversicht-Weltmeister“ zu Pandemie-Beginn

Für Österreich im internationalen Vergleich besonders interessant ist, dass es am Beginn der Pandemie sowohl in der Wahrnehmung der gesundheitlichen Folgen als auch der wirtschaftlichen Auswirkungen als „Zuversicht-Weltmeister“ einzustufen ist, sagt Wolfgang Aschauer. „Im Zuge der ersten Erhebungen im Mai 2020 war nirgends die Angst geringer, dass man selbst oder Nahestehende lebensbedrohlich erkranken könnten. Auch die Ängste vor wirtschaftlichen Folgen blieben im Rahmen. Hier teilt sich Österreich den vorderen Platz mit Schweden, knapp gefolgt von Deutschland, wobei sichtlich jene Länder an der Spitze stehen, in denen der Eindruck vorherrscht, dass wirtschaftliche Krisenfolgen durch umfassende wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen entsprechend abgemildert werden können.“ 

Und wie steht es um die Zufriedenheit mit dem staatlichen Krisenmanagement? Da schneidet Österreich in der Anfangsphase, aber nur in dieser, gut ab. „Insgesamt ist die Zufriedenheit mit dem staatlichen Krisenmanagement in China am höchsten und in Hongkong am geringsten. Wobei Umfragen hier stets mit Bedacht sensibel interpretiert werden müssen. Während in China Kritik an der Regierung kaum geäußert werden darf, war das Jahr 2020 in Hongkong von massiven Protesten gegen die repressiven Gesetzesvorlagen unter chinesischem Einfluss begleitet“,  gibt Aschauer zu bedenken.

Österreich nach einem Jahr Corona: Konservative Werte weiter im Aufwind

Während international die zweite Erhebung teils noch läuft, wurde sie für Österreich im April 2021 abgeschlossen. Über 2000 Personen nahmen daran teil, wobei davon 1200 Personen auch bei der ersten Umfrage mitwirkten. Erste Analysen liegen nun vor, wodurch erstmals direkte Werteveränderungen nach einem Jahr Pandemie (bei denselben Personen) nachgewiesen werden können. „So zeigt sich zum Beispiel, dass sich im Wertevergleich aus etablierten Umfragen über die letzten Jahre, insbesondere seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, ein Trend zu konservativen Werten in Österreich manifestiert, der sich in der Pandemie weiterfortsetzt. Grundlegende Werthaltungen wie Unabhängigkeit und Hedonismus gehen zurück, während Konformität als Grundwert in der Bevölkerung stärker erkennbar wird“, resümiert Wolfgang Aschauer. Im Hinblick auf Egoismus und Altruismus zeigen sich wenig Veränderungen. Der Studie liegt das Wertekonzept des israelischen Psychologen Shalom Schwartz zugrunde.

Bezüglich Zukunftserwartungen stellt sich eine leicht resignierende Haltung ein, beobachtet Aschauer. „Obwohl sich die Mehrheit Umverteilung und weniger Leistungsdruck wünscht und eine Schwerpunktverlagerung in Richtung Nachhaltigkeit begrüßt, erwarten die meisten Österreicher*innen nicht, dass das Miteinander und die Rücksichtnahme durch die Pandemie gestärkt wird oder dass die Systemerhalter*innen besser bezahlt werden.“

Deutlich gestiegen sind derweil die Ängste in der Bevölkerung vor gesundheitlichen Folgen, relativ gleichmäßig verteilt nach Alter und Bildung der Befragten. Die Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen sind hingegen ungleich verteilt: Besonders ausgeprägt sind sie bei niedriger Qualifikation sowie im jungen und mittleren Erwachsenenalter. Stark zugenommen hat die Unzufriedenheit mit der Regierung und es wird kaum noch von einer erhöhten Solidarität zwischen Mitmenschen berichtet. „Nachdem in Österreich im Mai 2020  der Eindruck vorherrschte, dass unser Land gut durch die Pandemie gekommen ist, reiht es sich durch die Erfahrungen des schwierigen Winterhalbjahres nun nahtlos in die Stimmungslage anderer Länder ein. Es ist eine deutliche Pandemiemüdigkeit zu konstatieren,“ so Aschauer.

Studie:
Values in Crisis Austria [1]   https://data.aussda.at/dataset.xhtml?persistentId=doi:10.11587/H0UJNT

Foto: v.li.n.re: Markus Kreuzberger, Wolfgang Aschauer, Alexander Seymer, Laura Reiter.
Fotonachweis: Daniela Gruber 

Kontakt:
Wolfgang Aschauer
MMAG. Dr. Assoz.-Prof.
Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie
Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)
Rudolfskai 42 | 5020 Salzburg
Tel.: +43 662 8044 – 4105
Email: 
www.plus.ac.at/soziologie/aschauer

Alexander Seymer
Dr. Dipl.-Soziol.
Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie
Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)
Rudolfskai 42 | 5020 Salzburg
Tel.: +43 662 8044 – 4116
Email: 

Foto: v.li.n.re: Markus Kreuzberger, Wolfgang Aschauer, Alexander Seymer, Laura Reiter | © Daniela Gruber

© Daniela Gruber