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Universität Salzburg: Die neue Professorin für Zeitgeschichte untersucht Nachwirkungen des Nationalsozialismus und Rechtsextremismus

Margit Reiter ist seit Oktober 2019 als neue Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Universität Salzburg tätig. Bisherige Forschungsschwerpunkte waren u.a. Antisemitismus in der österreichischen Linken, die Kinder der Täter im Nationalsozialismus und die Geschichte der Freiheitlichen Partei, die vor kurzem unter dem Titel „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“ publiziert wurde.

Neu aufbauen in Salzburg will Reiter die historische Rechtsextremismus-Forschung im europäischen Vergleich sowie die Lehre zur afrikanischen Geschichte der Kolonialzeit und deren Rückwirkung auf Europa (Debatten um Restitution von geraubten Sammlungen).  

Es war keine klassisch geradlinige Karriere, die die 1963 in einem kleinen Dorf geborene Margit Reiter im Oktober 2019 über viele – auch außeruniversitäre – Stationen schließlich zur Professur für Europäische Zeitgeschichte an die Universität Salzburg geführt hat, wo sie knapp vier Jahrzehnte zuvor (1983/84) das Studium der Geschichte und Germanistik begonnen hatte.

Abgeschlossen hat sie das Studium 1998 an der Universität Wien mit einer Dissertation über den „Antisemitismus in der österreichischen Linken und ihr Verhältnis zu Israel“ (publiziert unter dem Titel „Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoa“, 2001). In dieser Arbeit zeigte sie auf, dass sich linke Positionen und Antisemitismus nicht ausschließen, wie man lange geglaubt hatte. Für Österreich war Reiter die Erste, die in systematischer Form den Blick auf dieses Thema richtete. „Mir ging es – wie bei all meinen Themen – darum, dass ich versuche, so differenziert wie möglich an die Thematik heranzugehen und Erklärungen zu finden, was ja Aufgabe von Wissenschaft ist.“  Dazu gehöre ein kritischer Geist, der oft auch gegen den Mainstream forscht, so Reiter. 

Nach der Promotion folgten zwei Jahre als Assistentin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, danach zwei Jahre als Charlotte Bühler Habilitationsstipendiatin, anschließend Forschungen als FWF Research Fellow an den Universitäten Wien und Salzburg, später Forschungen am Berliner Kolleg für vergleichende Geschichte Europas (FU Berlin) und am Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin). 

Ihre Habilitationsschrift über die Verarbeitung des Nationalsozialismus bei „Kindern der Täter“ wurde unter dem Titel „Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis“ (2006) publiziert und erhielt den Bruno Kreisky Anerkennungspreis für das politische Buch. 2018 wurde es neu aufgelegt. Wie wurden die Kinder von ehemaligen Nationalsozialisten geprägt? Wie gingen sie mit dem familiären Erbe um? Antworten darauf suchte Reiter in Interviews mit VertreterInnen der Nachfolgegeneration. „Dass über den Nationalsozialismus immer geschwiegen wurde, wie es heißt, stimmt nicht. Es wurde sehr wohl darüber geredet, aber vieles ausgeblendet.“ Was Reiter in den Interviews besonders aufgefallen ist: So sehr sich ein Teil der Befragten rational von der NS-Vergangenheit seiner Eltern – teilweise radikal – löste, so schwer fiel es den meisten, sich emotional zu distanzieren.

Und wie ist Reiters familiärer Bezug zum Nationalsozialismus? „Es gibt bei mir keinen direkten NS-Bezug. Meine Großeltern sind eher christlich sozial, konservativ-ländlich einzuordnen. Was nicht heißt, dass sie nicht auch Nazis hätten sein können. Für mich war meine Forschung das Kennenlernen eines ganz neuen Milieus.“

Neben einigen Gastprofessuren hatte Reiter mehrere renommierte Fellowships inne, u.a. ein Botstiber Fellowship for Austrian American Studies (2013/14) und ein Senior Fellowship am Zentrum für Holocaust Studien am Institut für Zeitgeschichte (IFZ) München (2016).

Von 2014 bis 2018 durchleuchtete sie in einem FWF-Projekt am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien die Frühzeit der FPÖ. Daraus ging das politisch hoch aktuelle Buch „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“ (2019) hervor. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die Ehemaligen jene Nationalsozialisten, die auch nach Kriegsende ihren Überzeugungen treu blieben. Zur Frühgeschichte der FPÖ gab es bisher nur von der Partei selbst verfasste Darstellungen, aber keine kritische Aufarbeitung. In über 300 Seiten dokumentiert Reiter die ersten Jahrzehnte der FPÖ und ihrer Vorgängerorganisation, dem „Verband der Unabhängigen“ (VdU), der 1949 in Salzburg gegründet wurde und 1955 in der FPÖ aufging. Reiter zeichnet den Weg des „Dritten Lagers“ und seiner führenden Köpfe in den Nachkriegsjahren nach, mit einem Abriss bis in die Gegenwart. „Man sieht sehr viele personelle, ideologische und strukturelle Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der FPÖ“ resümiert Reiter, die als kritische Kommentatorin zum im Dezember 2019 präsentierten FPÖ- Historikerbericht medial sehr gefragt war. Der selbstauferlegte Historikerbericht sollte – anlässlich der Liederbuch-Affäre – die braunen Flecken der Partei beleuchten. Eingeräumt wurde zwar, dass sich in der frühen FPÖ mehr ehemalige Nationalsozialisten als bei anderen Parteien in Führungspositionen befanden, aber Faktoren wie die immer noch enge Verbindung zu den Burschenschaften wurden nahezu ganz ausgelassen, kritisiert Reiter. „Der Antisemitismus ist in der FPÖ immer noch ein Thema. Offensichtlich will und kann man sich von der Vergangenheit nicht wirklich lösen. Wenn man die Geschichte der FPÖ kennt, glaube ich, versteht man sehr gut, warum die heutige FPÖ so agiert und funktioniert wie sie es tut und wie man im Historikerbericht wieder gesehen hat.“

In den nächsten Jahren an der Universität Salzburg will Reiter ihre historische Rechtsextremismus-Forschungen auf den europäischen Raum ausdehnen. „Speziell vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um den Rechtsruck ist es interessant, die NS-Nachgeschichte in verschiedenen Ländern zu vergleichen. Warum war In Österreich die FPÖ immer im Parlament, warum hatte in Frankreich die Rechte um Le Pen lange keinen Platz im politischen System? In Deutschland wurden rechtsextreme Parteien zum Teil verboten, jetzt ist die AfD ein neues und spezielles Phänomen. Eine wieder andere Frage ist die nach den historischen Hintergründen für den Rechtsruck in Osteuropa.“

Das Interesse Reiters gilt jedoch nicht nur Europa, sondern auch der afrikanischen Geschichte, im Besonderen der Genozidforschung (Völkermord in Ruanda 1994, Völkermord an den Herero und Nama nach der Niederschlagung der Aufstände gegen die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts.) Im Fokus von Reiters Forschung stehen folgende Fragen: Wie wirkt der ehemalige Kolonialismus auf Europa zurück? Wie gestalten sich die Debatten um die Restitution von in der Kolonialzeit geraubter Sammlungen in ethnologischen Museen, nicht nur in Deutschland oder Frankreich, sondern auch in Österreich?

„Mir liegt die Forschung sehr am Herzen, genauso ist mir aber auch ihre gesellschaftspolitische Dimension wichtig. Ich will deswegen im Sinne einer public history auch in die Öffentlichkeit hinausgehen“, betont die Historikerin, die neben ihrem neuen beruflichen Standort in Salzburg privat auch in Wien verankert ist.

Fotonachweis: Luigi Caputo

Kontakt
Margit Reiter
Professorin für Zeitgeschichte
Universität Salzburg Rudolfskai 42
5020 Salzburg
t.: +43 (0) 662 8044-4741

Foto: L. Caputo

 

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