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Der Abgasskandal und die Rechtsschutzmöglichkeiten

Welche Rechtsschutzmöglichkeit – Gewährleistung oder Irrtum – ist für Käufer der vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Autos vorteilhafter? Die Juristin Christina Buchleitner hat in ihrer an der Universität Salzburg abgelegten Dissertation die beiden Rechtsbehelfe gegenübergestellt. Nun hat die 26jährige Wienerin dafür den ersten Preis beim Young Investigators Award der Universität Salzburg gewonnen.

Mitte September 2015 platzte der VW-Abgasskandal um Dieselmotoren aus der Konstruktionsserie EA 189, die mit Hilfe einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware Abgastests manipuliert worden waren. In Österreich sind 340.000 Autos betroffen. Während VW in den USA für die manipulierten Fahrzeuge an Strafe und Schadenersatz über 25 Milliarden Euro zahlt, bietet der Konzern in Europa nur Software-Updates. Betroffene Käufer, die sich damit nicht zufrieden geben wollen und eine Vertragsauflösung anstreben, also das Auto zurückgeben und ihr Geld zurückbekommen wollen, haben in Österreich neben Schadenersatz noch weitere Rechtsschutzmöglichkeiten: Gewährleistung und Irrtum.

Welcher Rechtsbehelf (nicht nur beim Abgasskandal, sondern bei vielen Sachverhalten wie zum Beispiel auch beim Handykauf oder dem Kauf einer Eigentumswohnung) vorteilhafter für den Käufer ist, hängt sehr vom Einzelfall ab, sagt Christina Buchleitner. Was wurde etwa in der Werbung angepriesen oder im individuellen Verkaufsvorgang besprochen?

Die Wahl der Rechtsbehelfe hat jedenfalls für den konkreten Rechtsschutz des Gläubigers maßgebliche Bedeutung, betont die Juristin. Das Irrtumsrecht, das seit den Anlegerprozessen eine Renaissance erlebt, ist Buchleitner zufolge nicht immer die die aussichtsreichere Option. „Dass das Irrtumsrecht ein schlagkräftiger Rechtsbehelf ist, der Beschränkungen der Gewährleistung zumindest zum Teil wettmacht, ist theoretisch zwar richtig, praktisch in manchen Fällen schwer durchsetzbar.“  Das bestätigen auch Entscheidungen in der Causa Abgasskandal. „Es gibt in Österreich Entscheidungen, die die Irrtumsanfechtung mangels Nachweis eines wesentlichen Irrtums ablehnen. Umgekehrt gibt es Entscheidungen, wonach dem Käufer aufgrund von Unzumutbarkeit der Nacherfüllung Gewährleistung in Form einer Vertragsauflösung zusteht.“

Worin liegen demnach die Stärken und Schwächen der beiden Rechtsschutzmittel? Bei der Gewährleistung haftet der. Verkäufer für jeden Mangel, der zum Zeitpunkt der Übergabe der Ware bestanden hat. Die Gewährleistung ermöglicht es dem Käufer also relativ leicht, Ansprüche geltend zu machen. Diese sind allerdings kein Freibrief zur Vertragsauflösung. Denn der Verkäufer hat das Recht auf eine zweite Chance. Die Gewährleistung sieht nämlich vor, dass der Käufer zunächst dem Verkäufer die Möglichkeit einräumen muss, Verbesserungen vorzunehmen.

„Und dieser Punkt erweist sich bei Gerichtsprozessen oft als Haken, denn die meisten Käufer wollen keine Verbesserung, sondern sie wollen das Auto zurückgeben und ihr Geld zurück. Kann der Mangel aber durch ein Software-Update verbessert werden und ist ihm die Verbesserung auch zumutbar, bekommt der Käufer sein Geld nicht ohne Weiteres zurück.“

Mitunter wird auch diskutiert, ob überhaupt ein Mangel vorliegt, weil die manipulierte Abgassoftware nicht zu einer Beeinträchtigung der Betriebssicherheit des Autos führt. „Es gibt in der Rechtsprechung auch Tendenzen, den Verbesserungsvorrang zugunsten des Käufers auszuhebeln, also zu sagen, die Verbesserung ist dem Käufer nicht zumutbar, weil der Skandal das Vertrauen in VW gravierend erschüttert hat.“ Erst kürzlich hat das OLG Wien im Fall eines Audi-Besitzers entschieden, dass das Software-Update zur Korrektur der manipulierten Abgasreinigung das Auto nicht mangelfrei mache.

Ein oft strittiger Punkt ist die objektive Haftung für Werbeaussagen („Clean Diesel“). Während sie in der österreichischen Rechtspraxis bislang wenig Bedeutung hat, könnte sich das hinkünftig ändern. Das Europarecht, das Ursprung dieser Idee ist, überformt auch unser Gewährleistungsrecht, betont Buchleitner: „Auch wenn die europarechtlichen Vorgaben schon seit Jahren in das österreichische Recht übernommen wurden, befinden sich diese doch noch häufig in einem Dornröschenschlaf. Denn man haftet grundsätzlich auch für das, was man in der Werbung sagt oder über sich sagen lässt.“

Wegen der Wenn und Aber bei der Gewährleistung wird zur Vertragsauflösung vielfach auf das Irrtumsrecht zurückgegriffen. Dieses ermöglicht grundsätzlich eine Vertragsauflösung, wenn der Käufer nachweisen kann, dass er beim Kauf einem wesentlichen Irrtum unterlegen ist. Dass er etwa darüber geirrt hat, ein umweltfreundliches Auto mit bestimmten Emissionswerten zu kaufen. Ein Recht auf eine zweite Chance für den Verkäufer sieht das Irrtumsrecht nicht vor. Deshalb ist es theoretisch für den Käufer vorteilhafter als die Gewährleistung.

„Allerdings erfordert eine Irrtumsanfechtung den Nachweis, dass die versprochenen Emissionswerte so maßgeblich für den Vertragsabschluss waren, dass das Auto ansonsten gar nicht gekauft worden wäre.  Dieser Nachweis ist schwer zu erbringen. Und er hängt in der Praxis stark von der Beweiswürdigung des Gerichts ab. Es kommt also ganz darauf an, ob der Richter dem Kläger glaubt oder nicht.“  Für die Gewährleistung muss ein solcher Beweis nicht erbracht werden. Bei den Fällen, die in Österreich verhandelt wurden, gibt es sehr unterschiedliche Entscheidungen und es fehlt noch die finale Klärung durch den Obersten Gerichtshof (OGH), betont Christina Buchleitner. Außerdem müssen einige Begriffe der Gewährleistung erst noch europarechtskonform ausgelegt werden.

„Die in der Theorie oft günstigeren Irrtumsbehelfe sind in der Praxis nicht so leicht durchzusetzen wie dies Lehrbücher verheißen. Und die Haftungsfrage ist insgesamt nicht so eindeutig wie medial oft dargestellt“, resümiert die bereits vielfach ausgezeichnete Juristin, die selber kein Auto, sondern ein Moped fährt.

„Gewährleistung und Irrtum, diese beiden Rechtsbehelfe, die ich in meiner Dissertation gegenübergestellt habe, sind auf viele  Sachverhalte anwendbar, von Unternehmenskäufen, Liegenschaftstransaktionen bis hin zu den Anlegerprozessen. Das macht das Thema so interessant und relevant.“ Die Dissertation wurde von Professor Andreas Kletečka und Professor Wolfgang Faber von der Universität Salzburg betreut. Buchleitner arbeitet derzeit als Rechtsanwaltsanwärterin in Wien und wird im Herbst die Anwaltsprüfung ablegen. Mit den Rechtsschutzmöglichkeiten beim Abgassskandal hat sie sich zwar wissenschaftlich sehr intensiv beschäftigt, sie vertritt jedoch nicht in VW Fällen.

Kontakt: Dr. Christina Buchleitner

Fotonachweis: Kolarik

UNI Salzburg Dr. Christina Buchleitner | Foto: Kolarik Andreas

UNI Salzburg Dr. Christina Buchleitner Foto: Kolarik Andreas 09.07.2019