Pressemeldungen

Podiumsdiskussion: Gegen Kinderarmut mit „Kindergrundsicherung“

Das Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg veranstaltet am 6. Juni 2019 in Kooperation mit Arbeits- und Sozialrechtsexperten der Universität Salzburg, mit Vertreter/innen der Salzburger Armutskonferenz, der Volkshilfe und der Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg eine Podiumsdiskussion zum Problem der wachsenden Kinderarmut.

Vor allem angesichts der neuesten sozialpolitischen Entwicklungen (Sozialhilfe Neu) ist Kinderarmut ein brisantes Thema. Im Fokus der Diskussion steht u.a. das aktuell von der Volkshilfe entwickelte Modell der „Kindergrundsicherung“, das vererbte Bildungs- und Einkommensarmut stoppen und Chancengleichheit für alle Kinder sicherstellen will.

Am Podium diskutieren:  

Nikolaus Dimmel (Universität Salzburg)
Barbara Erblehner-Swann (kija)
Erich Fenninger (Volkshilfe)
Elisabeth Kocher (Salzburger Armutskonferenz)
Walter Pfeil (Universität Salzburg)

Obwohl in Österreich (nach den Daten der EU SILC 2018, veröffentlicht im April 2019) insgesamt bei der Armutsgefährdung ein Rückgang zu verzeichnen ist – 2018 hat es um 7000 weniger armutsgefährdete Menschen gegeben als im Jahr davor –  hat sich die Kinderarmut verschärft. 8000 Kinder und Jugendliche mehr waren 2018 armutsgefährdet. Das sind 332.00 Menschen unter 19 Jahren (bzw. 235.000 unter 18 Jahren).

Durch die Reduzierung der Kinderrichtsätze im kürzlich beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (Sozialhilfe Neu) werde die Kinderarmut weiter steigen, kritisieren Experten. Walter Pfeil vom Fachbereich Arbeits- und Sozialrecht der Universität Salzburg hält das Grundsatzgesetz für verfassungsrechtlich bedenklich. „Kinder und Jugendliche gehören unstrittig zu den am meisten von Armut und Armutsgefährdung bedrohten Gruppen in unserer Gesellschaft. Dennoch sollen gerade die zur Bekämpfung dieser Risiken vorgesehenen materiellen Leistungen gekürzt werden. Die Vorgaben dafür im eben beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sind verfassungsrechtlich bedenklich“, und Pfeil ergänzt: „Diese Bedenken können auch nicht dadurch ausgeräumt werden, dass die Länder die Möglichkeit – nicht die Verpflichtung! –  haben, für Alleinerzieher/innen-Haushalte höhere Geldleistungen zu gewähren. Auch der Hinweis, dass ohnedies noch die Familienbeihilfe dazukäme, ist politisch irreführend und rechtlich problematisch, weil diese „Gießkannenleistung“ allen ohne jegliche Vorleistung gebührt und damit auch wohlhabenden Eltern zu Gute kommt, so dass sie – gerade unter Gerechtigkeitsaspekten – nicht den Bedürftigen vorgehalten werden darf.“  

Die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle (60 Prozent des Median-Pro-Kopf-Haushaltseinkommens) beträgt 1.259 Euro monatlich für einen Einpersonenhaushalt (12 Mal pro Jahr). In einem Haushalt mit einem Erwachsenen und einem Kind sind es 1.636 Euro.  Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Schwelle um 618 Euro und für jedes minderjährige Kind unter 14 Jahren um 371 Euro.

Eine Kindheit in Armut bedeutet verminderte Partizipations- und Entwicklungsmöglichkeiten, verbunden mit negativen Auswirkungen auf die körperliche, kognitive und seelische Gesundheit sowie auf die Bildungs- und Berufsperspektiven. Jedes zweite armutsbetroffene Kind bleibt ein Leben lang arm, wie die Langzeitforschung des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik zeigt. Kontinuierliche Beeinträchtigungen schränken nämlich auch den Kompetenzerwerb in Bildung und Ausbildung ein.

Der Philosoph Gottfried Schweiger vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung (ZEA) der Universität Salzburg fordert im Kampf gegen Kinderarmut mehr Geld, besser ausgestattete Schulen, eine Gesundheitsversorgung, die ankommt und Jobs, von denen man leben und eine Familie versorgen kann. „Im Sozialsystem zu sparen und die Sozialhilfe zu kürzen, nutzt dem Budget nichts, sondern macht nur das Leben für diese Kinder und ihre Familien schwerer. Es ist wahrscheinlich mittel- und langfristig sogar teurer, da arme Kinder mehr Folgekosten verursachen, wenn sie später schwerer einen Job finden oder häufiger krank sind. Die Bekämpfung der Kinderarmt ist eine genuin politische Aufgabe. Eine ausreichend dotierte Kindergrundsicherung kann hier nachhaltig helfen“, so Schweiger.

Das neue Volkshilfe-Modell der „Kindergrundsicherung“ will Chancengleichheit für alle Kinder herstellen, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich. „Die Zahlen armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher zeigen, dass es hoch an der Zeit ist für einen großen Wurf, wie es unser Modell der Kindergrundsicherung darstellt. Es ist ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der Kinderarmut.“

Konkret sollen alle in Österreich lebenden Kinder (bis zur Volljährigkeit) bzw. deren Erziehungsberechtigte die Kindergrundsicherung in der Höhe zwischen 200 und 625 Euro monatlich erhalten, gestaffelt nach dem Einkommen der Eltern. Je niedriger das Einkommen, desto höher die Transferleistung. Bis zu einer Untergrenze von jährlich 20.000 Euro Familieneinkommen wird nach dem Volkshilfe-Modell die gesamte Höhe ausbezahlt, danach folgt eine Einschleifung. Die Maximalhöhe von 625 Euro ergibt sich aus den Referenzbudgets der Schuldnerberatung. Diese zeigen an, wie viel Geld ein Haushalt braucht, um nicht in Armut leben zu müssen.

2017 waren in Salzburg 22% der Kinder bis 19 Jahren armutsgefährdet. Das sind 24.000 Mädchen und Buben. Elisabeth Kocher von der Salzburger Armutskonferenz weist darauf hin, dass die Armutsgefährdung in der Kleinkind- und Volksschulphase am höchsten ist, nicht zuletzt wegen der Einkommenseinbußen aufgrund von Betreuungspflichten. „Eine flächendeckende, kostenfreie und qualitativ hochwertige frühkindliche Betreuung wäre daher eine wirksame Maßnahme um Kinderarmut zu vermeiden.“ 

Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder ein Recht auf aktive staatliche Beförderung der fundamentalen Prinzipien der Konvention. Dazu zählen insbesondere auch das Recht auf Gleichbehandlung, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, auf soziale Sicherheit, Gesundheit und Bildung, sagt Barbara Erblehner-Swann von der Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg. „Armut ist still. Armutsgefährdete Kinder und Jugendliche machen sich meist unsichtbar. Wir sollten daher nicht nur den unbürokratischen Zugang zu Leistungen schaffen, sondern wir müssen uns aktiv um sie bemühen. Eine Kindergrundsicherung, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder orientiert, würde Kinder herausholen aus einer Position der Bittsteller.“

Auch der Politikwissenschaftler und Jurist Nikolaus Dimmel von der Universität Salzburg betont, dass Kinderarmut ein multidimensionales soziales Problem darstellt, von dem Einkommensarmut nur eine Facette ist. „Die Bekämpfung der Kinderarmut setzt nicht nur eine Verknüpfung der verschiedenen Dimensionen voraus, sondern auch die auf den jeweiligen Einzelfall passgenau zugeschnittene Verknüpfung von Geld-, Sach- und Sozialdienstleistungen.“

Veranstaltung:  
Podiumsdiskussion: Kinderarmut und Kindergrundsicherung.
Wann: Do, 06. Juni 2019. 17.00-19.00 Uhr
Wo: Hörsaal 381, KGW Fakultät, Universität Salzburg. Rudolfskai 42

Kontakt: Dr. Gottfried Schweiger Zentrum für Ethik und Armutsforschung Universität Salzburg
  www.povertyresearch.org/gottfried-schweiger, www.gottfried-schweiger.org