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Innere Uhr bei Wachkoma-Patienten

Fördert eine besser getaktete innere Uhr das Wiedererlangen von Bewusstsein bei Wachkoma-Patienten?

Wachkoma-Patienten sind umso „wacher“ und bewusster, je stärker ihre innere Uhr nach dem normalen 24 Stunden Rhythmus getaktet ist. Das hat eine Studie von Salzburger Psychologen und Psychologinnen ergeben, die am Mittwoch, 19. April 2017 in der Onlineausgabe von „Neurology“, der medizinischen Zeitschrift der „American Academy of Neurology“ publiziert wurde. Das Salzburger Team hat speziell den Zusammenhang zwischen dem biologischen Rhythmus der täglichen Körpertemperatur-Schwankungen bei Menschen mit schwersten Hirnschädigungen und dem Bewusstseins-Level dieser Patienten untersucht. In Österreich gibt es geschätzte 800 bis 1000 Wachkoma-Patienten.

1814 entdeckte der französische Mediziner Julie-Joseph Virey, dass sich Puls und Blutdruck im Laufe des Tages verändern. Er prägte dafür den Begriff der „inneren Uhr“. Heute sprechen Wissenschaftler meist von „zirkadianer Rhythmik“, wenn sie körpereigene Rhythmen meinen, die eine Periodenlänge von ungefähr 24 Stunden haben. Zirkadian (von lateinisch circa, dies) bedeutet „rings um den Tag“. Die zentrale Schaltstelle der zirkadianen Uhr befindet sich im Gehirn (im Nucleus suprachiasmaticus). Die zirkadiane Uhr steuert zahlreiche Körperfunktionen wie den Schlaf-Wach Rhythmus, die Herzfrequenz, die Hormonsekretion, das Hungergefühl, den Blutdruck oder die Körpertemperatur. Sie funktioniert weitgehend unabhängig von Signalen aus der Außenwelt. Wichtigster externer Reiz für die innere Uhr ist das Licht.

Erstmals hat nun ein Team um den Psychologen Manuel Schabus und die Psychologin Christine Blume vom Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg (CCNS) die Bedeutung der Zirkadianik bei Patienten mit Bewusstseinsstörungen nach schweren Hirnschädigungen untersucht. Dazu zählt das Wachkoma (auch apallisches Syndrom,  Syndrom reaktionsloser Wachheit oder vegetativer Zustand genannt)  sowie der Zustand minimalen Bewusstseins. Im Wachkoma wirken die Betroffenen wach, haben ihre Augen teilweise geöffnet, verfügen jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach über kein Bewusstsein. Anders im Zustand minimalen Bewusstseins: hier finden sich Hinweise auf das Vorhandensein von Bewusstsein, Patienten sind beispielsweise in der Lage, einen sich bewegenden Gegenstand zu fixieren oder eine Bewegung auf Kommando auszuführen.

„Unsere Studie legt folgendes nahe: Je stärker das Schwankungsmuster der Körpertemperatur bei einer schwer hirngeschädigten Person dem zirkadianen Rhythmus gesunder Personen ähnelt, desto besser schneidet der Patient bei Tests ab, die Hinweise auf eine mögliche Genesung nach einem Koma geben“, sagt Erstautorin Dr. Christine Blume.

Bei gesunden Menschen folgen die täglichen Schwankungen in der Körpertemperatur dem Schlaf-Wach Rhythmus. Während eines normalen Schlaf-Wach Zyklus variiert die Körpertemperatur um bis zu zwei Grad. In den frühen Morgenstunden ist sie meist am niedrigsten. Das Maximum erreicht sie bei den meisten Menschen am Nachmittag gegen 16 Uhr. Die kognitive Leistungsfähigkeit wie konzentriertes Denken oder gesteigerte Aufmerksamkeit korreliert mit einer erhöhten Körpertemperatur. 

„Wir wollen herausfinden, wie die zirkadiane Rhythmik bei Wachkoma-Patienten wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden kann und pilotieren dafür auch die Wirkung von blauem Licht, das sich bei anderen Erkrankungen als wirksam erwiesen hat“, sagt Projektleiter Professor Manuel Schabus.

Für ihre Studie haben die Salzburger Forscher 18 Patienten mit schwersten Hirnschädigungen untersucht, die sich entweder im Wachkoma oder im Zustand minimalen Bewusstseins befanden.

Eine Woche lang haben die Forscher kontinuierlich die Körpertemperatur der Patienten mit Temperatursensoren auf der Haut gemessen. Mit diesen Temperaturdaten konnten sie die Länge des zirkadianen Rhythmus für jede Person bestimmen. Die Länge der Temperaturrhythmen der Teilnehmer variierte zwischen 23,5 und 26,3 Stunden.

Die Forscher haben außerdem auch das Bewusstheitsniveau jedes Patienten mit der sog. „Coma-Recovery Scale Revised“ untersucht. Dabei werden unter anderem die Reaktionen des Patienten auf Geräusche geprüft sowie seine Fähigkeit, die Augen zu öffnen, entweder spontan oder mittele Stimulation durch den Untersucher. Die Forscher fanden, dass bei denjenigen Patienten, die höhere Werte auf dieser Skala erreichten, die Schwankungen in der Körpertemperatur eher einem gesunden 24 Stunden Rhythmus folgten.

„Das ist das erste Mal, dass bei Patienten mit schwersten Hirnschädigungen ein Zusammenhang zwischen zirkadianen Schwankungen in der Körpertemperatur und körperlicher Erregung gefunden wurde. Dieser Zusammenhang ist deshalb von großer Bedeutung, weil körperliche Erregung entscheidend ist für das Entstehen von Bewusstsein“ sagt Blume. Und sie ergänzt „Zirkadiane Rhythmen sind etwas, das Ärzte im diagnostischen Prozess nicht außer Acht lassen sollten. Die Tageszeit, zu der Patienten untersucht werden, könnte entscheidend dafür sein, wie eine Diagnose ausfällt und damit auch die Therapieoptionen. Außerdem sollten Ärzte versuchen, für Patienten eine Umgebung zu schaffen, die das natürliche Muster von Licht während des Tages und Dunkelheit während der Nacht nachahmt, um einen normalen Schlaf-Wach Rhythmus zu unterstützen. Denn es gibt Grund zur Hoffnung, dass dies einer Person mit einer schweren Hirnschädigung bei der Wiedererlangung von Bewusstsein hilft.“

Das Salzburger Team untersuchte außerdem bei acht Wachkoma-Patienten die Wirkung von täglicher Stimulation mit hellem Licht mit einem erhöhten Blauanteil. Nach einer Woche zeigten sich positive Effekte bei zwei Patienten. Nun würden größere Studien benötigt, um zu prüfen, ob Lichtstimulation tatsächlich eine positive Wirkung auf Wachkoma-Patienten hat, sagt Blume.

Für zukünftige Studien schlägt Christine Blume vor, auch den Zusammenhang zwischen Temperaturrhythmen und anderen Körperrhythmen wie hormonellen Schwankungen und Ruhe-Aktivitäts-Zyklen zu betrachten.

Publikation:  
Christine Blume, Julia Lechinger, Nayantara Santhi. Renata del Giudice. Maria-Teresa Gnjezda, Gerald Pichler, Monika Scarpatetti, Johann Donis, Gabriele Michitsch, Manuel Schabus: „Significance of circadian rhythms in severely brain-injured patients. A clue to consciousness?“ In: Neurology 2017, Article 2016782334

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