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„Musik und Medizin“. Führende Forscher präsentieren neueste Erkenntnisse in Buchform

Wie wird Musik in der klinischen Medizin bei Schmerz, Angst und Stress eingesetzt? Warum kann Musikhören bei Depression oder Demenz helfen? Was leistet Musizieren für die Gesundheitsvorsorge? Wie ist es um die Praxistauglichkeit musikalischer Interventionen im medizinischen Kontext bestellt?

Das von dem Salzburger Schmerzforscher Günther Bernatzky und dem Oldenburger Musikwissenschafter Gunter Kreutz herausgegebene Buch „Musik und Medizin. Chancen für Therapie, Prävention und Bildung“ spiegelt den aktuellen Stand der Forschung in der Musikmedizin und bietet Orientierung in der zersplitterten Forschungslandschaft.  

50 führende Experten und Expertinnen beleuchten in dem neuen, im Springer Verlag erschienenen Sammelband verschiedenste Facetten der Beziehung zwischen Musik und Medizin. Der Bogen wird weit gespannt, von den psychophysiologischen Grundlagen emotionaler Wirkungen des Musikhörens über therapeutische Anwendungsbereiche der Musik bis zur Bedeutung musikalischer Aktivität für Lebensqualität und Wohlbefinden. Auch zu Randthemen wie zum Beispiel dem Gänsehaut-Feeling beim Musikhören werden die neuesten Forschungsergebnisse vorgestellt. Das Buch schließt mit einem Kapitel über Musik als Folter mit Fallbeispielen von den  nationalsozialistischen Konzentrationslagern bis Guantanamo.

„Ziel unseres Buches ist es, bewusstseinsbildend zu wirken. Konkret ging es dem Musikwissenschaftler Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg und mir darum, möglichst viele Informationen über die sinnvolle Verwendung von Musik – von der Wiege bis zur Bahre – in Umlauf zu bringen. Gut leserlich für interessierte Laien“, sagt Günther Bernatzky, Schmerzforscher an der Universität Salzburg und einer der Herausgeber des Buches. Und er ergänzt: “Wir wollen aber nicht nur die Vorteile der Musiktherapie aufzeigen, sondern auch mögliche Nachteile, wenn die Indikation falsch ist. Wenn etwa dort, wo Entspannung nottut, aktivierende Musik zum Einsatz kommt und umgekehrt.“ 

In den letzten Jahren ist die Zahl der Studien zu musikmedizinischen, musiktherapeutischen und musikpsychologischen Forschungsgebieten dynamisch gestiegen. Weitreichende Forschung wurde im Bereich der Schmerzbehandlung geleistet. Bedeutende Beiträge dazu stammen von Bernatzky. Sein Ansatz ist die „rezeptive Musikstimulation“. Musikhören wird demnach als Medikament verstanden, als unterstützende Maßnahme zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung der körperlichen, seelischen und geistigen Gesundheit. Bernatzky hat dafür den Begriff „Musikament“ geprägt.  

Beachtliche Erfolge mit „Musikamenten“ erzielt Bernatzky etwa bei Parkinson- Patienten. Eine aktivierende Musik wie der Radetzkymarsch kann zur besseren Beweglichkeit der Betroffenen, die unter Steifigkeit der Muskulatur und Zittern leiden, beitragen. Sie können wieder rhythmisch gehen und zittern vorübergehend weniger. Grundlage dafür ist,  dass die Vorlieben und Abneigungen des Musikgeschmacks der Patienten  berücksichtigt werden. Die Musik heilt nicht, aber sie hat eine adjuvante Wirkung, die die Lebensqualität enorm verbessern kann, betont Bernatzky. „Mit der steigenden Lebenserwartung werden Parkinson und andere Alterserkrankungen zunehmen. Umso wichtiger wäre es, neben notwendigen medizinischen Behandlungen das Potential von Musik auszuschöpfen.“

Wohl auch aus diesem Grund räumt das Buch modernen, innovativen Studien über Musik und Geriatrie gebührend Platz ein. Sehr vielversprechend sind – nach Ansicht Bernatzkys – zum Beispiel neue Forschungsansätze über Musik und Demenz. „Wenn alte Menschen Musik aus Kindertagen oder aus ihrer Jugend hören, können sie wieder lachen und sich freuen und sie werden kommunikativer. Außerdem stärkt es ihr Langzeitgedächtnis. Pflegerinnen spielen alten Menschen ja instinktiv gern bekannte Melodien vor. Das tun sie schon lange. Wie sie die Musik aber noch effektiver einsetzen könnten, dafür wäre mehr Forschung erforderlich. Man weiß zum Beispiel wenig über Langzeiteffekte oder über Dosis-Wirkung-Beziehungen. Leider hapert es für musiktherapeutische Untersuchungen oft an der Forschungsfinanzierung, wie ich aus Erfahrung weiß.“  

Ein eigenes Kapitel in dem Buch ist gesundheitlichen Aspekten des Singens gewidmet, etwa in der Form des boomenden Chorsingens. Der Oldenburger Musikwissenschafter Gunter Kreutz hat sich eingehend mit der Literatur über die gesundheitlich fördernden Wirkungen des Singens im Alltag befasst und große Potenziale auch für kranke Menschen ausgemacht, die beispielsweise an Erkrankungen der Lunge oder des zentralen Nervensystems leiden. Da in der Familie kaum mehr gesungen wird, sollte diese kulturelle Ressource, aus der Menschen ein Leben lang schöpfen könnten, in der schulischen Erziehung nicht immer stärker dem Sparstift zum Opfer fallen. Auch dafür plädieren die Autoren.

Publikation: Günther Bernatzky, Gunter Kreutz (Hrsg.): Musik und Medizin. Chancen für Therapie, Prävention und Bildung. Springer-Verlag Wien 2015. 442 Seiten.

Foto: Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky | © Kolarik

 

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