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Schlägt Stress wirklich auf den Magen?

Salzburger Psychologen untersuchen in einem großangelegten Forschungsprojekt wie Emotionen unser Essverhalten bestimmen. Ein überraschendes Ergebnis des 2015 gestarteten und bis 2020 laufenden Projekts ist, dass die Zahl der Menschen, die bei Stress mehr isst, sich ungefähr die Waage hält mit der die Zahl der Menschen, die bei Stress weniger isst.

Dieses Studienresultat relativiert bisherige Erkenntnisse über das Frustessen. Auch die Idee der „Nervennahrung“ deckt offenbar nur einen kleinen Teil des komplexen Zusammenhangs zwischen Emotionen und Essverhalten ab. Für eine weitere Essensstudie suchen die Psychologen der Universität Salzburg noch Teilnehmerinnen.

„Nichts ist wertvoller als ein guter Freund, außer ein Freund mit Schokolade“, hat Charles Dickens einmal gesagt. Manchmal genügt einfach die Schokolade. Als Seelentröster oder Nervennahrung prädestiniert sind außer Schokolade fast alle Arten von Snacks. Essen nicht aus Hunger, sondern zur Stress- und Emotionsregulation. Wissenschaftler sprechen in dem Zusammenhang von emotionalem Essen und definieren es als vermehrte Nahrungsaufnahme, um negative Emotionen und Stress zu reduzieren.

Genau dieser Aspekt stand bisher im Fokus der Forschung. Die Arbeitsgruppe um den Essstörungsforscher Jens Blechert vom Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg hat das Studiendesign deutlich erweitert. Blechert hat für sein Projekt einen mit 1,3 Millionen Euro dotierten „ERC Starting Grant“ erhalten, einen der höchsten EU-Förderpreise. „Wir wollen in einem neuen innovativen Ansatz die emotionalen Prozesse untersuchen, die unser Essverhalten beeinflussen“, sagt der Professor. 

Die Salzburger Forscher haben neue Fragebögen entwickelt, in denen zwischen Stress und verschiedenen negativen Emotionen (Traurigkeit, Ärger, Ängstlichkeit) sowie positiven Emotionen unterschieden wird. Außerdem erfassen sie nicht nur das „emotionale Überessen“, sondern auch das „emotionale Unteressen“. Die Ergebnisse sind teilweise anders als erwartet, sagt Projektmitarbeiter Adrian Meule.

„Unsere Ergebnisse zeigen konsistent, dass in etwa gleich viele Menschen berichten, bei Stress weniger zu essen, wie Menschen, die berichten, bei Stress mehr zu essen. Viele berichten natürlich auch, dass sich ihre gegessene Nahrungsmenge durch Stress nicht ändert. Gleiches gilt für das Essen bei Fröhlichkeit. Bei Traurigkeit tendiert die Mehrheit dazu, mehr zu essen. Dass die meisten bei Ärger und Ängstlichkeit weniger essen, könnte mit der körperlichen Erregung zusammenhängen, sie unterdrückt den Appetit.“

Was aber führt dazu, dass manche Menschen bei Stress (und anderen negativen Emotionen) zum „emotionalen Überessen“ tendieren und andere zum „emotionalen Unteressen“? Auffallend ist für die Forscher, dass diejenigen, die angeben, in schlechter Stimmung mehr zu essen, meist bereits einen höheren Body Mass Index (BMI) haben. Genau umgekehrt ist es bei positiven Emotionen. In guter Stimmung lassen es sich vor allem die Schlanken gut und ausgiebig schmecken.

„Insgesamt zeigen die Ergebnisse, wie wichtig es ist, zwischen verschiedenen Emotionen zu unterscheiden, wenn man deren Einfluss auf das Essverhalten untersuchen möchte. Die generelle Idee der „Nervennahrung“, das sogenannte „comfort food“, deckt jedenfalls nur einen geringen Bruchteil des komplexen Zusammenhangs zwischen Emotionen und Essverhalten ab. Stress schlägt sich sehr unterschiedlich auf den Magen,“ resümiert Meule.

Ungefähr 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind von einer Essstörung betroffen. Die Anorexie (Magersucht) tritt besonders bei Mädchen und jungen Frauen auf. Magersüchtige fühlen sich trotz Untergewichts zu dick („Körperschemastörung“). Für Menschen mit Bulimie (Ess-Brech-Sucht) ist typisch, dass sie in regelrechten „Fressanfällen“ hastig große Mengen kalorienreicher Nahrung verschlingen und dann sofort wieder erbrechen, um eine Gewichtszunahme zu verhindern.

Von periodischen Heißhungerattacken sind auch Menschen mit der Binge-Eating Störung betroffen (von binge = Gelage). Das Gegessene wird anschließend aber nicht erbrochen, sodass Übergewicht meist die Folge ist. Von Adipositas (Fettleibigkeit) spricht man ab einem BMI von 30. Der BMI wird berechnet, indem man das Gewicht durch das Quadrat der Größe (in Meter) teilt (kg/m²).

Essverhaltens-Studien wurden bisher fast ausschließlich als Laborexperimente durchgeführt. Bilder, Filme, Musik oder Stress-Aufgaben dienten als Auslöser für die diversen Stimmungen der Probanden. Naturalistisch lässt sich so das Essverhalten aber nicht abbilden. Um die Aussagekraft der Studien zu erhöhen, kombinieren die Salzburger Psychologen die Laboruntersuchungen mit Alltagsmessungen mittels einer Smartphone-App, die das Essverhalten und Stresssituationen in Echtzeit erfasst. „Unser Ziel ist es, die verhängnisvolle Verbindung zwischen Essen und Emotion auflösen. Wir möchten individuelle Trainingsmethoden für Frustesser entwickeln“, sagt Jens Blechert.

Ein Schritt in diese Richtung ist auch seine neue Studie über Frustessen, Gewichtsprobleme, und Essanfälle, für die die Forscher noch Teilnehmerinnen suchen. Die Studie will die neuronalen Grundlagen dieser Schwierigkeiten herausfinden, also wie das Gehirn in bestimmten Situationen auf Nahrungsmittel reagiert. Mitmachen können Frauen zwischen 16 und 50 Jahren mit einem BMI ab 25 kg/m². Neben einer Fahrtkostenerstattung und 30 Euro Aufwandsentschädigung erhalten die Teilnehmerinnen eine individuelle detaillierte Rückmeldung ihrer Studienergebnisse. Alternativ können sie gratis an einem zweistündigen Gruppentraining „Stress-Essen reduzieren“ in Salzburg teilnehmen.

Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Jens Blechert
Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg

Foto: Jens Blechert | © Gruber/Haigermoser