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Neu entdeckter Entzündungsmechanismus bei „Raucherlunge“ (COPD) eröffnet erstmals Aussicht auf ursächliche Therapie

25.09.2015

Neu entdeckter Entzündungsmechanismus bei „Raucherlunge“ (COPD) eröffnet erstmals Aussicht auf ursächliche Therapie

Salzburger ZellbiologInnen haben in Kooperation mit Experten der Salzburger Universitätsklinik als erste den Nachweis erbracht, dass bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) ein erst kürzlich entdeckter Entzündungsvorgang, der als „NETose“ bezeichnet wird, eine zentrale Rolle spielt. Damit tun sich völlig neue Therapiechancen auf.

  Bei der NETose werfen Immunzellen Fangnetze zur Zerstörung von Krankheitserregern aus. Diese Netze werden bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung jedoch im Übermaß produziert, haben die Salzburger Forscher herausgefunden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schließen daraus, dass dieser Prozess für die fatale Zerstörung der Lungenbläschen bei der COPD eine wesentliche Rolle spielt. Die neuen Erkenntnisse könnten die Grundlage für Therapieansätze bilden, die das Übel COPD erstmals an der Wurzel packen, sagen die Forscher. Die Salzburger Studie wurde jetzt im Fachblatt „Respiratory Research“ veröffentlicht.

Jeder zehnte Österreicher über 40 Jahren ist von COPD, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, betroffen. Und die Zahlen sind im Steigen. Hauptproblem der schweren Erkrankung, die mit chronischem Husten beginnt, ist die Atemnot. Durch funktionsuntüchtige Lungenbläschen kommt es zu Sauerstoffmangel, der im Extremfall zum Erstickungstod führen kann.  Neben genetischen Ursachen sind Umwelteinflüsse für die COPD verantwortlich. Da die Krankheit in der überwiegenden Zahl der Fälle durch Rauchen entsteht, spricht man oft von „Raucherlunge“. Doch was genau passiert bei der COPD im Körper? Wodurch kommt es zu einer überschießenden Entzündungsreaktion und in der Folge zu einem sogenannten Lungenemphysem mit krankhaft überblähten Lungenbläschen und der Zerstörung des Lungengewebes? Diese Fragen waren bisher offen. Eine Antwort könnten nun die Salzburger Forschungen liefern.

Um den Körper vor Krankheitserregern zu schützen, hat das Immunsystem im Laufe der Evolution viele unterschiedliche Werkzeuge entwickelt. Eines davon  haben Wissenschaftler erst im Jahr 2004 entdeckt. Bei Kontakt mit einem Keim werfen bestimmte weiße Blutkörperchen, die sogenannten Neutrophilen Granulozyten, DNA-Netze aus, in denen sich die krankmachenden Eindringlinge verheddern und abgetötet werden. Dafür sorgt ein mit den Netzen ausgeschütteter Giftcocktail von Enzymen und Nukleinsäuren. In der Fachwelt werden die Netze als „Neutrophil extrazelluar Traps“  (neutrophile extrazelluläre Fallen),  kurz NETs,  bezeichnet. Der Vorgang  wird „NETose“ genannt. Bisher wurden die aggressiven NETs zum Beispiel bei Rheuma und der zystischen Fibrose nachgewiesen. Jetzt hat die Arbeitsgruppe rund um den Zellbiologen Professor Walter Stoiber von der Universität Salzburg zusammen mit dem Team von Professor Michael Studnicka an der Salzburger Universitätsklinik für Pneumologie diese Netzwerke extrazellulärer Strukturen erstmals auch bei der COPD festgestellt. „Die erst vor relativ kurzer Zeit entdeckte Immunabwehr mittels NETs ist ein zweischneidiges Schwert. NETs sind einerseits sehr wichtig für die Bekämpfung von eingedrungenen Keimen. Im Normalfall bilden sich die NETs nach einer Entzündungsreaktion zurück. Bei chronischen Entzündungen bleiben die aggressiven NETs aber bestehen, werden sogar vermehrt gebildet und schädigen das körpereigene Gewebe. Das ist die dunkle, manchmal sogar lebensbedrohliche Seite der NETs und die haben wir jetzt bei der COPD gefunden“.  Walter Stoiber vergleicht die NETs mit einem Abflussreiniger, der nicht nur die Verstopfung löst, sondern auch die Rohre  angreift. „Im Fall der COPD sind die Lungenbläschen die Rohre, die durch einen zu starken Reiniger kaputt werden, quasi als Kollateralschaden“.

Die Zellbiologen Walter Stoiber, Astrid Obermayer und Wolf-Dietrich Krautgartner haben die Studie über die Rolle der NETs bei der COPD in enger Zusammenarbeit mit der Salzburger Universitätsklinik für Pneumologie/Lungenheilkunde (Professor Michael Studnicka, Dr. Fikreta Grabcanovic-Musija) durchgeführt. „Bisher gibt es für die COPD keine Medikamente, um den chronischen Entzündungsprozess in den Griff zu bekommen. Cortison wirkt nur unspezifisch und hat bekanntlich viele Nebenwirkungen. Mit den NETs ergibt sich möglicherweise ein neuer Therapieansatz, der endlich das Übel an der Wurzel packen könnte“,  sagt Professor Michael Studnicka.

Die Studie hat unter anderem ein interessantes Detail ergeben, das alle, die am Glimmstengel hängen, motivieren könnte, so schnell wie möglich von ihrem Laster zu lassen. Die meisten Raucher unter den Studienteilnehmern hatten vermehrt NETs. Das betraf auch gut ein Drittel der Raucher mit einer noch völlig gesunden Lungenfunktion. Daraus folgt: Diese Raucher sind bereits auf dem Weg, eine COPD zu entwickeln.

Die Universität Salzburg verfügt bereits über ein zehnjähriges Know-how in der Forschung an den NETs. Das Labor an der Naturwissenschaftlichen Fakultät war eines der ersten in Europa, das sich mit diesem effizienten Abwehrmechanismus des Immunsystems beschäftigte. Die Forscher aus der Arbeitsgruppe „Biomedizinische Ultrastrukturforschung“ haben zum Beispiel in früheren Arbeiten schon wichtige Details der NETs-Struktur aufgeklärt.

Publikation: Fikreta Grabcanovic-Musija, Astrid Obermayer, Walter Stoiber, Wolf-Dietrich Krautgartner, Peter Steinbacher, Nicole Winterberg, Arne Cornelius Bathke, Michaela Klappacher and Michael Studnicka: „Neutrophil extracellular trap (NET) formation characterises stable and exacerbated COPD and correlates with airflow limitation“ In: Respiratory Research 2015

Foto: v.l.n.r.: Professor Michael Studnicka, Dr. Wolf-Dietrich Krautgartner, Professor Walter Stoiber, Dr. Fikreta Grabcanovic-Musija, Dr. Astrid Obermayer | ©  Kolarik

Univ.-Prof. Dr. Walter Stoiber
Leiter AG Biomedizinische Ultrastrukturforschung
Universität Salzburg
Hellbrunnerstr. 34
Tel: +43 662 8044 5643

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