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Zeitzeugen aus Schindlers Liste

Wissenschaftler und Studierende der Universität Salzburg haben Zugang zu den Archiven der Shoah Foundation. Diese Organisation hat weltweit Interviews mit Überlebenden des Holocaust auf Video aufgenommen. Regisseur Steven Spielberg gründete die Einrichtung während der Dreharbeiten zu seinem berühmten Film „Schindlers Liste“.

Professor Albert Lichtblau leitet das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg. Mit Interviews aus dem Archiv der Shoah Foundation entstand die DVD „Das Vermächtnis“. | © Kolarik

© Kolarik

„Die Menschen hatten das Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen“, sagt der Historiker Albert Lichtblau, Leiter des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg. Die Holocaust-Überlebenden wollten ihre Lebensgeschichte so für die Nachwelt erhalten. Diesem Wunsch ist Steven Spielberg nachgekommen. „Das Sprechen über das erlebte Leid hat den Menschen gut getan“, sagt Lichtblau. Mittlerweile verfügt die Shoah Foundation über mehr als 52.000 Interviews aus 56 Ländern in 32 verschiedenen Sprachen. Als Zeitzeugen kommen nicht nur jüdische Opfer vor, sondern generell Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Roma und Sinti. Auch österreichische Opfer erzählen ihre Geschichte. Es entstanden rund 180 mehrstündige Interviews, weltweit weitere 1200 mit ehemaligen Österreichern. Lichtblau führte für das  Archiv der Shoah Foundation zwei Gespräche: Mit dem Salzburger Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Hofrat Marko Feingold und Simon Wiesenthal. Das Wiesenthal-Interview wurde für den Dokumentarfilm „I HAVE NEVER FORGOTTEN YOU: THE LIFE AND LEGACY OF SIMON WIESENTHAL“ verwendet.

Das „Shoah Foundation Institute für Visual History and Education“ der University of Southern California stellt das gesammelte und archivierte Material nun für Forschungs- und Lehrzwecke zur Verfügung. Seit Anfang dieses Jahres hat die Universität Salzburg als vorerst einzige österreichische Universität Zugang zu diesen Quellen. „Wir führen Forschungsprojekte durch und lassen die Interviews auch in den Unterricht einfließen“, so Lichtblau. Im vergangenen Wintersemester startete zudem das neue Masterstudium für Jüdische Kulturgeschichte (siehe Kasten unten) mit 15 Studierenden. Sie können im Rahmen ihres Studiums, etwa für ihre Diplomarbeiten, auf diese Interviews zugreifen.   

DVD mit Erzählungen von Überlebenden

Professor Lichtblau hat nun mit Fachhistorikern, Didaktikern und Videoexperten das Projekt „Das Vermächtnis“ abgeschlossen. Es handelt sich dabei um eine DVD mit Erzählungen von Überlebenden, die für den Unterricht in Schulen zum Einsatz kommt. Die Wissenschaftler haben dreizehn Interviews aus dem Archiv der Shoah Foundation ausgewählt und für den Schulunterricht aufbereitet. Auch lässt sich dort für die englischsprachigen Interviews eine deutsche Untertitelung aktivieren.

Da gibt es beispielsweise die Geschichte der beiden Arzttöchter Elisabeth und Helga, die mit ihrer Mutter im Lager Theresienstadt waren. Der Vater, im Ersten Weltkrieg vielfach ausgezeichnet, wurde in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, Jahre später nach Auschwitz deportiert. Elisabeth, das jüngere und sehr zarte Mädchen überlebt durch die Hilfe ihrer großen Schwester Helga, der es immer wieder gelingt, zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. „Sie hat alles, was sie ein bissel mehr gehabt hat, in mich hineingestopft.“ Während Elisabeth die Erinnerung an den immerwährenden Hunger sehr stark im Gedächtnis haften bleibt, empfindet Helga das ständige Frieren und die von Ungeziefer verseuchten Unterkünfte als das größere Übel. 1944 soll Helga nach Auschwitz verlegt werden. Durch glückliche Umstände entkommt sie dem Abtransport in den fast sicheren Tod gleich drei Mal. Als unvorstellbar schrecklich hat Helga die riesigen Rücktransporte aus den Vernichtungslagern im April 1945 in Erinnerung. „Da kamen völlig apathische Skelette, Leute mit dreißig Kilo, Typhuskranke.“ Die Schwestern und die Mutter überleben mit Hilfe zahlreicher Interventionen durch den nichtjüdischen Großvater und können nach Wien zurückkehren. Dort treffen sie auch ihren Vater wieder, der als einer der wenigen Auschwitz überlebt hat.

Oder die Geschichte von Inge, Tochter eines Handelsvertreters. Inge wohnt mit ihren Eltern in Wien. Sie werden vom eigenen Dienstmädchen, das mit einem fanatischen Nazi liiert ist, aus ihrer Wohnung vertrieben. Der Vater wird im Zuge des Novemberpogroms 1938 von der SA verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Er schreibt an seine Frau, dass sie eine Ausreisebewilligung besorgen soll. Einzig möglicher Zufluchtsort ist Shanghai, doch es fehlt das Geld für die Schifffahrt. Da geschieht ein Wunder. Das Dienstmädchen steht vor der Tür und bringt ihre gesamten Ersparnisse mit. Mit dem Geld kann die Familie ausreisen. Inge erinnert sich an Szenen, die sich am Südbahnhof abgespielt haben. „Das Schreien und Lärmen war furchtbar.“ Vor allem die namenlose Angst, die die ganze Familie erfasste, wurde sie nicht mehr los. In China lebte die Familie unter katastrophalen Bedingungen. „Im Auffanglager gab es Wanzen, Flöhe, Ratten und es hat unvorstellbar gestunken“, erinnert sie sich noch nach mehr als 50 Jahren. Als die Familie 1948 nach Österreich zurückkehrt, ist das Heimatgefühl zerbrochen, die Menschen stehen sich feindlich gegenüber. „Es war alles sehr hasserfüllt“, sagt Inge.

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau

Zentum für Jüdische Kulturgeschichte

Tel: 0662-8044-4743

e-mail: 

Info: „Das Vermächtnis“ ist um 20,- Euro unter folgender Adresse erhältlich:

www.erinnern.at oder