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Wenn alte Wunden schmerzen

Traumatisierende Ereignisse können chronische Schmerzen zur Folge haben. Zu diesem Ergebnis kamen Psycholog*innen der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS). Sie zeigten mit Hilfe von bildgebenden Verfahren, wie chronischer Schmerz mit traumatischen Erfahrungen und Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung in Zusammenhang steht.

Die Wissenschaftler*innen konnten im Rahmen einer Studie nachweisen, dass neutrale Reize, die mit schmerzhaften Empfindungen in Zusammenhang gebracht wurden, sowohl ein subjektives Schmerzempfinden als auch eine Aktivierung in Schmerz-assoziierten Gehirnarealen auslösen konnten. Dieser Mechanismus kann erklären, warum organ-medizinisch nicht erklärbare Schmerzen insbesondere bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auftreten können und dort zu den häufigsten Nebenerkrankungen zählen. Die Studie wurde von der hochrangigen internationalen Fachzeitschrift „PAIN“ zur Veröffentlichung angenommen und wird dort mit dem Prädikat „Editor’s Choice“, einer Empfehlung der Herausgeber der Fachzeitschrift, gewürdigt.

Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann als Folge eines traumatischen Erlebnisses auftreten. Hierzu gehören beispielsweise Unfälle, Naturkatastrophen, lebensbedrohliche Erkrankungen, die Erfahrung von körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch. „Menschen, die an einer PTBS erkrankt sind, leiden unter anderem an sich aufdrängenden, belastenden Erinnerungen, Albträumen oder starken emotionalen und körperlichen Reaktionen auf Dinge, die sie an das Ereignis erinnern“, berichtet Psychologieprofessor Frank Wilhelm. Der Professor für Klinische Psychologie und Leiter des Labors für Klinische Stress- und Emotionsforschung der Universität Salzburg ist auf die Erforschung von Angst- und Traumafolgestörungen spezialisiert.

„PTBS tritt auffallend häufig gemeinsam mit chronischen Schmerzen auf, doch die Mechanismen, die diesen Zusammenhang erklären, sind kaum bekannt. Weil PTBS-Patienten das traumatische Ereignis häufig nicht nur als belastende Bilder vor dem inneren Auge (z. B. das Gesicht des Täters), sondern auch als schmerzhafte Empfindungen am Körper wiedererleben (z.B. Schmerzen an Stellen längst verheilter Verletzungen), lag es nahe, zu untersuchen, ob chronische Schmerzen nicht ähnlich wie intrusive bildhafte Erinnerungen als spezielles Gedächtnisphänomen entstehen könnten.“ sagt Dr. Laila Franke, die Erstautorin der neu veröffentlichten Studie. Um dies zu untersuchen, entwickelte das Team um Prof. Wilhelm und Dr. Franke ein Experiment, bei dem sie an gesunden Personen grundlegende Mechanismen der Entstehung eines Schmerzgedächtnisses infolge eines Traumas untersuchten. Da es nicht möglich ist, an realen Traumata zu forschen, wird dabei ein traumatisches Erlebnis auf tolerierbarem Niveau, z.B. mit Filmausschnitten, simuliert. „Wir zeigten 74 gesunden weiblichen Versuchspersonen Filmausschnitte mit interpersoneller Gewalt aus dem französischen Kinofilm Irreversibel. Zeitgleich wurde durch eine elektrische Stimulation ein leichter Schmerz generiert. Die Intensität wurde von den Teilnehmern so eingestellt, dass ein leichter Schmerzreiz, ähnlich dem Pieksen einer Nadel entsteht.“ schildert Franke. Während sich die Probandinnen den emotional belastenden Film ansahen, wurden Aktivierungen in verschiedenen Arealen ihres Gehirns mit Hilfe einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) erfasst. Dies wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Center for Cognitive Neuroscience ermöglicht.

Dadurch konnten die Gehirnareale, die durch den Film oder die generierten leichten Schmerzen aktiviert wurden, in Echtzeit mit hoher räumlicher Auflösung sichtbar gemacht werden. „In der Studie konnten wir erstmals zeigen, dass Schmerz nach einem Trauma als sogenannte konditionierte, d.h. durch neuronale Verknüpfungen erlernte, Reaktion auftreten kann. Diese Reaktion konnte auch noch am folgenden Tag gemessen werden. Das deutet darauf hin, dass der häufig im Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis erlebte Schmerz relativ leicht mit neutralen Reizen, die zeitgleich in der Situation vorhanden waren, verknüpft wird und später durch Erinnerungsreize wieder ausgelöst werden kann“, so Professor Wilhelm.

„Das Erleben von Schmerz als erlernte Reaktion auf die mit dem Schmerz verbundenen Trauma-Erinnerungsreize könnte daher dem häufig beobachteten Wiedererleben von Schmerz bei Patienten mit einer PTBS zugrunde liegen. Letztlich könnte das wiederholte Wiedererleben von Schmerzen durch assoziative Lernprozesse den Schmerz lange aufrechterhalten und damit einen Mechanismus darstellen, der den hohen Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und PTBS erklärt.“ so Franke. Laila Franke liefert mitsamt ihren Ergebnissen auch gleich einen Lösungsansatz für Betroffene: „In diesem Fall könnten sich verhaltenstherapeutische Interventionen wie expositionsbasierte Therapien, die auf die systematische Abschwächung solcher erlernten Verknüpfungen abzielen, als besonders effektiv für die Schmerzbehandlung erweisen.“

Proband*innen für neue Studie gesucht

Das Team um Professor Wilhelm versucht in einer Reihe von Forschungsprojekten die Posttraumatische Belastungsstörung besser zu verstehen und damit langfristig neue Behandlungsoptionen zu schaffen. „Gerade bei der Posttraumatischen Belastungsstörung gibt es großen Therapiebedarf und gleichzeitig leider vieles, was wir noch nicht verstehen“, erläutert Professor Wilhelm. Ein weiterer, neuer Forschungsbereich des Labors beschäftigt sich mit verschiedenen Arten der PTBS. Erste Hinweise würden erkennen lassen, dass es unterschiedliche PTBS-Typen mit unterschiedlichen Symptomen und biologischen Besonderheiten gibt. Diese unterschiedlichen PTBS-Typen sprechen auch unterschiedlich gut auf verschiedene Therapieansätze an. „Die Unterschiede zwischen diesen Typen möchten wir nun in unserer neuesten, gerade laufenden Studie genauer erforschen und verstehen“, schildert Doktorandin Sarah Danböck. „An unserer Studie zu verschiedenen PTBS-Typen haben mittlerweile 62 Personen mit PTBS teilgenommen.“, so Danböck, „Nun suchen wir, um die Studie bis Ende Mai abschließen zu können, noch 20 weitere Personen mit PTBS, die sich bereiterklären, an einer Online-Vorbefragung, zwei persönlichen Studienterminen an der Universität Salzburg und einer Online-Nachbefragung teilzunehmen.“ Die Teilnehmenden erhalten eine Aufwandsentschädigung in Höhe von circa 60 Euro (ca. 10 Euro/Stunde) sowie auf Wunsch eine persönliche Rückmeldung zu ihrer Symptomatik und Material zur Nutzung in der Therapie. „Wir sind allen Betroffenen, die uns bereits unterstützt haben, wirklich sehr dankbar dafür, dass Sie an unserer Studie teilgenommen haben! Langfristig möchten wir Ihnen etwas zurückgeben und durch unsere Forschungsergebnisse das Verständnis von PTBS-Symptomen verbessern und neue Ansatzpunkte für eine verbesserte psychotherapeutische Behandlung der PTBS schaffen“, erklärt Sarah Danböck.

Für die Studie sucht das Forschungsteam Personen zwischen 18 und 65 Jahren, die in der Vergangenheit ein traumatisches Ereignis erlebt haben und aktuell an Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Interessenten werden gebeten, sich unter   oder unter +43 6776 1805268 zu melden.

Univ.-Prof. Dr. Frank Wilhelm

Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) | FB Psychologie

Hellbrunner Straße 34/II | A-5020 Salzburg

Tel: +43 662 8044 5103 (Sekretariat)

E-Mail an Univ.-Prof. Dr. Frank Wilhelm

Foto: © PLUS/Luigi Caputo

Gehirnstroeme L.C.