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Neue Familienform „Co-Parenting“: Keine Liebesbeziehung, aber ein Kinderwunsch

Presseinformation der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) vom Mittwoch, den 6. Juli 2022

Neue Familienform „Co-Parenting“: Keine Liebesbeziehung, aber ein Kinderwunsch

Unter den alternativen Familienformen ist das „Co-Parenting“, bei dem die Erfüllung des Kinderwunsches im Fokus steht, ziemlich neu. Mann und Frau sind kein Paar, haben keinen Sex miteinander, aber zusammen ein Kind, um das sie sich gleichberechtigt kümmern. Ist diese Familienform eine Art Supermarkt für das „Projekt Kind“ oder steckt im Gegenteil der Wunsch nach besonders verantwortungsvoller Elternschaft dahinter? Das erforscht die Moraltheologin Angelika Walser zusammen mit ihrer Dissertantin Bernadette Breunig von der Paris Lodron Universität Salzburg in einer vom FWF geförderten empirischen Studie. Ausgangspunkt ist die Website „familyship.org“.

Vor 10 Jahren gründeten in Deutschland zwei Frauen das Internetportal „familyship.org“. Grund für ihre Initiative war ihr persönlicher Kinderwunsch. (Vor einigen Jahren wurde das Portal im Rahmen der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.) Die Plattform ist die größte deutschsprachige Community zum Thema Co-Elternschaft. Auf der Plattform lernen sich Menschen kennen, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen wollen, ungeachtet der sexuellen Orientierung. Von Anfang an ist für die Beteiligten klar, dass die Liebesbeziehung von der Elternschaft entkoppelt ist. Verbindend ist nicht die Liebe zueinander, sondern zum gemeinsamen Kind. Teilweise leben die Co-Eltern in einer Art Wohngemeinschaft, teilweise sind später auch Partner oder Partnerin der Co-Eltern am Familienmodell beteiligt.

Angelika Walser, Professorin für Moraltheologie an der Universität Salzburg setzt sich im Kontext ihrer Forschung zu theologischer Ethik und deren Diskurs zur Reproduktionsmedizin auch mit neuen Familienformen auseinander, in ihrem neuesten Projekt mit dem Co-Parenting. „Wir haben in der katholischen Familienlehre das idealisierte Bild der heilen Familie wie bei Joseph und Maria, die Realitäten des Lebens schauen aber ganz anders aus. Die katholische Familienlehre wertet jedoch alternative Familienformen, etwa wenn es um Homosexuelle geht, durchwegs als moralischen Verfall ab. Ich möchte einen Anstoß in der theologischen Ethik geben, die Pluralität der Familienformen anzuerkennen und positiv darauf zuzugehen; immerhin sehr kleine Ansätze dazu habe ich in dem Schreiben Amoris Laetitia von Papst Franziskus gefunden.“

Was nun sind – außer einem starken Kinderwunsch – die Beweggründe der Menschen, sich für das Co-Parenting zu entscheiden? Dafür hat Projektmitarbeiterin Bernadette Breunig im Rahmen ihrer Dissertation mit ein Dutzend Usern der familyship.org Website ausführliche Interviews geführt. „Es stellte sich heraus, dass entweder eine homosexuelle Orientierung oder eine fehlende Partnerschaft bzw. ein Partner ohne Kinderwunsch starke Motive waren, sich für diesen Weg der Familiengründung zu entscheiden,“ sagt Breunig und ergänzt. „Die befragten Frauen und Männer wollten bewusst eine Trennung von Liebesbeziehung und Elternschaft, weil sie die hohen Ansprüche an eine Liebesbeziehung als Ursache für die Fragilität von Partnerschaften ausmachten. Ein Mann hat es so formuliert: Da hab ich mir eben überlegt, es wär die beste Variante, man macht´s im Grunde gleich auf einem vernünftigen Weg, dass man sich einfach jemanden sucht mit Kinderwunsch und versucht dann Eltern zu sein und für Kinder da zu sein in einem gut freundschaftlichem Verhältnis. Ohne dass diese ganze Beziehungsgeschichte so reinspielt.“

Dass die Co-Elternschaft primär von lesbischen Frauen und schwulen Männern gesucht wird, wie man vermuten könnte (und wie es in den Anfängen dieser Familienform in den USA vor 20 Jahren tatsächlich der Fall war) hat sich in den Recherchen von Bernadette Breunig nicht gezeigt. Bei den meisten befragten Frauen spielte das Alter die wichtigste Rolle; so um die Vierzig hatten viele das Gefühl, sich endgültig für eine Familienform entscheiden zu müssen. Eine anonyme Samenspende kam für die Frauen nach eigener Darstellung nicht in Frage, weil sie die Aufgaben und Verantwortung für das Kind mit dem Kindesvater gleichberechtigt teilen wollten.

Ein Einwand gegen das Co-Parenting ist, dass die Freundschaft bzw. Zweckfreundschaft vollkommen auf das „Projekt Kind“ fokussiert: Vom Kennenlernen auf familiyship.org über etliche persönlichen Treffen, um zu überprüfen, ob tatsächlich eine gute Beziehung zueinander aufgebaut werden kann, bis zur (meist reproduktionsmedizinisch unterstützten) Zeugung des Kindes. Ist das egoistischer Konsumismus der Co-Eltern, die sich einfach nur das Bedürfnis nach einem Kind erfüllen wollen? 

„Ich gebe zu, als ich das erste Mal auf die familiyship.org Website geschaut habe, habe ich schon gedacht, Mensch, das ist ja der perfekte Supermarkt, wo man sich nach einem Kindsvater umschaut. Diese Vorstellung hatte ich ganz am Anfang schon, wahrscheinlich auch weil ich katholisch sozialisiert bin“, räumt Angelika Walser ein. Mittlerweile wisse sie durch Bernadette Breunig mehr über diese Paare, die für viel Verantwortungsgefühl zu stehen scheinen. „Ich denke mir, wenn sich die katholische Kirche bei der Familienlehre weiter in ihr Ghetto zurückzieht, braucht man sie demnächst gar nicht mehr. Vielleicht ist es so, dass sich wesentliche Dinge des Christentums inzwischen jenseits der Kirchen abspielen, und diese Dinge verdienen Anerkennung.“

Die Interviewten betonen, dass sie sich Stabilität und Verlässlichkeit wünschen, berichtet Breunig. „Sie haben in etlichen Punkten dieselben Wertvorstellungen wie die katholische Kirche, fast eine idealisierte Vorstellung von Familie.“  Ihr Eindruck sei, dass vieles in die Familie hineinprojiziert werde, das anderswo nicht mehr zu finden sei, merkt Angelika Walser an. 

Das vom Österreichischen Wissenschaftsfond FWF geförderte Projekt „Kinderrechte in der Reproduktionstechnologie. Co-Parenting Websites and Children`s Rights in Assisted Reproductive Technology“ ist noch nicht abgeschlossen, es läuft bis 2023

Foto: Professorin Angelika Walser (links) und Bernadette Breunig | © Kolarik 

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Angelika Walser

Moraltheologie und Theologie der Spiritualität

Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)

Universitätsplatz 1, 5020 Salzburg

t.: +43 (0) 662 8044-2676

Email:

 

Mag. Bernadette Breunig

Projektmitarbeiterin (Moraltheologie)

Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)

Universitätsplatz 1, 5020 Salzburg

t.: +43 (0) 662 8044-2527

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