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Wenzelsbibel: Prachthandschrift als digitale Gesamtedition frei zugänglich

Unter der Leitung des Germanisten Manfred Kern von der Paris Lodron Universität Salzburg entsteht die erste digitale Gesamtedition der Wenzelsbibel, einer einzigartigen Prachthandschrift aus dem Spätmittelalter. Sie gehört zum UNESCO Weltdokumentenerbe und ist eine der bedeutendsten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. Nun ist eine Pilotversion der Edition auf der Homepage der Österreichischen Nationalbibliothek für alle Interessierten frei zugänglich https://edition.onb.ac.at/context:wenbibel. Das Projekt wird vom Land Salzburg mit 250.000 Euro gefördert.

Die für den böhmischen und zugleich deutschen König Wenzel IV. zwischen 1390 und 1400 in Prag geschriebene und gemalte Prachthandschrift ist die erste eigentliche, d.h. programmatisch nach dem Wort-für-Wort Prinzip angelegte deutschsprachige Übersetzung der hebräischen Bibel nach der lateinischen Vulgata.

Einst kam sie aus Prag über die Habsburger in Innsbruck nach Wien. Sie umfasst 1.214 Pergamentblätter, die in sechs Bänden gebunden sind. Geschrieben ist sie in gotischer Schrift, die keine Satzzeichen außer Punkten kennt, mit Großbuchstaben nur am Zeilenanfang. Einzigartig an der Wenzelsbibel ist das extrem dichte und künstlerisch höchst wertvolle Illustrationsprogramm mit über 600 zum Teil in Gold ausgelegten Miniaturen.

„Ziel unseres Projekts ist eine digitale Gesamtedition samt Analyse. Sie soll ein Faksimile, also eine originalgetreue Nachbildung der Handschrift, eine Transkription, also ein Überführen in moderne Druckschrift, und eine Edition des Gesamttextes mit Kommentierung sowie eine systematische Untersuchung des Bildprogramms und der Text-Bild-Korrelation bieten. Unsere Edition geht damit weit über die digitalisierte Form der Wenzelsbibel hinaus, die die Österreichische Nationalbibliothek seit Dezember 2021 zur Verfügung stellt, einem reinen Digitalisat“, sagt Projektleiter Manfred Kern vom Fachbereich Germanistik und dem Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit (IZMF) der Universität Salzburg. Die Österreichische Nationalbibliothek als Projektpartner steuert das Editionsmodell bei und hostet die Edition, für die inhaltliche Arbeit an Text und Bild inklusive Datenmodellierung und Frontend-Entwicklung ist die Universität Salzburg verantwortlich.

Während die bildkünstlerische Ausgestaltung der Wenzelsbibel schon länger kunsthistorisch beforscht wird, ist der Text philologisch noch nicht in Ansätzen erschlossen, erklärt Kern. Ein Ziel der Arbeit sei es, durch die Identifikation von Schreibfehlern bzw. Schreibvarianten die Übersetzungsvorlage für die Wenzelsbibel rekonstruieren zu können. „Im Mittelalter gab es immer wieder volkssprachliche Bibeln. Das waren aber keine Wort-für-Wort Übersetzungen, sondern eher Bibel-Dichtungen, mit denen man versucht hat, biblisches Wissen unter das Volk zu bringen, oft in Reim-Form. Das wollte der Wenzels-Bibel-Übersetzer dezidiert nicht, wie er im Prolog klarmacht“, stellt Kern fest.

Ein wichtiger Vorgänger der Wenzelsbibelübersetzung ist das Übersetzungswerk des sogenannten Österreichischen Bibelübersetzers, das große Teile des alten und des neuen Testaments umfasst, aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt und das der Übersetzer der Wenzelsbibel mutmaßlich kannte. Der unbekannte „Österreichische Bibelübersetzer“, zu dem seit einigen Jahren ein vergleichbares Projekt an der Bayerischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften läuft, mit dem das Wenzelsbibel-Projekt kooperiert, hat rund 200 Jahre vor Luther ein beeindruckend umfassendes Oeuvre geschaffen. „Allerdings übersetzt der Österreichische Bibelübersetzer nicht nur, sondern paraphrasiert auch und hat sehr viele exegetische, also auslegende Texte eingebaut, das wollte der Wenzelsbibel-Übersetzer wie gesagt dezidiert nicht“, ergänzt Kern. Die Wenzelsbibel blieb unvollendet, es fehlt das Neue Testament.

Der Text ist das eine, die außergewöhnlich reiche Bebilderung der Prachtbibel das andere.  Der Computerwissenschaftler Andreas Uhl von der Paris Lodron Universität Salzburg testet in einem eigenständigen Teil des Projekts, ob sich über KI- Methoden die Malerhände der Wenzelsbibel identifizieren lassen.

Und wie ist Manfred Kern auf die Idee gekommen, eine digitale Edition und Analyse der Wenzelsbibel zu erstellen? „Angesichts ihrer Bedeutung sind frühe Bibelübersetzungen in der Germanistik relativ wenig beforscht. Ich wollte da eine Lücke verringern, zumal schon vor Jahrzehnten die Wiener Germanistin Hedwig Heger im Anschluss an ihre Faksimile- Ausgabe den Plan zu einer digitalen Edition hatte, aber nicht realisierte.“

Das vom Land Salzburg im Rahmen der „Digital Humanities“ mit 250.000 Euro geförderte Projekt läuft im Jänner 2024 aus. Einen unmittelbaren Bezug der Wenzelsbibel nach Salzburg gibt es nicht, an der Salzburger Universitätsbibliothek ist aber immerhin eine Handschrift aus der sogenannten Wenzels-Werkstatt vorhanden. Detail am Rande: Die ehemalige Skirennläuferin Petra Kronberger hat ihre kunsthistorische und germanistische Abschlussarbeit an der Universität Salzburg zur Wenzelsbibel geschrieben.

Zur digitalen Edition der Wenzelsbibel ist zunächst ein Folgeprojekt beim Österreichischen Forschungsfonds in Planung, längerfristig ist auch an einen Projektverbund im europäischen Rahmen gedacht, in dem Forschende zu deutsch-, englisch- oder tschechisch-sprachigen Bibel-Übersetzungen zusammenarbeiten.

Edition:

Die Wenzelsbibel – Digitale Edition und Analyse. Ein Kooperationsprojekt des Fachbereichs Germanistik der Universität Salzburg und der Österreichischen Nationalbibliothek. Version 0.0.9, 2023-06-28.  https://edition.onb.ac.at/wenzelsbibel

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Uni Salzburg. Univ. Prof. Dr. Manfred Kern Ältere deutsche Sprache und Literatur Fachbereichsleiter. Foto: Kolarik Andreas 03.08.2023

HR Mag. Gabriele Pfeifer

Leitung Kommunikation und Fundraising

Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) | Abteilung Kommunikation und Fundraising

Kaigasse 4-6 | A-5020 Salzburg

Tel: +43 662 8044 2024

E-Mail an HR Mag. Gabriele Pfeifer

Fotos: Codex 2759, fol. 2v, historisierte I-Initiale zum Buch Genesis - Ausschnitt (1) | Projektmitarbeiter Oleksii Sapov-Erlinger MA, Universitätsprofessor Manfred Kern und Projektmitarbeiterin Linda Beutel-Thurow MA (2) | © Kolarik