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Oswald Menghin. Oder wie Wissenschaft und Politik in der Nazizeit verquickt waren

Der Zeithistoriker Robert Obermair von der Paris Lodron Universität Salzburg hat am Beispiel Oswald Menghins (1888-1973), des ehemaligen Rektors der Universität Wien und Unterrichtsministers der ersten österreichischen nationalsozialistischen Regierung, der auch Bezüge zu Salzburg hatte, die enge Verflechtung von Politik und Wissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts akribisch nachgezeichnet. In Kürze erscheint die preisgekrönte Dissertation im Verlag De Gruyter. Menghin machte nicht nur in Österreich eine steile Uni-Karriere, sondern konnte diese nach Kriegsende mithilfe einflussreicher Netzwerke in Argentinien fortsetzen, obwohl er auf der Kriegsverbrecherliste stand.

Es war Detektivarbeit, sechs Jahre lang, von 2013/14 bis 2020. In rund fünfzig Archiven in Österreich, Deutschland, den USA und Südamerika (dort auch auf Dachböden) durchsuchte bzw. erschloss der Zeithistoriker Robert Obermair Akten zu Oswald Menghin, der von 1918 bis 1945 Professor am Urgeschichtlichen Institut der Universität Wien war, 1935/36 zum Rektor gewählt wurde und 1938 Unterrichtsminister im sogenannten „Anschluss“-Kabinett von Arthur Seyß-Inquart war. In diese Zeit fielen das Anschlussgesetz und die sogenannte „Säuberung“ der Universität Wien, rund 40 Prozent des Lehrkörpers wurde wegen jüdischer Abstammung bzw. aus politischen Gründen entlassen. Oswald Menghin war daran maßgeblich beteiligt. „Es ging mir nicht darum, eine Gelehrten-Biographie zu schreiben. Menghins Leben hat mich vielmehr als Beispiel dafür interessiert, wie extrem rechte Netzwerke damals organisiert waren, und wie sie nach dem Krieg in Südamerika weiterfunktioniert haben. Durch die Unterstützung seiner Netzwerke wurde Menghin 1955 begnadigt und bekam so in Argentinien seine österreichische Pension“, sagt Obermair. „Ich wollte nicht nur den Nationalsozialismus zwischen 1938 und 1945 betrachten, sondern die entsprechenden Entwicklungen eingebettet in die einschneidenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts analysieren.“

Eine Grundlage für Menghins Karriere ist das katholisch-konservative Umfeld in Südtirol, in dem er aufwächst. Dort wird das Deutsche betont, Antisemitismus ist bereits in Ansätzen vorhanden. Noch stärker wird das antisemitische Umfeld in Wien, wo Menghin  prähistorische Archäologie studiert. Er findet Anschluss an Kreise des katholisch-konservativen Milieus, wird Mitglied im Kartellverband. An der Uni macht er eine steile Karriere, er wird 1918 – im Alter von 30 Jahren – Professor, bestimmt in den folgenden Jahrzehnten sein Forschungsfeld auch international mit und gehört zu den Topverdienern seiner Profession. In seinem Buch „Geist und Blut“ (1933) schlägt er zur Lösung der Judenfrage vor, die Juden Europas nach Madagaskar auszusiedeln.

In Österreich sind das katholisch-konservative und das deutsch-nationale Lager anfänglich verfeindet. Bei ihrer erneuten Annäherung ab 1936 ist Menghin federführend dabei, denn er ist in beiden Lagern verankert, das ist sein Trumpf. In dieser Phase ist er politisch am einflussreichsten. Im März 1938 endet der Austrofaschismus. Menghin hilft beim reibungslosen Übergang von einem Regime in das andere, der österreichische Staat hört auf zu existieren und wird in das „Deutsche Reich“ einverleibt. Menghin wird im März 1938 Unterrichtsminister und ist damit einer der Organisatoren der sogenannten Säuberung der Universitäten und des Kulturbereichs. Ab Ende Mai 1938 ist er für die Nationalsozialisten dann nicht mehr relevant. Er geht zurück an die Uni, distanziert sich aber nicht vom Nationalsozialismus. Die Zeit des Krieges übersteht er relativ gut, er ist „unabkömmlich“ gestellt.

Als Menghin 1945 erkennt, dass es zu Ende geht, setzt er sich von Wien in Richtung Westen ab. Er hat ein Ferienhaus in Mattsee im Bundesland Salzburg, das auf seine Frau geschrieben ist, taucht dort unter, wird verpfiffen, von den Amerikanern verhaftet und in ein Zivilisten-Internierten Lager in Deutschland gebracht, was – so paradox es klingt – ein Glück für ihn war, wie Obermair herausfand. „In Österreich stand Menghin wegen Hochverrats bzw. Vorbereitung zum Hochverrat auf der sogenannten Ersten Kriegsverbrecherliste. Er hat ja in der Zeit des Austrofaschismus geholfen, die nationalsozialistische Regierung herbeizuführen und so den Untergang Österreichs mitbesiegelt. Darauf stand die Todesstrafe.“

Anfang 1947 wird Menghin – von den Amerikanern als kleiner Fisch eingestuft – freigelassen. Die österreichischen Behörden sind nicht informiert. Er taucht in Deutschland unter und beginnt – vor allem mithilfe seiner katholischen Netzwerke – sein zweites Leben in Südamerika zu planen, samt fußläufiger Flucht über den Reschenpass nach Italien und von Genua per Schiff nach Buenos Aires. „Rund um seine Flucht ist er zum Beispiel vom damaligen Salzburger Erzbischof Rohracher unterstützt worden. Das habe ich durch Zufall im Archiv der Salzburger Erzdiözese herausgefunden, wo sein Name verschlüsselt in Dokumenten auftaucht.“

Ab Herbst 1948 kann Menghin bereits als Professor an der Universität Buenos Aires arbeiten und seine wissenschaftliche Karriere fortsetzen. Er übersteht auch in Argentinien diverse Regime-Wechsel, seine Netzwerke halten, wie Obermair belegt hat.  „Es wurde kein Auslieferungsverfahren gegen Menghin eröffnet, obwohl er im österreichischen Fahndungsblatt stand. 1955 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Der damalige österreichische Unterrichtsminister Heinrich Drimmel und der damalige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Richard Meister setzten sich für ihn ein. Er wurde schließlich – unter Hinweis auf sein hohes wissenschaftliches Ansehen – rehabilitiert. Drei Jahre später wurde er korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.“  Menghin reiste mehrmals nach Österreich, kehrte aber nicht endgültig zurück, sondern blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1973 in Argentinien wissenschaftlich tätig.

Einer der Schüler Oswald Menghins war der Salzburger Prähistoriker Kurt Willvonseder (1903-1968), der langjährige Leiter des Salzburger Museums Carolino Augusteum und SS-Obersturmbannführer, zu dem Obermair ein Buch im Salzburger Otto Müller Verlag veröffentlicht hat.

Es dauerte lange bis sich die Wissenschaft kritisch mit den Prähistorikern der NS- Zeit beschäftigte. Otto Urban, ein Nachfolger Menghins, hinterfragte 1996 als erster in einem Aufsatz die Rolle des Urgeschichtlichen Instituts unter Menghin in der Nazizeit. Robert Obermair hat nun minutiös die Akten erschlossen.


Robert Obermair (34) ist Universitätsassistent am Fachbereich Geschichte der Paris Lodron Universität Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nationalsozialismus, die Universitätsgeschichte und die Erinnerungskultur, wobei es ihm auch darum geht, Geschichte – weg vom rein Akademischen – für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So arbeitet er zum Beispiel mit lokalen Personengruppen am Public History Projekt „Orte des Gedenkens in Salzburg“ oder ist ehrenamtlich beim „Alpine Peace Crossing“ engagiert, einem Projekt, das jährlich an die Flucht tausender Juden über den Krimmler Tauern erinnert. Ab Oktober wird Obermair als erster an der neu geschaffenen Stelle für Public History der Universität Salzburg als Postdoc arbeiten.

Dissertation
Robert Obermair: „Oswald Menghin (1888 – 1973). A Prime Example of the Close Interdependance between Science and Politics in the Age of Extremes“.
Betreut wurde die Dissertation von Margit Reiter und Helga Embacher.


Kontakt:
Dr. Robert Obermair
Fachbereich Geschichte
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Rudolfskai 42 I 5020 Salzburg
t.: +43 662 8044 4733
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