Leopold Kohr

Biografie

Leopold Kohr *1909 Oberndorf bei Salzburg, † 1994 Gloucester, England. Österreichischer Philosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker, Anarchist und Pionier der Ökologiebewegung, Promotion zum Dr. jur in Rechtswissenschaften in Innsbruck (1933) und zum Dr. rer. pol. in Staatswissenschaften in Wien (1937), 1938 Emigration nach Amerika, wissenschaftliche Tätigkeiten u.a. für das Carnegie Endowment for International Peace in Washington, Lehrstuhl in New Jersey (1943), Professur an der Staatsuniversität San Juan auf der Karibikinsel Puerto Rico ab Mitte der 1950er Jahre, Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis (1983) für seine "frühe Inspiration der Bewegung für ein menschliches Maß", Ehrung mit dem „Ring des Landes Salzburg“ (1986), Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich (1989), 1986 Gründung der Leopold-Kohr-Akademie und des Kulturvereins Tauriska in Neukirchen a. Großvenediger

Leopold Kohr

                   Fotocredit: Leopold Kohr Akademie


Leopold Kohr

Leopold Kohr war ein österreichischer Philosoph, Ökonom und Gesellschaftstheoretiker, der vor allem durch seine kritische Auseinandersetzung mit der Größe und Komplexität moderner Gesellschaften bekannt wurde. Er wurde am 5. Oktober 1909 als Sohn eines Arztes in Oberndorf bei Salzburg geboren. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Salzburg studierte er Staatswissenschaften, Rechtswissenschaften, Ökonomie und Journalismus in Wien, Innsbruck, London und Paris. Dort war er Mitbegründer einer sozialistischen Studierendengruppe. 1937 unterstützte Kohr als Berichterstatter die antifaschistischen Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg. 1938 emigrierte er nach Amerika und arbeitete zunächst in einem kanadischen Goldbergwerk, wo er sein Gehör verlor. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten, unter anderem für das Carnegie Endowment for International Peace, lehrte er ab 1943 unter anderem an den Universitäten in New Jersey, Puerto Rico und Aberystwyth (Wales). Zudem erhielt er Gastprofessuren an renommierten Universitäten in der ganzen Welt wie etwa in Cambridge.

Noch während des Zweiten Weltkriegs begann Kohr, seine wesentliche Theorie auszuarbeiten: Kleine Einheiten in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sind großen überlegen. Er forderte angesichts der Verbrechen, die imperialistische und faschistische Staaten verübten, die Aufteilung Europas in etwa gleich große Kleinstaaten. Daraus entwickelte er ein wissenschaftliches Gesamtwerk, das sehr früh auf die Grenzen des Wachstums und Aspekte der Suffizienz abzielte. Damit wurde Kohr zu einem Pionier der Ökologiebewegung, lange bevor der Bericht an den Club of Rome das Thema Wachstum in den 1970er Jahren in die öffentliche Diskussion brachte und die negativen Folgen unkontrollierten Wachstums überall erkennbar waren. Kohr beeinflusste andere wichtige Denker wie E.F. Schumacher. Darüber hinaus widmete er sich Fragen der Stadtplanung, Entwicklungshilfe und Bildungspolitik. So trat er früh für die Schaffung von Fußgängerzonen und einer Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe ein. Das von ihm erfundene „Akademische Wirtshaus“ sollte als Ort gleichberechtigten Diskurses von Lehrenden und Lernenden fungieren. Und Kohr verstand sich persönlich als Anarchist, der allen diktatorischen und kontrollierenden Systemen kritisch gegenüberstand.

Nach der Pensionierung an der Universität Puerto Rico im Jahr 1973 übersiedelte Kohr nach Wales, später nach Gloucester (England). 1983 erhielt er als erster Österreicher den „Right Livelihood Award“, den sogenannten Alternativen Nobelpreis, für seine „frühe Inspiration der Bewegung für ein menschliches Maß“. Lange Zeit war Leopold Kohr in seiner Heimat vergessen, bis er im Zuge der Halleiner Keltenausstellung auch hier wieder entdeckt und geschätzt wurde. Das offizielle Österreich ehrte ihn durch Auszeichnungen wie das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. Kurz bevor Kohr endgültig in seine Heimat zurückkehren wollte, starb er am 26. Februar 1994 in England.

Seit 1986 führen die Leopold-Kohr-Akademie und der Kulturverein Tauriska Kohrs Ideen weiter, indem sie regionale Kultur- und Entwicklungsarbeit leisten und Kohr über das gemeinsam mit der Paris-Lodron-Universität Salzburg betriebene Leopold-Kohr-Archiv auch in akademische und intellektuelle Diskussionen einbinden.

Ewald Hiebl, 24. September 2024

Zitate:

Was Anarchismus predigt ist, dass der Zweck der Schöpfung das Individuum ist, nicht die Gesamtheit. Das Maß aller Dinge ist daher der Mensch, nicht die Menschheit, die Gesellschaft, die Nation oder der Staat. Da der Mensch klein ist, müssen auch seine Institutionen – Familie, Betrieb, Wirtshaus, Spital, Dorf, Stadt, Gesangsverein – relativ klein bleiben, wenn sie ihn nicht zerquetschen sollen (Leopold Kohr. Das Ende der Großen, hg.v. Ewald Hiebl und Günther Witzany, Otto Müller Verlag, Salzburg, 2001.S. 34) 

Das hat Salzburg, Lucca, Cambridge oder das alte San Juan zu so lebendigen, liebens- und lebenswerten Städten gemacht: dass sie als „Föderation“ von Plätzen und Märkten gewachsen sind, die durch Straßen miteinander verbunden sind, und nicht als Verbund von Straßen, die in Plätzen nichts anderes sehen als entweder Parkplätze oder Verkehrshindernisse (und dabei nicht erkennen, dass das Verkehrshindernis die Grundlage des Handels darstellt). (Leopold Kohr. Probleme der Stadt. Gedanken zur Stadt- und Verkehrsplanung. hg.v. Ewald Hiebl und Günther Witzany, Otto Müller Verlag, Salzburg, 2008, S. 49) 

Ein Europa der Regionen, so ist behauptet worden, wird wieder als ein Europa der ständigen Kriege und des kleinlichen Nationalismus enden. Natürlich wird es Zusammenstöße geben. Aber ohne große Nationalstaaten, werden Konflikte nicht die Dimension des Völkermords oder des Holocaust annehmen, wie es in diesem Jahrhundert geschehen ist. Wellen in einer Badewanne versenken keine Schiffe. Wie bei allen Dingen liegt das Gift in der Größe. (Leopold Kohr. Die Lehre vom rechten Maß. hg.v. Ewald Hiebl und Günther Witzany, Otto Müller Verlag, Salzburg 2006, S. 194)

Anschrift:
HS 301, Leopold-Kohr-Hörsaal
Franziskanergasse 1/IV
5020 Salzburg