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„Der lange Schatten der Kinder- und Jugendhilfe“. Sozialpädagogische Tagung

Wenn Kinder und Jugendliche in ihrem Elternhaus nicht die nötige Obhut und Versorgung erhalten, wurden und werden sie fremduntergebracht. Doch die Geschichte der Fremdunterbringung in Heimen ist eine Geschichte von Gewalt und Unterdrückung, zu deren weiterer Aufarbeitung am 5. Dezember 2018 eine Tagung an der Universität Salzburg beitragen will.

Unter dem Motto „Der lange Schatten der Kinder- und Jugendhilfe“ stellen Referenten und Referentinnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz neue Forschungserkenntnisse zur Heimerziehung vor. Veranstaltet wird der Fachtag von der  Sozialpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Salzburg.

Im Jahr 2010 erreichte der Heimkinderskandal in Österreich seinen Höhepunkt. Das ganze Ausmaß der Gewalt sowie der psychischen, sozialen und gesundheitlichen Spätfolgen wurde bekannt, nachdem Jeno Alpár Molnár, Franz Josef Stangl, Hermine Reisinger und andere ehemalige Heimkinder an die Öffentlichkeit gegangen waren und über die erlittenen Qualen berichteten.

In der Folge wurden zahlreiche geschichts-, sozial- und erziehungswissenschaftliche Studien zur Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen durchgeführt, insbesondere zu den Ländern Tirol, Kärnten, Wien und Salzburg. Trotz beachtlicher Forschungsleistungen sei es bisher aber noch nicht gelungen, einen länderübergreifenden, kritischen und von der Politik unterstützten Diskurs über Zwang und Repression in der Heimgeschichte und deren Aufarbeitung zu führen, sagt der Salzburger Sozialpädagoge Ass.-Prof. Dr. Eberhard Raithelhuber. Er ist Mitorganisator des Fachtags.   www.uni-salzburg.at/blicke.

„Die sozialpädagogische Forschung an der Universität Salzburg will neuere Erkenntnisse zusammentragen und mehr Licht ins Dunkel bringen. Ziel des Fachtags ist es, Anregungen für einen Diskurs zu bieten, um Praxis, Politik, Forschung und Studierende in Österreich dafür zu gewinnen, sich verstärkt und systematisch mit der Geschichte der Fremdunterbringung zu beschäftigen und auch Ressourcen dafür einzusetzen. Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, läuft Gefahr, sie zu wiederholen.“

Im Eröffnungsvortrag am Mittwoch, 5. Dezember (13.15 Uhr) im Unipark Nonntal präsentiert der profunde Kenner der Fremdunterbringung, der Grazer Univ.-Prof. i. R. Dr. Josef Scheipl eine Zusammenschau der Heimskandale in Österreich und deren pädagogischer Bearbeitung. Scheipl war zwei Jahrzehnte bis 2011 Leiter der Abteilung für Sozialpädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Seit 2011 ist er Lehrbeauftragter an der FH Joanneum und an der Donau Universität Krems.

Demütigungen, Misshandlungen und sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen wurden von Erzieher/innen und Anstaltspersonal sowohl in Heimen der katholischen Kirche als auch in Heimen der öffentlichen Jugendwohlfahrt bis mindestens in die 1980er Jahre ausgeübt. Die katholische Kirche reagierte zur Aufklärung der Vorwürfe als erste mit der Errichtung einer „Unabhängigen Opferschutzkommission“ (Klasnic-Kommission). Es folgte die Stadt Wien mit der „Historikerkommission“ und der „Kommission Wilhelminenberg“. Die Bundesländer Salzburg, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg und Kärnten zogen nach.

„Zwar legten die Berichte die teilweise katastrophalen Lebenswirklichkeiten der Jugendlichen in den Heimen offen, doch die Missstände der Jugendwohlfahrt fokussierten im Wesentlichen auf die unmittelbar Betroffenen, auf die Kinder und das Erziehungspersonal“, schränkt die Salzburger Erziehungswissenschaftlerin Univ.-Prof. Dr. Birgit Bütow die Aussagekraft der Berichte ein und leitet daraus eine Forderung ab: „In zukünftigen Arbeiten ist die Mitverantwortung, nicht nur die Mitwisserschaft, der verantwortlichen Behörden und Politiker/innen herauszuarbeiten. Solcherart vergrößert sich die Chance, von vornherein entsprechende strukturelle Bedingungen für gelingende stationäre Unterbringung zu schaffen.“

Ausgeblendet bleiben dürfe auch nicht die grundsätzliche gesellschaftspolitische Frage: Wie waren die Verhältnisse beschaffen, die solches Verhalten hervorbrachten, tolerierten oder einfach nicht zur Kenntnis nahmen. Bis in die 1970er Jahre galt in Österreich die Anwendung von Gewalt als legitimes Erziehungsmittel.  Erst ab 1989 wurde die Anwendung jeglicher Gewalt als „unzulässig“ eingestuft. Ein Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung fand seine verfassungsmäßige Verankerung erst im Jahr 2011.

Karin Roth ist die Leiterin der Ombudsstelle der Erzdiözese Salzburg für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Sie wird zur Beratungspraxis an der Ombudsstelle referieren und von praktischen Erfahrungen berichten.

Auch wenn es für das Leid der Opfer keine angemessene Wiedergutmachung gibt, sind wenigstens finanzielle Hilfen geflossen.  Die Klasnic-Kommission hat bisher 1813 Opfern insgesamt 25,6 Millionen Euro zuerkannt.

Da der Diskurs um die Aufarbeitung in Deutschland und in der Schweiz teils weiter fortgeschritten, teils anders verlaufen ist als hierzulande, sind auch Forscher aus diesen Ländern eingeladen. Die Veranstalter erwarten sich von ihnen wertvolle Anregungen für die Bestrebungen, das Thema in Österreich vermehrt zur Sprache zu bringen.  

Veranstaltung:   
„Der lange Schatten der Kinder- und Jugendhilfe. Zur Aufarbeitung der Fremdunterbringung im deutschsprachigen Raum“. Fachtag Sozialpädagogische Blicke 2018: Wann: Mittwoch, 5.Dezember 2018, 13.00 bis 20.00 Uhr. Wo: Universität Salzburg, Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Straße 1, 5020 Salzburg, Hörsaal 1.

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