Karriereforscherin Reichel: Auch Kinderbetreuungsangebote (alleine) helfen Frauenkarrieren wenig
Ein Ziel des Ausbaus der öffentlichen Betreuungsangebote für kleine Kinder ist es, Frauen eine berufliche Karriere zu ermöglichen. Organisationen reagieren jedoch auf eine großzügige Kinderbetreuungssituation meist nicht wie erwartet mit der Förderung von Frauen-Karrieren. Zu diesem kontra-intuitiven Ergebnis kommt die Salzburger Arbeits- und Karriereforscherin Astrid Reichel in einer internationalen Studie mit 12.000 Teilnehmer/innen.
Reichel wurde für die Studie von der Academy of Management (AoM) für den Carolyn B. Dexter Award nominiert. Die AoM ist die wichtigste internationale Vereinigung der Managementwissenschaftler.
In vielen Ländern ist die Teilnahme am Arbeitsmarkt zwischen Männern und Frauen sehr ungleich verteilt, besonders was beruflichen Aufstieg und Einkommen angeht. Deswegen setzen Regierungen politische Maßnahmen, die die Gleichstellung der Geschlechter verbessern sollen, indem für Frauen die Erwerbsmöglichkeit sowie das Erreichen von Führungspositionen erleichtert wird. Dazu zählen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie erleichtern sollen, insbesondere Karenz-Modelle und öffentliche Betreuungsangebote für Kleinkinder. Solche Rahmenbedingungen wirken sich aber nicht nur auf individuelle Familien-Entscheidungen von Frauen und Männern aus, sondern auch auf die Erwartungen von Entscheidungsträgern in Organisationen bezüglich der Verfügbarkeit ihrer Angestellten. Diese Erwartungshaltung wiederum beeinflusst wesentlich, ob Organisationen bereit sind, in Mitarbeiter/innen karrieretechnisch zu investieren.
Genau diesen Aspekt hat Astrid Reichel, Professorin für Human Resource Management an der Universität Salzburg in einer großangelegten Studie untersucht („The Disabling Effects of Enabling Social Policies on Organisation`s Human Capital Development Practises for Women“). Mehr als 12.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus 19 Ländern wurden befragt, welche Angebote sie für die Weiterentwicklung ihrer Karriere von den Organisationen erhalten. Die Daten zu den Karenz- und Kinderbetreuungsregelungen in den entsprechenden Ländern wurden von der OECD bezogen.
Je länger die bezahlte Karenzzeit in einem Land ist, desto weniger investieren dort Organisationen in die Karrieren von Frauen. Das war ein -wenig überraschendes -Ergebnis. „Das war auch unsere erste Hypothese. Es ist ja so, dass die Entscheidung darüber, in welchen Mitarbeiter, welche Mitarbeiterin Organisationen – mit Blick auf den eigenen Nutzen, Stichwort Return on Investment – investieren, mit viel Unsicherheit behaftet ist. Nehmen wir an, es geht um eine Frau, Mitte 30, verheiratet. Zahle ich ihr eine Weiterbildung oder nicht? Politische Kontexte liefern den Personalmanagern da zusätzliche Informationen. Wenn ich als Organisation die Information habe, dass zum Beispiel Frauen in Österreich zwei Jahre Anspruch auf Karenz haben, verstärkt das die Idee, dass sich Frauen um die Kinder kümmern. Organisationen sind daher bei längerer Karenzdauer weniger zu Frauenförderung bereit.“
Öffentliche Betreuungsangebote für Kinder von 0 bis 2 Jahren motivieren hingegen Organisationen, Frauenkarrieren zu unterstützen, so Reichels zweite Hypothese. Denn genügend Kinderbetreuungsplätze entschärfen die Befürchtung von Unternehmen, dass Frauen wegen Betreuungspflichten ausfallen, so die Annahme. Diese wurde jedoch in der Studie nicht bestätigt. Im Gegenteil: Es zeigte sich, dass in Ländern, in welchen mehr Kleinkinder in Betreuungseinrichtungen untergebracht sind, Organisationen weniger in Frauen investieren als in Ländern, wo die außerfamiliäre Betreuungssituation begrenzter ist. „Insgesamt sendet wahrscheinlich ein gutes Kinderbetreuungsangebot an Organisationen das Signal aus, dass es für Frauen gesellschaftlich einen Anreiz zum Kinderkriegen gibt“, so Reichels Versuch einer Erklärung. Männer waren übrigens in der Studie nicht negativ betroffen, weder durch großzügige Regelungen zur Kinderbetreuung noch zur Karenzzeit.
„Wir sehen also, dass die gesellschaftspolitischen Unterstützungen für Frauen die festgefahrene Vorstellung kaum aufbrechen, dass primär Frauen die Verantwortung für Kinder haben. Die Stereotype vom Mann als Ernährer und der Frau als Familienfürsorgerin halten sich hartnäckig. Die Corona-Krise hat dieses Bild noch verstärkt“, sagt Reichel. Und sie ergänzt: „Das Thema Vereinbarkeit Beruf und Familie geht den Leuten teilweise schon auf die Nerven, auch weil schon so lange darüber geredet wird, sich in der Praxis aber wenig ändert.“
Wie Organisationen auf Faktoren in ihrem Umfeld (z.B. Karenz und Kinderbetreuungssituation, Frauenquoten in Vorständen) reagieren, ist ein Forschungsschwerpunkt von Astrid Reichel. Dazu gehört auch der Aspekt Kultur und Karriere. Ein Artikel zu diesem Thema („Proactive career behavior and subjective carreer success: The moderating role of national culture“) mit Astrid Reichel als Co-Autorin zählt zu den Beiträgen, die im „Journal of Organizational Behaviour“ zu den am öftesten heruntergeladenen Papers 2019 gehören. Andere Themen Reichels sind zum Beispiel Kreativität in Organisationen oder neue Formen der Arbeit.
Astrid Reichel (geboren 1978 in Mistelbach/Zaya) hat nach dem Diplomstudium der Betriebswirtschaft an der Universität Wien und der University of California L.A. ein Doktoratsstudium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ebendort absolviert. Habilitation zum Thema Strategic Human Resource Management. Von 2005 bis 2016 war Reichel an der Wirtschaftsuniversität Wien beschäftigt, zuletzt als assoziierte Professorin. Als Gastprofessorin war sie an der Simon Fraser University, Vancouver und der Universität Göteborg tätig, als Lektorin an der Universität Innsbruck. Seit März 2016 ist Reichel Universitätsprofessorin und Leiterin der Facheinheit Human Resource Management an der Universität Salzburg.
Reichel ist verheiratet und Mutter zweier Mädchen (10, 6).
Studie: Astrid Reichel et al. The Disabling Effects of Enabling Social Policies on Gender Equality in Organizational HR Development. 80th Annual Meeting of the Academy of Management, August 7-11, 2020.
UNI Salzburg – Univ.-Prof. Mag. Dr. Astrid Reichel, Wirtschaftswissenschaften | Foto: Kolarik
Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Astrid Reichel
Professorin für Human Resource Management
Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)
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