Östrogen erleichtert Vokabellernen. Salzburger Forscher starten Studie zu Einfluss von Hormonen auf Sprachverarbeitung
Linguisten und Neurowissenschaftler der Universität Salzburg untersuchen in einem Kooperationsprojekt den Einfluss von Hormonen auf die Informationsverarbeitung im Gehirn beim Sprachenlernen. Im Zentrum steht die Frage, welche Rolle das weibliche Geschlechtshormon Östrogen bei der Neurokognition von Sprache spielt. Es gibt Hinweise, dass Östrogen zum Beispiel das Vokabellernen erleichtert.
In einer Studie wollen die Forscher um den kognitiven Linguisten Professor Hubert Haider und den Neurowissenschaftler Professor Hubert Kerschbaum nun an Testpersonen experimentell den Einfluss von Östradiol, dem wichtigsten Östrogen, auf die Sprachverarbeitung überprüfen. Ebenso testen die Wissenschaftler den Einfluss des „Glückshormons“ Dopamin auf das Sprachenlernen.
„Auswendiglernen ist etwas für Mädchen, Burschen geht es ums Ausprobieren.“ Dieser oft geäußerte Kommentar klingt nach einem Klischee, aber aus der Neurowissenschaft gibt es Hinweise, dass Mädchen und Burschen Informationen tatsächlich meist unterschiedlich aufnehmen und unterschiedlich verarbeiten, auch beim Erlernen von Sprachen. Neben individuellen und soziokulturellen Unterschieden könnte es auch biologische, d.h. hormonell bedingte Geschlechtsunterschiede beim Spracherwerb geben. Ein bei jungen Frauen im Vergleich zu Männern erhöhter Östradiolspiegel könnte die Einspeicherung von konkretem Wissen erleichtern. D.h. Östradiol könnte das Auswendiglernen von Faktenwissen, wie „Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland“ begünstigen. In der Fachsprache wird das Abspeichern von Fakten als „deklaratives Gedächtnis“ bezeichnet. Ihm gegenüber steht das „prozedurale Gedächtnis“. Es umfasst Fertigkeiten, die in der Regel automatisch, ohne Nachdenken eingesetzt werden. Prozedurale Gedächtnisinhalte werden überwiegend durch implizites Lernen erworben. Durch Ausprobieren zum Kapieren, wie zum Beispiel beim Fahrradfahren lernen.
Bei der Sprachverarbeitung, dem Sprachgebrauch und dem Sprachenlernen brauchen wir beide Gedächtnissysteme, erklärt Professor Hubert Haider vom Fachbereich Linguistik der Paris Lodron Universiät Salzburg „Einerseits müssen wir viele Dinge auswendig lernen. Das betrifft typischerweise den Wortschatz. Dafür ist das deklarative Gedächtnis zuständig, es wird durch Östradiol unterstützt. Aus Beobachtungen und anekdotischen Geschichten ist bekannt, dass ein Östradiolmangel oder ein starker Östradiolabfall zu Merkschwierigkeiten führt. Andererseits gibt es die Grammatik. Die muss man einüben. Das ist Sache des prozeduralen Gedächtnisses. Dabei spielt der Botenstoff Dopamin eine wichtige Rolle.“
Die Salzburger Forscher wollen nun herausfinden, wie stark der Einfluss von Östradiol und Dopamin ganz konkret auf die Sprachverarbeitung bei beiden Geschlechtern ist. Die Testpersonen bekommen typische Sprachaufgaben zu lösen. “Eine Östradiol – sensitive Aufgabe ist zum Beispiel, sich Pseudowörter zu merken. Wörter möglichst schnell von hinten nach vorn zu sprechen, dabei hilft hingegen Dopamin“, sagt Haider. „Wir sind gespannt, was die Untersuchungen ergeben werden“.
Die Studie wurde vor kurzem gestartet. Als nächstes sollen die Hormonspiegelmessungen ergänzt werden mit Messungen der Hirnaktivität (mittels EEG/ Elektroenzephalographie, MEG/ Magnetoenzephalographie und Nah-Infrarot-Spektroskopie), um so auch die sprachverarbeitenden Areale im Gehirn genau identifizieren zu können. Bei der Studie handelt es sich um Grundlagenforschung, aus der Impulse für die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen in der „School of Education“ zu erwarten sind, Stichwort „gendergerechter Unterricht“.
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Foto: links Professor Hubert Haider und rechts Professor Hubert Kerschbaum | © Kolarik