Pflegestudie: Selbstbestimmung ist Schlüsselfaktor für Zufriedenheit
Ein Kernelement für Zufriedenheit in der Pflege ist die Selbstbestimmung. Zu dem Ergebnis kommt eine Salzburger Studie, bei der die ethischen Aspekte im Mittelpunkt stehen. Initiator der Studie „Im Fokus: Gutes Leben. Ethische Aspekte der Betreuung und Pflege betagter Menschen in Österreich“ war der Sozialethiker Clemens Sedmak.
Wie die Erkenntnisse der Studie in die Praxis umgesetzt werden könnten, ist eines der Themen im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil bei der Tagung „Jung & Alt. Dem Generationenwechsel auf der Spur“, die am 18. und 19. Oktober stattfindet. Neben Experten der Universität Wien sind auch zahlreiche Wissenschaftler der Universität Salzburg vertreten. Veranstalter ist das Internationale Forschungszentrum.
Wie in allen westlichen Ländern hat sich auch in Österreich die Altersstruktur erheblich verändert. Und die Alterung der Gesellschaft wird sich weiter verstärken. Gab es 1950 noch mehr als doppelt so viele unter 20-Jährige als über 65-Jährige, so wird es laut Prognosen im Jahr 2050 mehr als doppelt so viele über 65-Jährige als unter 20-Jährige geben. Besonders stark wird die Zahl der über 80-Jährigen steigen und damit auch das Risiko des Betreuungs- und Pflegebedarfs. Laut Statistik Austria werden im Jahr 2050 vier Mal so viele über 85-Jährige in Österreich leben wie heute.
Während sich viele Studien mit den ökonomischen Herausforderungen des demographischen Wandels beschäftigen und meist negative Altersbilder zeichnen, beleuchtet die Studie „Im Fokus: Gutes Leben. Ethische Aspekte der Betreuung und Pflege betagter Menschen in Österreich“ positive Aspekte und sorgt so für einen Perspektivenwechsel, sagt Studienautor Gunter Graf. Graf ist Philosoph am Internationalen Forschungszentrum (ifz) und am Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg sowie Mitglied im Geronto-Netzwerk der Universität. „In Österreich wie in den meisten Ländern sind die Begriffe Betreuung und Pflege negativ behaftet und werden dominiert vom Bild des Verfalls. Wir gehen hingegen von einem positiven Ansatz aus und wollten wissen wie ein gutes Leben in Betreuung und Pflege ausschaut. Sowohl für Gepflegte als auch für Pflegende. Deswegen haben wir mit Betroffenen intensive Gespräche geführt.“
Initiator der vom Internationalen Forschungszentrum (ifz) – in Zusammenarbeit mit der Caritas – durchgeführten Studie war der Salzburger Sozialethiker Clemens Sedmak. Konkretisiert wurde die Studie von Gunter Graf und der Politikwissenschaftlerin Elisabeth Buchner. Die Autoren haben österreichweit vier Gruppen befragt: Menschen mit Betreuungs-und Pflegebedarf im ambulanten und stationären Bereich, pflegende Angehörige, professionell Pflegende und ehrenamtlich Tätige. „Die intensiven Interviews mit 15 Betroffenen geben uns einen guten Einblick in die österreichische Situation. Um die Aussagekraft unserer qualitativen Studie zu erhöhen haben wir sie mit anderen Untersuchungen und mit Forschungsliteratur rückgekoppelt,“ sagt Graf.
Ein Kernergebnis: Für Zufriedenheit in der Pflege ist die Selbstbestimmung ein zentrales Element. „Wir haben gesehen, dass es für das Glück der Menschen ganz wichtig ist, gerade auch in der Lebensphase, die durch Einschränkungen gekennzeichnet ist, noch mitbestimmen zu können, zumindest in einigen wichtigen Teilen. Natürlich gibt es da Grenzen, aber die Menschen sollten soweit wie möglich in die Entscheidungen eingebunden werden. Das kann große Fragen betreffen wie zum Beispiel das Pflegesetting, es kann aber auch um Kleinigkeiten wie banale Alltagstätigkeiten gehen.“
Graf nennt ein Beispiel: Eine betagte ältere Frau gab in dem Interview an, dass sie ihren Müll lieber selber hinausbringen würde. Das würde ihr das Gefühl geben, nicht vollkommen auf andere angewiesen zu sein, sondern noch zu etwas zu taugen. Andererseits dürfte aber auch die Selbstbestimmung der Pflegenden nicht zu kurz kommen, betont Graf. Insgesamt plädiert Graf dafür, gesellschaftlich an positiven Altersbildern zu arbeiten. „Wir übersehen oft, dass auch Menschen mit Pflegebedarf noch Potentiale und Ressourcen haben, um ein gutes Leben zu führen. Da sollten wir anknüpfen. Wir sollten ihnen ermöglichen, an der Gesellschaft teilzuhaben. Wissenschaftlich interessant ist in diesem Zusammenhang der sogenannte Fähigkeiten-Ansatz (Capability Approach) des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Amartya Sen und der Philosophin Martha Nussbaum.“
Da ein gutes Leben in der Pflege eng mit Finanzierungsfragen verbunden ist, richtet Graf Appelle an die Politik: Der Pflegefonds müsste langfristig abgesichert werden. Es gelte die Pflegegeldeinstufung zu verbessern indem verschiedene Berufsgruppen in die Beurteilung eingebunden werden. Und das Gesundheits- und Pflegesystem gehörten stärker verschränkt. „Woran es in Österreich auch mangelt, sind flexiblere ambulante Unterstützungsangebote für zu Hause. Oft gibt es nur die Wahl zwischen Heim oder daheim, nichts dazwischen.“ Ein Patentrezept für ein gutes Leben in der Pflege gäbe es aber nicht. „Altern und das Leben in der Pflege sind sehr vielfältig. Es differenziert sich immer mehr aus. Wir müssen die Potentiale und Verwundbarkeiten jedes einzelnen anerkennen.“
Ausgehend von der Studie soll in einem Workshop am 18. Oktober im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil bei der Tagung „Jung & Alt in Salzburg. Dem Generationenwandel auf der Spur“ (http://www.ifz-salzburg.at/uploads/Konferenz-ALT-JUNG_flyer_NEU_web.pdf) mit den Teilnehmern überlegt werden, was es in Salzburg braucht, damit für mehr Menschen in Betreuung und Pflege ein gutes Leben möglich wird. Die Tagung soll außerdem den Dialog zwischen den Generationen intensivieren, sagt Graf, geht es doch gerade bei der Pflege auch um die Frage der Ressourcenverteilung.
Die Keynote Speaker der Tagung sind der Salzburger Sozialethiker Clemens Sedmak („Reden hilft, aber nicht immer. Teilen zwischen Generationen“) und die Sozialökonomin Karin Heitzmann von der Universität Wien („Generationen – Altern – Ungleichheit“). Weitere Programmpunkte sind zum Beispiel eine Podiumsdiskussion u.a. mit Cecily Corti und vier Workshops u.a. mit dem Alternsforscher Günter Lepperdinger, dem Sozialgeographen Andreas Koch, dem Politikwissenschaftler Armin Mühlböck und der Genetikerin Hannelore Breitenbach-Koller von der Universität Salzburg. Die vom ifz organisierte Tagung findet im Rahmen der Jubiläums-Initiative „Salzburg 20.16“ statt.
Studie:„Im Fokus: Gutes Leben. Ethische Aspekte der Betreuung und Pflege betagter Menschen in Österreich“ (www.ifz-salzburg.at/uploads/Bericht-Gutes-Leben-Pflege.pdf)
Tagung:18. – 19. Oktober, St. Virgil, Salzburg „Jung & Alt in Salzburg. Dem Generationenwandel auf der Spur“. ( http://www.ifz-salzburg.at/uploads/Konferenz-ALT-JUNG_flyer_NEU_web.pdf)
Foto: Dr. Gunter Graf | © Kolarik