„Religion und Armut“. Symposium thematisiert die ambivalente Rolle der Religion bei Armutsbekämpfung
Von 21. bis 22. September 2017 veranstaltet das Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg ein internationales Symposium zur Armutsforschung, in dem 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt zum bisher kaum beleuchteten Thema „Religion und Armut“ referieren.
Im Fokus der 5. „Salzburg Conference on Interdisciplinary Poverty Research“ steht die Ambivalenz von Religionen bei der Auseinandersetzung mit Armut. Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und Kulturen nehmen sowohl die Potentiale von Religionsgemeinschaften bei der Armutsbekämpfung in den Blick als auch mögliche Gefahren wie zum Beispiel Missionierung oder Armutskonsolidierung durch metaphysische Vertröstungen. In seiner Form und Breite ist das Symposium international ein Novum.
„Auch von der Weltbank und den Vereinten Nationen werden Religionen immer wichtiger genommen – als Faktor zur Einschätzung der Lebenssituation von Menschen und zur Armutsbekämpfung. Man spricht von Religion als spirituellem Kapital, als Resilienz-Ressource“, sagt der Armutsforscher und Sozialethiker Clemens Sedmak. Er ist der Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung (ZEA) der Universität Salzburg und als Professor für Sozialethik am King´s College in London und zurzeit an der University Notre Dame (Indiana) in den USA tätig. Wie es um das Verhältnis von Religion und Armut aber konkret bestellt ist, das sei wissenschaftlich bisher kaum erforscht, stellt Sedmak fest. Deswegen nehme das ZEA dieses Thema bei der 5. „Salzburg Conference in Interdisciplinary Poverty Research“ ( http://www.poverty-conference.org ) in den Blick.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt werden u.a. sogenannte FBOs, („faith-based organisations“) bilden. FBOs sind glaubensbasierte Organisationen wie die Caritas der römisch-katholischen Kirche oder die evangelische Diakonie, aber auch der Islam und andere Religionsgemeinschaften betreiben FBOs. FBOs sind quasi das kirchliche Pendant zu den NGOS, den Nichtregierungsorganisationen. Wie sich FBOs von NGOs unterscheiden wird in immer mehr Studien untersucht.
Fakt ist: FBOs – mit ihren Vor- und Nachteilen – gewinnen immer mehr Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte über Armutsbekämpfung. Gerade weil viele Menschen religiös motiviert sind, haben FBOs leichter Zugang zu den kleinsten Orten und den einfachsten Dorfbewohner/innen. FBOs können den Menschen funktionierende Netzwerke anbieten, und FBOs sprechen eine Sprache, die Armut nicht rein materiell fasst. Diese Faktoren werden auf der Positivseite der FBOs vermerkt. Als Nachteil gilt vor allem die ideologische Gefahr. Es könnte den FBOs oft mehr darum gehen, die eigene Religionsgruppe zu bedienen als Armutsbekämpfung zu betreiben, lautet ein Vorbehalt.
FBOs sind ein Forschungsschwerpunkt von Paul Cloke, Professor für Humangeographie an der University of Exeter (Engand). Er wird bei der Eröffnung der Konferenz am Donnerstag, 21. September um 9 Uhr den ersten Keynote Talk halten. Gerade in Ländern wie England oder den USA, wo das Sozialsystem auf sehr viel wackligeren Beinen steht als in Kontinentaleuropa, sind FBOs mit ihren Suppenküchen (food banks) und anderen sozialen Aktivitäten sehr stark.
Der Schluss-Vortrag am Freitag, 22. September um 16.40 Uhr wird von Emma Tomalin präsentiert, Professorin an der Universität Leeds (England) und Direktorin des dortigen Centre for Religion and Public Life. Die Herausgeberin des Standardwerkes „Gender, Faith and Development“ ist eine international gefragte Interviewpartnerin, vor allem wenn es um die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung geht. Tomalin hat festgestellt, dass Frauen in den Entwicklungsländern beim Umgang mit Mikrokrediten sehr viel zuverlässiger sind als Männer, die das Geld oft vertrinken.
Salzburger FBO-Initiativen wie das Hilfsprojekt für ArmutsmigrantInnenen „Armut hat Platz“ oder das Roma-Hilfsprojekt im rumänischen Dumbraveni werden bei dem Symposium von Dr. Helmut Gaisbauer vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung thematisiert.
Religiöse Faktoren spielen einerseits eine wichtige Rolle bei der Armutsbekämpfung, weil sich viele Menschen aus religiösen Motiven im Sozialbereich engagieren. Anderseits müssten Religionen teilweise auch kritisch gesehen werden, weil sie mitunter zur Armutskonsolidierung beitragen, indem sie den Menschen oft die Botschaft vermitteln, Armut im Diesseits werde durch Reichtum im Jenseits aufgewogen.
Auf diese Ambivalenz weist auch Andreas Koch, Professor für Sozialgeographie an der Universität Salzburg und stellvertretender Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung hin. „Zweifellos liegen in Religionen Potentiale zur Armutsbekämpfung und Armutslinderung. Aber zugleich müssen wir den Blick auch darauf richten, wie sehr Religionen auch einen Schleier über soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten legen können.“
Innerhalb von zwei Tagen werden in fünf parallelen Panels 68 Teilnehmer/innen in den Räumlichkeiten der theologischen Fakultät am Universitätsplatz 1 ihre Forschungen zum Thema Religion und Armut präsentieren. Die Vortragenden kommen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, England, der Türkei, Russland, den USA, Lateinamerika, Indien, Pakistan, den Philippinen, Australien, afrikanischen Ländern u.v.m. Die Arbeiten aus den Disziplinen Theologie, Philosophie, Sozialwissenschaft, Ökonomie und Entwicklungsforschung sind aus unterschiedlichen religiösen Perspektiven verfasst, aus der des Christentums ebenso wie des Islam und anderer Religionsgemeinschaften.
„Es ist ein Highlight, dass wir als kleine Institution eine derart große und inhaltlich diverse Veranstaltung auf die Beine stellen. Es wird ein interessanter Diskurs stattfinden zwischen Wissenschaftler/innen aus reichen Staaten und Entwicklungsländern mit sehr unterschiedlichen Weltanschauungen und sehr unterschiedlichen religiösen Hintergründen,“ sagt der Philosoph Dr. Gottfried Schweiger, Senior Scientist am Zentrum für Ethik und Armutsforschung und Hauptorganisator des Symposiums, und er ergänzt „Wir haben heuer doppelt so viele Referent/inn/en wie voriges Jahr. In dieser Form und Breite ist das Symposium zum Thema Religion und Armut nicht nur in Österreich, sondern international einzigartig.“
Die Reihe „Salzburg Conference on Interdisciplinary Poverty Research“ wurde von Zentrum für Ethik und Armutsforschung im Jahr 2013 gestartet. Nächstes Jahr wird sie unter dem Motto „Armut und Raum“ stehen.
Veranstaltung:
http://www.poverty-conference.org „2017 Salzburg Conference in Interdisciplinary Poverty Research“. Focus Theme: Religion and Poverty. Universität Salzburg, am 21. und 22. September 2017, veranstaltet vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg. Veranstaltungsort: Universitätsplatz 1.
Kontakt:
Zentrum für Ethik und Armutsforschung, Mönchsberg 2a, A-5020 Salzburg, www.uni-salzburg.at/zea.