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Gelebte Menschlichkeit

Armutsforscher Clemens Sedmak und der Experte für Sozialgeographie Andreas Koch begleiten das Sozialfestival „Tu was, dann tut sich was“ – ein Projekt, das sich der Förderung von Solidarität, Mitmenschlichkeit und Armutsbekämpfung widmet.

125 Projektideen für den Lungau

Foto: Armutsforscher Clemens Sedmak (links) und Sozialgeograph Andreas Koch begleiten das Projekt „Tu was“ wissenschaftlich | © Kolarik

Mitten im Ort werden zwei große Lesezelte aufgestellt, mit Sitzecken für Kinder und vielen Büchern. Die Besucher können dort Lesen, sich ein Buch ausleihen und an Veranstaltungen teilnehmen. „Da gibt es auch eine Schreibwerkstatt für Senioren: Alte Leute erzählen ihre Lebensgeschichte und die Jungen schreiben sie auf“, erzählt Universitätsprofessor Andreas Koch. Erst kürzlich fand die Jurysitzung des mittlerweile dritten Aufrufes an die Bevölkerung zur Einreichung von Projekten statt, die das Zusammenleben im Lungau verbessern sollen. Eine besonders originelle Idee ist auch jene, in ausrangierten Telefonzellen Minibibliotheken einzurichten. Hierbei soll vor allem die Jugend zum Lesen animiert werden. „Die dort zur Verfügung stehenden Bücher können ausgeborgt oder auch behalten werden“, so Koch. Weitere Vorschläge reichten von einem PC-Kurs für Senioren über Picknicktische für Rollstuhlfahrer, einem Aufruf der Lungauer Jugend zur grafischen Darstellung ihrer Ansichten über den Lungau bis hin zu einer Online-Plattform zur Anwerbung von Exillungauern.

125 Projektideen für den Lungau

„Ziel von ‚Tu was‘ ist es, das ehrenamtliche Engagement von Menschen aus der Region für die Region zu fördern, indem sie  Ideen entwickeln“, erläutert Universitätsprofessor Clemens Sedmak. Zu den Themen  „Gutes Arbeiten und Wirtschaften“, „Gute Armutsbekämpfung“ und „Gutes Zusammenleben“ sind mittlerweile 125 Projektideen eingereicht worden. Es können nicht alle Projekte in vollem Ausmaß finanziert werden, deshalb ist es den Wissenschaftlern ein wichtiges Anliegen, dass nicht nur mit Geld, sondern auch mit Know How unterstützt wird. „Wir begleiten die Projekte organisatorisch und wissenschaftlich.“ Für Sedmak hat Armutsbekämpfung wesentlich mit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu tun. Auch die Einbeziehung von Randgruppen in kulturelle Initiativen wirke sich positiv auf das Zusammenleben aus. Ein dritter wichtiger Punkt sei, Armutsbekämpfung nicht am Schreibtisch zu entwerfen. Er bezeichnet die Armutsforschung im Rahmen dieses Projektes als „Forschung mit lokalen Theorien“. Es geht um Fragen wie: Welche Ideen kommen aus lokalen Kontexten? Welche Anliegen werden transportiert?

Die grundsätzliche Idee dieses Sozialfestivals stammt von Clemens Sedmak und ist an die Idee der Kulturhauptstädte angelehnt. Jedes Jahr soll im Rahmen eines Sozialfestivals eine benachteiligte Region im Rampenlicht stehen, die demonstriert, was man gegen soziale Ungleichheit und Armut tun kann. Hierfür wird ihr der Titel „Region gelebter Menschlichkeit“ verliehen. 2011 ist das Jahr des Lungaus. Im Juni wird die Entscheidung fallen, welche Region im nächsten Jahr gefördert wird.     

Wissenschaftliche Begleitung sorgt für Nachhaltigkeit

Sedmak und Koch wollen die Indikatoren zur Entstehung von sozialer Ausgrenzung und den Umgang mit Armut eruieren und wissenschaftlich überprüfbar machen. Die Projektidee „Tu was, dann tut sich was“ bezieht sich gerade auf benachteiligte Regionen. „ Die Disparitäten zwischen Zentren und Peripherien haben sich in den vergangenen Jahren in mancherlei Hinsicht noch verstärkt“, sagt Koch. Die ökonomische und demographische Entwicklung zeige auf, dass das „Hinterland“ außerhalb der städtisch-peripheren Speckgürtel tendenziell an Wirtschaftskraft, an Bevölkerung, an kommunaler und sozialer Infrastruktur verliere. Die Projektarbeit in benachteiligten Regionen, wie am Beispiel des Lungau soll einen Gegenakzent zu dieser Zentralisierung auch in der Wissenschaft setzen. „Im Lungau haben wir es mit einem Binnengefüge zu tun, das einem enormen Anpassungsdruck ausgesetzt ist“, so Koch. Hier finden spannende Transformationsprozesse statt, die auch mit den Fragen von regionaler Identität und Identifizierung mit Lebensraum zu tun haben. Sedmak bezeichnet die Armutsforschung im Rahmen dieses Projektes als „Forschung mit lokalen Theorien“. Interessant sei dabei wie die Probleme aus einheimischer Sicht betrachtet werden.

Die Lungauer Projekte wurden mit insgesamt 200.000,- Euro bisher unterstützt. Die Mittel stammen hauptsächlich von namhaften Privatstiftungen, aber auch von den Gemeinden. Darüber hinaus finanzieren die Stiftungen auch die wissenschaftliche Begleitung.  Im Juni wird die Entscheidung fallen, welche Region im nächsten Jahr gefördert wird. In der Jury, die die Projekte auswählt, sitzen neben den Professoren Andreas Koch und Clemens Sedmak Persönlichkeiten aus Politik und Kultur wie Doraja Eberle oder die ORF-Korrespondentin Dr. Susanne Scholl.

Sechs Stiftungen unterstützen das Projekt: ERSTE Stiftung, Essl Foundation, Humer Privatstiftung, Katharina Turnauer Stiftung, Schweighofer Privatstiftung und Unruhe Stiftung. Weitere Fördermittel werden durch die Region Lungau selbst (Kommunalbeteiligung und über EU Leader-Mittel) sowie durch das Land Salzburg und die Salzburg Ethik Initiative bereitgestellt.

Wissenschaftliche Begleitung: Internationales Forschungszentrums für ethische und soziale Fragen (ifz), Zentrum für Ethik und Armutsforschung (ZEA), Leitung Univ.-Prof. DDDr. Clemens Sedmak und die Arbeitsgruppe Sozialgeographie am Fachbereich Geographie und Geologie, Leitung Univ.-Prof. Dr. Andreas Koch. Im Herbst 2011 findet zum Sozialfestival-Ansatz eine internationale Konferenz zum Thema „The logics of change – poverty, place, identity and social trasformation mechanisms“ statt. Außerdem entsteht ein Sozialatlas, der einer interessierten Öffentlichkeit in und außerhalb der Region Lungau die Themen des Sozialfestivals mit allen ihren Projektideen in mulitmedialer Form (Karten, Texten, Fotos, Grafiken) präsentieren wird.

Infos: www.tu-was.at/about.html

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Andreas Koch

Fachbereich Geographie

Tel: 0662-8044-5246

Interview, UniversitŠt Salzburg, Foto: Andreas Kolarik/Repolusk, 30.05.2011