Pollenschlauch-Wachstum: Liebesgeflüster in der Blüte
Eine aktuelle Studie zur Kommunikation zwischen Pollen und Eizelle zeigt einen völlig neuen Vorgang, der die Befruchtung bei Pflanzen steuert. Zudem fanden Forscher des Fachbereichs Molekulare Biologie der Universität Salzburg heraus, dass sich die Kommunikation zwischen Zellen bei Tieren und Pflanzen im Laufe der Evolution nicht allzu sehr auseinander entwickelt hat, sondern sich durchaus noch ähnlich ist. Die Aufsehen erregenden Ergebnisse erscheinen in der neuesten Ausgabe von Science.
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Universitätsprofessor Gerhard Obermeyer vom Fachbereich Molekulare Biologie der Universität Salzburg
In Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam aus Adelaide (Australien), Peking (China) und Lissabon (Portugal) unter der Leitung von Jose Feijo (Lissabon) konnte in der Arbeitsgruppe rund um Prof. Gerhard Obermeyer vom Fachbereich Molekulare Biologie an der Universität Salzburg erstmals nachgewiesen werden, dass männliche Pollenkörner mit ihrem weiblichen Gegenstück ähnlich kommunizieren wie menschliche Nervenzellen im Gehirn.
Der Arbeitsgruppe rund um den Salzburger Biologen Gerhard Obermeyer gelang es erstmals, die Funktion eines Proteins (Rezeptors) zu messen, die dem wachsenden Pollenschlauch den Weg zur Eizelle erleichtert. Die Ergebnisse dieser Studie werden in der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Science veröffentlicht. Sie zeigen, wie erfolgreiche Mechanismen im Laufe der Evolution immer wieder benutzt wurden. Zudem öffnen sie neue Perspektiven in der zellulären Kommunikation, also der Art und Weise, wie Zellen miteinander kommunizieren.
Gerhard Obermeyer, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Biophysik und Biochemie der Pflanzen, dazu: „Pollenschläuche sind ein hervorragendes Modellsystem zur Erforschung des polaren Wachstums.“ Den Wissenschaftern gelang es, einen Rezeptor aus der Familie der Glutamatrezeptoren (GLR, Glutamate Receptor-like protein) im Pollen zu identifizieren. Diese Rezeptoren sind unter anderem auch im menschlichen Gehirn aktiv und ermöglichen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen. Zudem konnte nun auch die molekulare Funktion dieses Rezeptors im Pollen charakterisiert werden: Durch die seltene Aminosäure D-Serin, die im Narbengewebe gebildet wird, wird er aktiviert. Dieses Signal dient dem wachsenden Pollenschlauch als Wegweiser auf seiner Suche nach der Eizelle. Störungen im Ablauf zellulärer Prozesse wie eine Hemmung der Rezeptorfunktion führen zu einer Verlangsamung des Schlauchwachstums und somit zu einer teilweisen männlichen Sterilität der Pflanzen. Ist der Rezeptor aber völlig blockiert, wird auch die Weiterleitung der Richtungssignale verhindert. Der Pollenschlauch stellt sein Wachstum ein und es findet keine Befruchtung statt.
Weiters zeigt die Studie, dass D-Serin von den weiblichen Fortpflanzungsorganen selbst produziert wird. Ist die Synthese von D-Serin gehemmt, sind auch die Pollenschläuche deformiert. Somit gehen die Forscher davon aus, dass das vom weiblichen Teil der Blüte produzierte D-Serin den männlichen Pollenschläuchen den Weg zur Eizelle weist. „Ähnliche Wachstumsphänomene kann man auch bei Pilzen und Hefezellen sowie den Wurzelhaaren der Pflanzen und Nervenzellen beobachten. Erstaunlich ist, dass analoge Gene in den Wachstumsprozessen von Pflanzen und Tieren beteiligt sind“, erklärt Gerhard Obermeyer.
Fortpflanzung: Ein hoch-organisierter Prozess
Die sexuelle Vermehrung der Pflanzen ist die Grundlage für die Produktion von Samen und Früchten – und somit bedeutend für die Ernährung der Weltbevölkerung. Indem ein Pollenkorn (der männliche Teil mit Spermien, den sogenannten Gameten) auf die Narbe einer Blüte (also den weiblichen Teil) fällt, nimmt es Wasser auf und beginnt zu keimen. Durch das Narbengewebe wächst bis zu den Eizellen ein Pollenschlauch aus, um dort die Spermienzellen „abzuliefern“. Durch die Fusion einer Spermienzelle mit der Eizelle bildet sich ein Embryo, der Teil des Samenkorns wird.
Lösung eines großen Rätsels mit Hilfe der Patch-Clamp-Technik
Durch den Beweis, dass die identifizierten Glutamatrezeptoren Calciumkanäle sind, hat das Forscherteam ein lang dauerndes Rätsel der Pflanzenbiologie gelöst: Nach mehr als 20 Jahren wurde die molekulare Identität eines solchen Kanals, des Ca2+ Kanals, in der pflanzlichen Zellmembran gefunden. Auch die Frage nach einer physiologischen Funktion der Glutamatrezeptoren, die Biologen seit ihrer Entdeckung im Arabidopsis-Genom rätseln ließ, wurde gezeigt. Zum Einsatz kam dabei die sogenannte Patch-Clamp-Technik (engl. patch Flecken, engl. to clamp befestigen, in diesem Zusammenhang: Membranflecken-Spannungsklemme). „Mit Hilfe dieser Technik lassen sich einzelne Moleküle oder Proteine im Zellmembran messen, wenn sie Strom produzieren. Das heißt, die Rezeptoren beziehungsweise die Kanäle werden geöffnet und lassen Ionen durch“, erläutert Obermeyer.
Mit Hilfe dieser Technik konnte nun in der Arbeitsgruppe rund um Gerhard Obermeyer gezeigt werden, dass der Rezeptor mit der seltenen Aminosäure D-Serin geöffnet wird. Dadurch strömen Calciumionen ein und erhöhen kurzfristig die Calciumionen-Konzentration in der Schlauchspitze. So wird dem Pollenschlauch die Wachstumsrichtung angezeigt. D-Serin und die Glutamatrezeptoren sind als molekulare Komponenten auch in der Zellkommunikation zwischen Nervenzellen bekannt. Eine wichtige Rolle spielen sie zudem bei Gedächtnis- und Lernprozessen im Gehirn. Somit sind sie auch in einigen neurodegenerativen Krankheiten wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Alzheimer oder Huntington involviert.
In dieser Studie wurde die Funktion der Glutamatrezeptoren während der Befruchtung der Pflanzen entdeckt. Gerhard Obermeyer dazu: „Wir fanden die molekulare Identität eines Calciumkanals in der pflanzlichen Zellmembran und konnten so nachweisen, dass Glutamatrezeptoren diese Calciumkanäle sind.“ Auch die Frage nach ihrer physiologischen Funktion, der Steuerung des Pollenschlauchwachstums, konnte geklärt werden.
Kontakt:
Universität Salzburg
Fachbereich Molekulare Biologie
Molekulare Biophysik und Biochemie der Pflanzen
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5020 Salzburg
ao. Prof. Dr. Gerhard Obermeyer
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