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Wirtschaftskrisen beschädigen investigativen Journalismus auf der ganzen Welt

In vielen Ländern geht dem investigativen Journalismus das Geld aus. Die Kontroll- und Überwachungsaufgaben des Journalismus leiden, die „Objekte“ der journalistischen Recherche können aufatmen. Medienhäuser verkleinern ihre Redaktionen, ganze Investigativ-Teams fallen Sparübungen zum Opfer. Die verbleibenden Journalisten und Journalistinnen haben nicht mehr die Zeit für aufwendige Recherchen. CoViD-19 hat diese Erosion nicht in Gang gesetzt, aber beschleunigt.
Das ist ein Ergebnis des globalen Forschungsprojektes Media for Democracy Monitor 2020 (MDM), das Kommunikationswissenschaftler unter dem Dach der Euromedia Research Group im ersten Halbjahr 2020 in 18 Ländern weltweit durchgeführt haben. Für Österreich nimmt die Universität Salzburg an dem Forschungsverbund teil. Der Fachbereich Kommunikationswissenschaft koordiniert den globalen Forschungsverbund.  www.euromediagroup.org/mdm 
Für Österreich hat die Untersuchung ergeben, dass 2020 mehr Journalistinnen und Journalisten investigativ arbeiten als im Vergleichsjahr vor zehn Jahren (2011). Projektleiter Josef Trappel von der Universität Salzburg sagt dazu:
„Die Sensibilität in Österreich ist gestiegen. Auch der Stellenwert von investigativer Arbeit. Heute sind Zusammenschlüsse zu diesem Zweck zwischen Medien möglich, die vor zehn Jahren noch undenkbar waren. Österreichs Nachrichtenmedien sind da ein Stück vorangekommen.“ 
Allerdings setzt die Krise auch die österreichischen Medien unter Druck. Sie behelfen sich mit Ad-hoc Teams, sie bündeln Ressourcen gemeinsam mit anderen Medien oder decken die Kosten aus dem laufenden Budget.
Auch wenn investigativer Journalismus in allen Ländern eine wichtige Rolle spielt, so werden die Mittel dafür unterschiedlich eingesetzt. In Finnland, Island und in den Niederlanden stellen die führenden Nachrichtenmedien jeweils ad hoc Mittel zur Verfügung, um Aufdeckergeschichten zu recherchieren. In den Niederlanden und in Flandern (Belgien) können die Medien finanzielle Unterstützung für solche Vorhaben aus einem staatlichen Subventionstopf abrufen. 
Einen anderen Weg müssen die Nachrichtenmedien in Chile gehen. Investigative Recherchen können die Medien aus eigener Kraft nicht mehr leisten. Sie kaufen statt dessen solche Geschichten von freien Journalistinnen und Journalisten zu oder geben sie bei spezialisierten Redaktionsbüros in Auftrag. Das chilenische Zentrum für Investigativen Journalismus finanziert seine Tätigkeit über ein abonnement-basiertes Crowdfunding-Modell.
In Skandinavien und Großbritannien verzichten die führenden Nachrichtenmedien trotz Wirtschaftskrise nicht auf investigativen Journalismus. In Schweden reservieren die national verbreiteten Nachrichtenmedien zehn Prozent ihres Budgets für diesen Zweck. Auch in Dänemark genießt investigativer Journalismus weiterhin Priorität. Speziell geschulte Teams übernehmen dort investigative Aufgaben.
In Australien haben die führenden Nachrichtenmedien ihre Budgets für investigative Aufgaben zusammengestrichen. Nur die Fernsehveranstalter können dort ihre Recherche-Praktiken aufrechterhalten.
In einer ähnlichen Lage befindet sich auch Finnland. Dort haben die Zeitungshäuser die Budgets für investigativen Journalismus deutlich gekürzt. Der öffentliche Rundfunk YLE sieht darin aber seine Chance. Ein geschultes und spezialisiertes Team arbeitet gezielt an Aufdeckergeschichten.
Der Blick in die verschiedenen Länder und Traditionen zeigt deutlich, dass  investigativer Journalismus ohne finanzielle Absicherung schlicht nicht stattfindet. Kommen Nachrichtenmedien finanziell unter Druck, bleibt schnell der aufwändige Investigativjournalismus auf der Stecke. Medienpolitik hat hier ein Aufgabenfeld vor sich: Eine gezielte finanzielle Unterstützung von Nachrichtenmedien mit zweckgebundenen Mitteln für investigativen Journalismus, besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten, hat sich in vielen Ländern bewährt. 

Download des Forschungsberichtes (auf Englisch)  http://www.euromediagroup.org/mdm/policybrief02.pdf
Das Forschungsprojekt Media for Democracy Monitor ist auf einen Langfristvergleich zwischen demokratischen Ländern angelegt. Im Jahr 2010 haben Sozialwissenschaftler*innen aus zehn Ländern nach gemeinsamen, wissenschaftlich entwickelten Indikatoren die Leistung der Medien für zeitgenössische Demokratien untersucht. Die Ergebnisse hat der schwedische Verlag Nordicom in einem  kostenlos und online zugänglichen Buch veröffentlicht; sie sind auch auf der  Website des Forschungsprojektes abrufbar. 
Im Jahr 2020 haben sich Fachleute aus 18 Ländern an dem Projekt beteiligt, neben Europäischen Ländern auch Australien, Chile, Hong Kong, Kanada und Südkorea. Das Forschungsteam hat die Indikatoren leicht angepasst, aber auf die Vergleichbarkeit über den Zeitraum des „Digitalisierungsjahrzehnts“ hinweg geachtet. Die Ergebnisse der gesamten Studien werden im Frühjahr 2021 öffentlich vorgestellt.
Das Projekt wird von der  Euromedia Research Group durchgeführt, die von Josef Trappel, Professor für Medienpolitik und Medienökonomie am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg, und Werner A. Meier, Universität Zürich, geleitet wird. Der niederländische  Journalistenfonds unterstützt das Projekt.

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