Drei liebe Schwestern

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(30. September 2004, Neuer Studienplan)

„Drei liebe Schwestern”. 

A.

Es waren einmal drei Schwestern: Amelia, Laura und Clara. Gemeinsam sehnen sie das Ableben ihrer an den Rollstuhl gefesselten pflegebedürftigen 90 jährigen Mutter herbei, um in freudiger Erwartung einer reichen Erbschaft einer sonnigen Zukunft entgegenblicken zu können. In der Hoffnung, im Testament bevorzugt bedacht zu werden, sind vor allem Amelia und Laura den ganzen Tag darum bemüht, sich aufopfernd um die reizende alte Dame zu kümmern. Clara hat für derartige „Krankenschwesterdienste” keinen Sinn. Von Beruf Nationalratsabgeordnete einer Kleinpartei mit Regierungsverantwortung, verfolgt sie zielstrebig und angepasst ihre politische Karriere und lässt keine Parteiveranstaltung aus.
Gerührt durch soviel ehrliche Zuneigung, vertraut das liebe Mütterchen ihr Sparbuch, für das nur sie alleine behebungsberechtigt ist, Laura zur Verwahrung an. Das Losungswort verrät sie hingegen nur Amelia. Kurz darauf verstirbt die alte Dame, ohne ein Testament hinterlassen zu haben. Gleich nach Abschluss der spontanen Pflichttrauer tritt Laura an Amelia mit den Worten heran: „Ich habe das Sparbuch, du hast das Losungswort. Machen wir halbe-halbe und lassen Clara leer ausgehen, denn sie hat sich nie um die ach so früh verstorbene geliebte Mutter gekümmert”. Amelia ist von diesem Vorschlag begeistert und offenbart Laura das Losungswort. Alleine geht Laura mit diesem Wissen zur Bank und behebt die gesamte Einlage in der Höhe von 100.000 Euro. Der Bankbeamte, dem die verstorbene Mutter als Bankkundin nicht persönlich bekannt war, schöpft keinen Verdacht, da Laura die gleiche Unterschrift hat wie ihre Mutter und diese laut Bankunterlagen auch immer nur mit ihrem Familiennamen unterschrieben hatte.
Als Clara davon erfährt, ist sie außer sich. Umgehend stellt sie Amelia und Laura zur Rede, wobei es zu einem emotionalen Wortgefecht kommt. Im Zuge dessen verpasst Clara ihrer Schwester Laura eine heftige Ohrfeige, wodurch diese einen Kieferbruch erleidet. Als der Bruch im Krankenhaus ärztlich versorgt wird, erklärt Laura dem Arzt auf die Frage nach der Verletzungsursache, dass sie beim Heimarbeiten durch einen umfallenden Kasten verletzt worden sei. Familienangelegenheiten sollen schließlich nicht nach außen getragen werden. Schon gar nicht soll das Ganze ein strafrechtliches Nachspiel für Clara haben. Ungläubig schmunzelnd notiert der Arzt die Verletzungsursache im Krankenakt.
Als kleine Rache verfasst Laura jedoch eine Woche später in ihrer Eigenschaft als Redakteurin der einschlägigen Lokalzeitung einen Artikel, in dem sie Clara als „Kellernazi” bezeichnet, „weil sie nie einen Versuch unternommen hat, sich von den braunen Elementen und dem extrem rechten Flügel ihrer Partei abzugrenzen”. Im Hinblick auf ihre politische Karriere will Clara dies nicht auf sich sitzen lassen.
Nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens, welches zu einem für alle Seiten akzeptablen Ausgang geführt hat, sind jedoch alle wieder glücklich und zufrieden.

Wie haben sich die beteiligten Personen strafbar gemacht?


B.

A steht wegen des Vorwurfs geschlechtlicher Nötigung (§ 202 Abs 1 StGB) vor Gericht. Das Opfer ist eine alte Schulkollegin des Richters. Ein Zeuge des Geschehens gibt an, dass aus seiner Sicht niemand zu etwas genötigt worden wäre, sondern hier nur ein Liebespaar etwas gemacht habe, was zivilisierte Menschen nicht in der Öffentlichkeit tun. Ein zweiter Tatzeuge möchte über die gesehenen Peinlichkeiten überhaupt keine Aussage abgeben und wird daher vom Richter auch nicht weiter mit Fragen belästigt.
Der Richter glaubt dem Opfer und beruft sich dabei in der Beweiswürdigung auf seine überragende Menschenkenntnis als langjähriger Richter. A wird zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt, wobei 3 Monate bedingt nachgesehen werden.
1. Zu welchem Rechtsmittel würden sie A raten?
2. Der Richter wertet bei der Strafbemessung als erschwerend, dass A bereits vor 6 Jahren wegen eines Sittlichkeitsdeliktes zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt worden ist. Die Probezeit betrug drei Jahre und die Nachsicht wurde nicht widerrufen.
Ist dies zulässig? Wie könnte A vorgehen, wenn er auch diesmal zumindest nur eine Geldstrafe bekommen möchte?
3. Ein Schöffe lässt sich beim Vorsitzenden entschuldigen, dass er erst ein halbe Stunde später zur Verhandlung kommen könne, da er einen dringenden Arzttermin habe. Der Richter sieht darin kein Problem, da am Beginn der Verhandlung neben allgemeinen Formalien nur die Anklage verlesen werde und beginnt die Verhandlung pünktlich ohne den Schöffen.
Unter welchen Voraussetzungen kann sich A dagegen beschweren?
4. In der Hauptverhandlung entschlägt sich das Opfer der Aussage, da A ihr Lebensgefährte ist und sie ihm immer alles verzeihen könne. Zur materiellen Wahrheitsfindung lässt der Richter daraufhin das Polizeiprotokoll des Opfers verlesen. Zur Sicherheit vernimmt er auch den Polizisten, der die Vernehmung des Opfers durchgeführt hatte über Inhalt und Umstände bei der Vernehmung. Weiters wird eine Freundin des Opfers als Zeugin darüber befragt, was ihr das Opfer über das Tatgeschehen erzählt habe.
Ist diese Vorgangsweise zulässig? Welches Rechtsmittel könnte A ergreifen?