Fahrstunde

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(30. September 2002, Alter Studienplan)

„Fahrstunde“

A. Susi S ist seit einer Woche Führerscheinbesitzerin. Wenngleich es ihr ein dringendes Be¬dürfnis ist, ihre Fahrkünste auch den Mitmenschen vorzuführen, fehlt ihr dennoch das Geld für den Erwerb eines eigenen Autos. Als sie erfährt, dass ihre Freundin Lili L eine Woche auf Urlaub in die Karibik fliegt, bittet sie diese, ihr für diese Woche das Auto zu leihen, damit sie „Fahrpraxis sammeln“ könne. Lili L ist damit einverstanden. Ihre Bedingung ist jedoch, dass Susi S das Auto am Tag der Rückkunft vom Urlaub wieder zurückgibt und in die Garage stellt.
Überglücklich nimmt Susi S den Autoschlüssel in Empfang und wagt sich mit dem schönen Auto ihrer Freundin auf öffentliche Straßen. Peinlich genau ist Susi S bemüht, jedes Ver¬kehrszeichen richtig zu deuten und zu befolgen und auch jede Geschwindigkeits¬begrenzung ist für sie ein unumstößliches Gesetz. Zudem ist Susi S bestrebt, immer am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren, da sie im Gegenverkehr eine permanente Bedrohung sieht. Diesem Fahrstil treu bleibend, überholt sie mit einem Abstand von 40 cm einen in einer Haltestellen¬bucht am rechten Fahrbahnrand stehenden Bus der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Plötzlich macht an der Vorderseite des Busses – von diesem bis dahin verdeckt – ein Passant einen Schritt auf die Fahrbahn hinaus und bleibt sofort stehen, um zu sehen, ob er diese überqueren kann. Susi S kann weder rechtzeitig bremsen noch ausweichen und streift den Passanten mit ihrem rechten Außenspiegel. Susi S ist geschockt, da sie mit 40 Stundenkilometer sogar langsamer als erlaubt gefahren ist und meinte, dass dann wohl kein Unfall passieren könne. Sie sieht, dass der Außenspiegel stark beschädigt wurde, doch hofft sie, dass dem Passanten nichts Gröberes passiert ist und fährt weiter. Durch den heftigen Anprall erlitt dieser jedoch einen Unterarmbruch. Umstehende Passanten kümmern sich sofort um den Verletzten.
Um ihrer Freundin Lili L nichts vom Unfall erzählen zu müssen, lässt Susi S das Auto heim¬lich in einer Werkstatt reparieren. Die nötigen Ersatzteile sind jedoch erst in 14 Tagen liefer¬bar, sodass sie das Auto nicht rechtzeitig ihrer Freundin zurückgeben kann. Susi S beschließt daher, bis dahin weiter Fahrpraxis zu sammeln und für ihre Freundin einfach telefonisch uner¬reichbar zu sein. 10 Tage nach Lili Ls Rückkunft aus dem Urlaub und dem vereinbarten Rückgabetermin stellt sie das reparierte Auto in die Garage ihrer Freundin Lili L, die bereits ziemlich verärgert ist.
Der Autotraum ist damit jedoch nicht ausgeträumt: In den der KfZ-Werkstätte angeschlosse¬nen Verkaufsräumlichkeiten bewunderte Susi S die ausgestellten Neuwägen. Bei einem be¬sonders teuren Cabriolet konnte sie dem smarten Händler einfach nicht widerstehen. Obwohl sie wusste, dass sie sich das Auto nicht leisten kann, bestellte Susi S dieses mit umfangreicher Sonderausstattung. Als 2 Monate später der gelieferte Neuwagen abzuholen wäre, beschließt sie, vom Kaufvertrag zurückzutreten, da sie keine Möglichkeit sieht, den Kaufpreis aufzu¬bringen. Der Händler ist ziemlich verärgert, da er das Auto dem Generalimporteur bereits bezahlen hatte müssen und dieses nun nur mehr noch als Sonderangebot verkaufen kann. Als Schadenersatz für den entgangenen Gewinn fordert er von Susi S € 2.000,-. Um das Gespräch mit dem nunmehr plötzlich so unfreundlichen Händler zu einem raschen Ende zu bringen, teilt sie diesem mit, dass sie leider auch über keine € 2.000,- verfüge und verlässt mit diesen Worten unverbindlich lächelnd die Geschäfts¬räumlichkeiten.

Prüfen Sie die Strafbarkeit der beteiligten Personen. Begründen Sie Ihren Rechtsstandpunkt.

B. X wird von einem Geschworenengericht wegen § 248 Abs 1 StGB zu einer Freiheits¬strafe von 2 Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Der Vollzug beider Strafen wird bedingt nachgesehen. Die Rechtsbelehrung der Geschworenen beschränkte sich auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes und den Hinweis, dass bei derartigen Verhaltensweisen in der Regel eine Verurteilung erfolgt.
a) Ist die Vorgangsweise zulässig? Wie könnte X die Entscheidung bekämpfen? X würde höchstens eine Geldstrafe akzeptieren. Zu welchem Rechtsmittel würden Sie ihm raten?
b) In der HV wendet X ein, dass er zum Zeitpunkt der Tat schwer alkoholisiert war. Was hat das Gericht in diesem Fall zu tun? Welches Rechtsmittel hat X, wenn dieser Einwand vom Gericht bzw den Geschworenen nicht berücksichtigt wird?
c) X hält 3 Geschworene für befangen, da sie als Parteimitglieder eine deklarierte politische Anschauung vertreten. Wie kann er diesen Einwand geltend machen?

C. Gegen Y wird ein Strafantrag wegen § 285 Z 2 StGB eingebracht. In der HV sagt der Zeuge S aus, dass es sich im gegenständlichen Fall nicht um eine Versammlung, sondern um eine Veranstaltung gehandelt habe, die als wissenschaftlicher Vortrag in der Tageszeitung angekündigt war. Der StA belehrt den Zeugen daraufhin, dass dies eine Rechtsfrage sei, zu der er sich nicht zu äußern habe. Der Richter geht darauf nicht näher ein, da er dies für eine unerhebliche Wortspielerei hält und verurteilt Y zu einer Geldstrafe.
a) Zu welchem RM würden Sie Y raten?
b) Was kann Y tun, wenn er bei der Befragung zur Person nicht angegeben hat, dass er für ein Kind unterhaltspflichtig ist und dies daher bei der Bemessung der Geldstrafe nicht be¬rücksichtigt wurde?
Was kann er tun, wenn er zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils arbeitslos ist und daher nunmehr über ein geringeres Einkommen verfügt?
c) Was kann Y tun, wenn er merkt, dass relevante Punkte der Aussage des Zeugen S nicht protokolliert wurden (in der HV bzw nach der Urteilsverkündung)?