Förderung von Selbststeuerungskompetenzen bei Lehr- und Leitungspersonen

selbst.steuern.lernen

Projektleitung:
Ao. Univ. Prof. Dr. Franz Hofmann
 Dr. Gabriele Salzgeber

Zeitraum: 2012–

Kurzbeschreibung:
An der Universität Salzburg läuft seit einigen Jahren ein Forschungsprojekt, das sich in Verbindung mit einer ca. 1,5 Jahre dauernden Fortbildungsmaßnahme mit der Frage beschäftigt, wie Lehrpersonen im Hinblick auf selbstkongruentes Handeln (und zwar insbesondere in stressigen Unterrichts- und Klassensituationen) unterstützt werden können (vgl. auch die Website dieses Forschungsprojekts:  www.selbststeuernlernen.net).
Theoretischer Ausgangspunkt dafür ist die Persönlichkeits-Systeme-Interaktionen-Theorie nach Julius Kuhl (kurz: PSI-Theorie; Kuhl 2001), der zufolge die Frage nach qualitätsvollen Beziehungen von Lehrpersonen im Außen (gemeint ist zu allen Personen schulischer Bezugsgruppen) eine wichtige Voraussetzung hat: Diese besteht darin, dass sich Lehrpersonen in unterschiedlichen Situationen einen stabilen, einigermaßen stressresistenten Selbstzugang bahnen können: Mit diesem Begriff ist gemeint, dass sie die selbstregulative Fähigkeit besitzen, auch in angespannten Situationen an die eigenen Bedürfnisse, Werte und Ideale „andocken“ und damit Überreaktionen hintanhalten zu können. Macht- und Anschlussbedürfnisse erscheinen dann nicht mehr in einer entweder-oder-, sondern in einer  sowohl-als auch-Relation, was professionelle Vertrauensbeziehungen mit Schülerinnen und Schülern ermöglicht. Im Fortbildungscurriculum, das im Zeitrahmen von ca. 1,5 Jahren vier knapp zweitägige Sozialphasen vorsieht, stehen folgende Ziele im Vordergrund:

  • Die Lehrpersonen kennen die PSI-theoretische Basis für diverse intrapsychische Prozesse wie z. B. für die Bedeutung des Selbstzugangs;
  • sie können ihre Fähigkeiten, das Macht- und Anschlussmotiv in pädagogischen Situationen zu integrieren, auf der Basis von Tests, die sie absolvieren können, einschätzen;
  • sie kennen Maßnahmen, wie sie sich in unterschiedlichen (insbesondere stressbelasteten) Situationen einen Selbstzugang bahnen können – noch bevor sie pädagogisch („im Außen“; d. h. mit Schüler:innen, Eltern etc. interagieren) tätig werden;
  • sie können vor dem Hintergrund eines differenzierten persönlichkeits- und motivationspsychologischen Wissens im pädagogischen Feld diagnostisch tätig sein (z. B. im Lerncoaching);
  • sie können basale pädagogische Begriffe (Empathie, Selbststeuerung, pädagogische Führung u. a.) psychologisch (selbstdiagnostisch) reflektieren;
  • sie wissen um ihre Selbststeuerungsfähigkeiten und erkennen, welche sie für einen guten Selbstzugang in stressvollen Situationen stärken sollen.

Sowohl für die individuelle Beratung als auch für die wissenschaftliche Begleitforschung ist es wichtig, dass sich die Lehrpersonen bereit erklären, vor Beginn dieser Fortbildungsmaßnahme eine Reihe von Aufgaben zu erledigen:

  • Teilnahme am Prätest, bei dem die individuellen Selbststeuerungsfähigkeiten genauso gemessen werden wie die Motivdominanzen (d. h. welche Motivkategorie wie Anschluss, Macht, Freiheit oder Leistung am vergleichsweise stärksten ausgeprägt ist);
  • Bearbeitung eines schriftlichen Interviews, das Fragen zu persönlichen Idealen, zu pädagogischen Zielen und zur persönlichen pädagogischen Praxis enthält (z. B. Beschreibung mehr oder weniger gut bewältigter pädagogischer Situationen);
  • digitale Dokumentation einer eigenen Unterrichtseinheit und Einblick in die Unterrichtsplanung.

Die Dokumente und Testergebnisse werden für jede:n Teilnehmer:in individuell ausgewertet; die teilnehmenden Lehrpersonen bekommen dazu einen Rückmeldebrief, der Ergebnisse, Interpretationen und Entwicklungshinweise enthält. Es gibt im Rahmen der zweiten Sozialphase dazu auch ein 30 minütiges Gesprächsangebot, in dem ggf. Unterstützung angeboten wird, die eigenen Testergebnisse theoriegeleitet besser zu verstehen, sie selbstdiagnostisch zu vertiefen oder sie in das pädagogische Berufsfeld zu übertragen (z. B. im Hinblick auf Lernprozessdiagnostik).

Erste Ergebnisse
Auf der Grundlage von Daten von knapp dreißig Lehrpersonen, die an dieser Fortbildungsmaßnahme teilgenommen und den Prä- und den Posttest absolviert haben, können folgende Ergebnisse zur Wirksamkeit dieser Maßnahme berichtet werden:

  • Lehrpersonen zeigen im Posttest signifikant höhere Werte für das Selbstgespür (vgl. das Beispielitem: „Wenn ich unter Druck gerate, spüre ich oft gar nicht richtig, was ich will“ [das Item wird umgepolt]);
  • positive Erfahrungen mit der Fähigkeit zur Misserfolgsbewältigung sind insbesondere beim individuellen Lerncoaching in der „role-model“-Funktion sehr relevant; im Posttest zeigen die Werte im Hinblick auf die Lehrpersonen (wie gut ihnen also Miserfolgsbewältigung selber gelingt), ebenfalls signifikant höhere Werte.
  • dasselbe gilt für die selbstgesteuerte Umsetzung von pädagogisch relevanten Bedürfnissen (Anschluss, Macht) generell: die Wahrscheinlichkeit, dass beide Motivkategorien sowohl selbstkongruent als auch kontextsensibel umgesetzt werden, ist nach der Kursmaßnahme höher einzuschätzen.

Was zu tun bleibt
Um die bisherigen Befunde auf eine verlässlichere Basis zu stellen, sind folgende Punkte bedeutsam, wenngleich im Einzelfall nicht leicht zu realisieren:

  • Über weitere Kurse soll die Fallzahl der Lehrpersonen, die diese Fortbildungsmaßnahme durchlaufen haben, gesteigert werden.
  • Wichtig ist die Validierung des Ergebnisses, dass Lehrpersonen nach dieser Fortbildungsmaßnahme stressige Unterrichts- und Klassensituationen selbstkongruenter bewältigen können; dazu sind Beobachtungsstudien in den Klassen der Absolvent:innen notwendig.
  • Günstig wäre für jede Seminarkohorte die Zusammenstellung einer Kontrollgruppe: In den meisten Fällen kommen ca. 2-3 Lehrpersonen von einem Schulstandort; wenn es gelänge, von diesen Schulstandorten Kolleg:innen zur Absolvierung der Prä- und Posttests zu gewinnen, könnte abgeschätzt werden, in welchem Ausmaß die im Prä-Post-Vergleich identifizierten Effekte auf die Fortbildungsmaßnahme zurückgeführt werden können.

Die Zielstruktur, Lehrpersonen im Hinblick auf ein selbstkongruentes und kontextsensibles pädagogisches Handeln zu unterstützen, hat sich in den bisherigen Durchgängen sehr bewährt und wird von den Lehrpersonen in den schriftlichen Selbstauskünften nach einzelnen Sozialphasen als hoch relevant eingestuft. Damit gibt es erste substanzielle Hinweise, dass das Curriculum der fachpersönlichen Entwicklung für eine professionelle pädagogische Haltung (vgl. Schwer & Solzbacher 2014) dient.