Illustration Studierende

Diversität im universitären Kontext

 

Sprache, ein Ort Sozialen Lebens. Zum Geschlechterinklusiven und Diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch

von Lisa Appiano

1. Gesellschaftliche und sprachliche Entwicklungen

„Durch einen bewussten Gebrauch unserer Sprache tragen wir aktiv zur Gleichstellung aller Geschlechter bei. Eine geschlechterinklusive Sprache anerkennt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und Geschlechtsidentitäten, geschlechtliche Ausdrucksweisen und Körper vielfältig sind.“ (Universität Wien 2019)

Die aktuelle Debatte über das Zusammenwirken von Sprache und Geschlecht entspringt aus gesellschaftlichen Entwicklungen, die zeigen, wie komplex das wechselseitige Zusammenspiel von Sprache und sozialer Wirklichkeit ist. Die Diskussion um einen geschlechterinklusiven(1) und diskriminierungssensiblen Gebrauch von Sprache wird an deutschsprachigen Universitäten und in einigen öffentlichen Institutionen seit vielen Jahren geführt. Auslöser für die breitere Diskussion an österreichischen Universitäten– mit der auch die Einführung neuer Sprachleitfäden einhergingen– war der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs vom 15. Juni 2018 (VfGH G 77/2018-9). Mit diesem wurde das Recht, die individuelle Geschlechtsidentität adäquat und selbstbestimmt zum Ausdruck zu bringen, als besonders stark wiegendes Persönlichkeitsrecht klassifiziert. Die in diesem Urteil von einer intergeschlechtlichen Person erkämpfte Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen im Personenstandsrecht schlugen sich auch im institutionellen Sprachgebrauch an Universitäten nieder.

Wenn Menschen das Recht haben, ihre individuelle Geschlechtsidentität in rechtlichen Kategorien positiv zum Ausdruck zu bringen, dann haben sie folgerichtig auch das Recht, mit sprachlich angemessenen Begriffen angesprochen zuwerden.(2) Gesamtgesellschaftlich sei das Recht insofern derzeit bereits weiter als der allgemeine Sprachgebrauch, meinte Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum in einem Interview mit dem SWR dazu (vgl. Kunkel-Ra-zum, 2021). Sprachlich befinden wir uns in einem dynamischen Wandlungsprozess, der von gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen initiiert wurde, in dem sich jedoch noch keine der sprachlichen Varianten eines geschlechterinklusiven Sprachgebrauchs eindeutig durchgesetzt hat, wie ein Bericht des Rats für deutsche Rechtsschreibung (2021) deutlich macht.

Was diese Entwicklungen deutlich machen ist, dass Sprache weder ein reines Abbild der Wirklichkeit ist – noch, dass sie unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit gänzlich determiniert. Sie ist – so könnte man sich vielleicht einigen – ein Medium, das unsere Beziehung zur Wirklichkeit mitstrukturiert. Im medialen Diskurs wird oft übersehen, dass es eine breite Forschungslandschaft zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht gibt, deren Ergebnisse die Debatte an einigen Stellen versachlichen könnte. Mit der zweiten Frauenbewegung und der Begründung der feministischen Linguistik in den 1970er-Jahren konzentrierte sich die Forschung zu geschlechtergerechter Sprache im Deutschen zunächst auf das sogenannte generische Maskulinum.

Seit mehr als 20 Jahren belegen zahlreiche empirische Studien unterschiedlicher Disziplinen (Psychologie, Linguistik), dass das generische Maskulinum nicht generisch (also allgemein geschlechtsübergreifend) interpretiert wird, sondern überwiegend maskulin. Kurz gesagt, wenn etwa ‚vom Arzt‘ die Rede ist, denken die meisten Menschen an einen Mann und nicht an eine Frau. Mit unterschiedlichen experimentellen Methoden (Eye-Tracking, EEG-Messungen oder Reaktionszeitmessungen) wurde gezeigt, dass Frauen mental nicht repräsentiert werden, wenn ausschließlichin der männlichen Form gesprochen wird (vgl. Ivanov und Lange, 2022).(3) Der feministischen Kritik ging es nicht allein darum, dass Frauen in der bis heute am meisten praktizierten männlichen Sprachform (4) mental nicht repräsentiertwerden, sondern auch darum, dass Frauen selbst aus der maskulinem Form nicht genau erschließen können, ob sie im jeweiligen Kontext auch wirklich mitgemeint sind. Diese implizite Mehrdeutigkeit – also die Notwendigkeit von Kontextwissen, um zum Verständnis zu gelangen – erfordert eine ständig erhöhte Aufmerksamkeit, die Frauen leisten müssen, um sich gedanklich angesprochen zu fühlen, wie beispielsweise bei Berufsbezeichnungen. Eine Studie von Dries Vervecken und Bettina Hannover (2013) hat gezeigt, dass sich Mädchen Berufe weniger zutrauen, wenn die Berufsbezeichnungen im generischen Maskulinum formuliert wurden – auch wenn sie theoretisch wussten, dass sie ‚mitgemeint‘ waren (vgl. Vervecken und Hannover, 2013).

Während das Binnen-I oder die Doppelnennung Frauen sprachlich sichtbar machen und damit auch den Handlungsraum dessen vergrößern sollten, was sich Frauen selbst zutrauen, sollen geschlechterinklusive Sprachformen (wie der Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich) auch alle anderen Geschlechter benennen und sichtbar machen, dass geschlechtliche Identitäten, Ausdrucksweisen und Körper vielfältig sind. Anders als bei der sprachlichen Repräsentation von Frauen wird die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern oft in Abrede gestellt. Denn, auch wenn Frauen durch das generische Maskulinum nicht sichtbar sind, wird ihre Existenz allgemein nicht angezweifelt. Das mag auch daran liegen, dass Sprache im Alltagsverständnis zumeist als etwas betrachtet wird, was ‚einfach da ist‘ und womit sich alles ausdrücken ließe. Dadurch entsteht oft der Eindruck, dass das, wofür es kein Wort gibt, auch gar nicht existiert. Zum Beispiel, wenn wir nur zwei Pronomen für die Bezeichnung des Geschlechts eines Individuums kennen – sie und er – kann das den Anschein erwecken, dass Geschlecht auch nur in diesen zwei Möglichkeiten vorkommen würde. Genderinklusive Sprachformen haben folglich nicht nur die Aufgabe, inter*, trans* und nicht-binäre Menschen sprachlich zu inkludieren und so ihre sprachliche Repräsentation zu ermöglichen, sondern ihre Existenz sichtbar zu machen. Mit der sprachlichen Benennung mehrerer Geschlechter soll die Wahrnehmbarkeit von mehr als zwei Geschlechtern einhergehen.(5)

2. Sprachlicher Wandel
Ein oft vorgebrachtes Gegenargument gegen den geschlechterinklusiven bzw. geschlechtergerechten (6) Sprachgebrauch lautet, dass Sprache für die ‚reale‘ Gleichstellung der Geschlechter unwesentlich sei. Sprache würde reale Lebensbedingungen nicht verändern, sie zähle nicht zum wirkungsvollen Handeln für gerechtere Geschlechterverhältnisse. Kurz gesagt lautet dieses – scheinbar – für die Gleichstellung eintretende Argument, dass es Wichtigeres gibt, als über einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch nachzudenken. Ein sich der Vielfalt von Geschlecht bewusster Sprachgebrauch (wie jüngst die Einführung des Gendersterns, Doppelpunkt oder Unterstrich an einigen Universitäten) irritiere beim Sprechen und Lesen von Texten, wird argumentiert. Und es würde letztlich die ‚echten‘ Probleme der Gleichberechtigung verfehlen.(7)

Diese Argumentation stellt mehrere implizite Grundannahmen über die Sprache in den Raum: Erstens, dass Sprache ein neutrales, von gesellschaftlichen Einflüssen und historischen Machtverhältnissen unabhängiges System (bzw. Regelwerk) ist und folglich auch nicht zu Veränderung ‚realer‘, gesellschaftlicher Beziehungen beitragen kann. Zweitens impliziert dieses Verständnis, dass Sprache ausschließlich sprachinternen Regeln folgt und daher nicht in den Bereich menschlichen Handelns fällt und damit auch nicht in der Verantwortung einzelner Institutionen oder Sprecher*innen liegt. Sprache wird – und das ist auch das zumeist vorherrschende Alltagsverständnis von Sprache – als ein ‚an sich‘ neutrales Instrument der Kommunikation verstanden, das die Realität lediglich beschreibt und jedenfalls nicht zum Bereich menschlichen Handelns gehört.

Gabriele Diewald und Anja Steinhauer fassen diese Position folgender maßenzusammen: „Da die Sprache ein ‚unabhängiges‘ System aus Strukturen, Bedeutungen und Kombinationsregeln sei, das sozusagen vor den Bedürfnissen der Sprecher und Sprecherinnen existiere, sei es illegitim, sprachlichen Wandel im Sinne erwünschter gesellschaftlicher Veränderungen zu fordern bzw. bewusst und gezielt zu befördern“ (Diewald und Steinhaus, 2020, 18). Hier wird noch eine dritte Grundannahme herausgearbeitet: Der Beitrag der Sprache zu gesellschaftlichen Veränderungen sei nicht nur vernachlässigbar, sondern es sei zudem nicht gerechtfertigt, sprachlich etablierte Regeln intentional, bewusst und mit einem emanzipativen, antidiskriminierenden Anliegen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene verändern zu wollen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen einem legitimen (weil ‚natürlichem‘) Sprachwandel und einem illegitimen (weil bewusst herbeigeführten) Sprachwandel aus sprachwissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll, wie Diewald an anderer Stelle darlegt. Denn Sprachtätigkeit ist immer intentional. Sprecher*innen haben immer eine Ausdrucksabsicht, auch wenn diese nicht im beabsichtigten Sinne gelingt. Der Verweis auf bisher gültige sprachliche Traditionen, die einen neuen Sprachgebrauch als ‚illegitim‘ oder ‚falsch‘ betrachten, übergeht die Voraussetzungen sprachlichen Wandels und „setzt das Wissen, dass Sprache immer im Wandel ist, sozusagen aus“ (Diewald, 2022, 9).(8) […]

(1) Geschlechterinklusive Sprache meint jene Bezeichnungsformen, die über die Zweigeschlechtlichkeit von Frauen und Männern hinausgehen und auch alle anderen Geschlechter benennen (inter*, trans* und nicht-binäre Personen), d. h.sprachlich sichtbar machen. Nicht geschlechterinklusiv sind demnach das generische Maskulinum und das generische Femininum, aber auch das Binnen-I und die Doppelnennung. Geschlechtsneutrale Bezeichnungsformen bringen den Vorteil einfacherer Formulierungen, haben jedoch den Nachteil, dass sie unsichtbar machen, welche Geschlechter konkret gemeint sind.

(2) Die Entscheidung des VfGH wird derzeit ausschließlich für inter* Personen umgesetzt. Für trans* Personen besteht momentan nur die Möglichkeit, von einem binären Geschlecht zum anderen zu wechseln. Auch für Menschen, auf die die Bezeichnung Frau oder Mann nicht oder nicht ausreichend zutrifft oder die eine Einordnung grundsätzlich ablehnen, aber nicht intergeschlechtlich sind, besteht derzeit keine Möglichkeit, das in offiziellen Dokumenten widerzuspiegeln. Der „Verein nicht binär – Venib“ (www.genderklage.at) kämpft auf dem Rechtsweg für das Ziel eines individuellen Antrags auf Streichung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister.

(3) Siehe zur Aufbereitung des empirischen Forschungsstandes: Spieß und Reisigl (2017). Die empirischen Studiennachweisebestätigten die Kritik der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland Luise Pusch, Senta Trömel-Plötz und Marlis Hellinger. Ihre Analysen zum sexistischen Sprachgebrauch brachten die Debatten an den Hochschulen in Gang.

(4) Gemäß einer exemplarischen Beobachtung des Schreibgebrauchs des Rats für deutsche Rechtsschreibung, ist das generische Maskulinum in Zeitungstexten und Zeitschriften noch immer die weitverbreitetste Schreibweise (Rat für deutsche Rechtschreibung, 2021).

(5) Anatol Stefanowitsch gibt zu bedenken: „[…] ob es der Unterstrich, der Genderstern oder der Doppelpunkt ist – diese Interpunktionszeichen bedeuten von sich aus nicht ‚hier sind nicht-binäre Menschen gemeint‘, wenn wir sie in Wörter einfügen, die nach dem Schema ‚männlicher Wortstamm + weibliche Nachsilbe‘ gebildet worden sind. Stattdessen scheinen sie zunächst einfach als Alternative zu traditionellen Sparschreibungen (wie Musiker/-innen) interpretiert zuwerden“ (Stefanowitsch, 2021). Es braucht daher eine breitere Diskussion über die Bedeutung dieser Sonderzeichen.

(6) Häufig werden die Formulierungen geschlechterinklusiv und geschlechtergerecht synonym verwendet. Die Bezeichnung geschlechterinklusiv drückt deutlicher aus, dass es mehrals zwei Geschlechter gibt und akzentuiert die Diversität von Geschlecht, wohingegen geschlechtergerecht auch in Kontexten verwendet wird, die ausschließlich zwei Geschlechter meinen.

(7) Der Einwand wird zumeist gerade nicht von jenen vorgebracht, die sich gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, geschlechtsbezogene Gewalt im öffentlichen und privaten Bereich, die ungleiche Verteilung von Care-Arbeiten, die Transparenz von Einkommen etc. einsetzen und im Gleichstellungsbereich arbeiten. Die häufig vorgebrachten Positionen gegen einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch haben Gabriele Diewald und Anja Steinhauer im Handbuch geschlechtergerechte Sprache des Duden sprachwissenschaftlich aufgearbeitet (Diewald und Steinhauer, 2020).

(8) Für eine tiefgehende sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem wechselseitigen Einfluss von Geschlecht und Sprache ist die Einführung in die Genderlinguistik von Helga Kotthoff und Damaris Nübling (2018) empfehlenswert.

Auszug aus: Appiano, Lisa (2022) „Sprache, ein Ort sozialen Lebens. Zum geschlechterinklusiven und diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch“, Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, 75(1), S. 311–322.

Volltext abrufbar unter  journals.univie.ac.at/index.php/voebm/article/view/7038

 

Illustration Pronomen

Weitere Quellen zu Diversität im universitären Kontext

 

› Anitha, Sundari und Lewis, Ruth (eds.) (2018) Gender Based Violence in University Communities – Policy, Prevention and Educational Initiatives, Policy Press.

In this book, academics and practitioners provide the first in-depth overview of research and practice in gender based violence (GBV) in universities. They set out the international context of ideologies, politics and institutional structures that underlie responses to GBV elsewhere in Europe, in the US, and in Australia, and consider the implications of implementing related policy and practice. Presenting examples of innovative British approaches to engagement with the issue, the book also considers UK, EU and UN legislation to give an international perspective, making it of direct use to discussions of ‘what works’ in preventing GBV.

 

› Ahmed, Sarah (2012) On Being Included – Racism and Diversity in Institutional Life, Duke University Press.

What does diversity do? What are we doing when we use the language of diversity? Sara Ahmed offers an account of the diversity world based on interviews with diversity practitioners in higher education, as well as her own experience of doing diversity work. Diversity is an ordinary, even unremarkable, feature of institutional life. Yet diversity practitioners often experience institutions as resistant to their work, as captured through their use of the metaphor of the „brick wall.“ On Being Included offers an explanation of this apparent paradox. It explores the gap between symbolic commitments to diversity and the experience of those who embody diversity.

 

› Drew, Eileen and Canavan, Siobhán (eds.) (2020) The Gender-Sensitive University – A Contradiction in Terms?, Routledge.

The Gender-Sensitive University explores the prevailing forces that pose obstacles to driving a gender-sensitive university, which include the emergence of far-right movements that seek to subvert advances towards gender equality and managerialism that promotes corporatism. The concept of a gender-sensitive university requires re-envisioning academiato meet these challenges, as does a different engagementof men and a shift towards fluidity in how gender isformulated and performed. Representing ten EU countriesand multiple disciplines, contributors to this volume highlightthe evidence of persistent gender inequalities in academia,while advocating a blueprint for addressing them.

 

› Lummerding, Susanne (2022) „Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von Wissensproduktion.“ in Dorer, J., Geiger, B., Hipfl, B., Ratković, V. (Hrsg.) Handbuch Medien und Geschlecht, Springer VS.

Zunehmend sind Angriffe seitens akademischer wie auch nicht-akademischer Verteidiger*innen eines hegemonialen Status Quo gegen vorgebliche ‚Cancel Culture‘ und ‚Identitätspolitik‘ zu beobachten. Sie sind allerdings nur der augenfälligste Ausdruck bewährter privilegierter Abwehrmechanismen gegen eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsstrukturen auch und vor allem in Feldern der Wissensproduktion. Die bisherigen Gewissheiten und Methoden der Wissensproduktion unserer Gesellschaft werden in diesem Handbuch kritisch hinterfragt, dabei wird der Schwerpunkt auf Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse gelegt.

 

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