Projektbeschreibung

Mathematische Algorithmen bestimmen unzweifelhaft den Takt unseres hochtechnisierten Alltags und zeigen, dass Mathematik weit mehr ist als Formeln und trockene Theorie. Mathematik heißt auch Experimentieren und Erkenntnisgewinn durch Ausprobieren. Für die Entwicklung mathematischer Algorithmen ist das Experiment von zentraler Bedeutung: Berechnet ein Algorithmus das gewünschte Ergebnis? Wie schnell ist der Algorithmus? Wo sind die Grenzen des Algorithmus? Erst durch Experimente lassen sich mathematischalgorithmische Theorien bestätigen oder können neue algorithmische Ansätze gefunden werden. Im übertragenen Sinne ist das Experiment am Computer für den/die algorithmikinteressierten Mathematiker/in das gleiche wie eine experimentelle Untersuchung der/s Naturwissen- schaftler/in/s im Labor.
Zusammen mit Schüler/innen erschlossen die Mathematiker/innen des EMMA-Projekts der Universität Salzburg zwei aktuelle Forschungsthemen aus der mathematischen Algorithmik. Im Zentrum der Zusammenarbeit stand das Experimentieren am Computer, das im Projektverlauf zu einem großen Teil von den Schüler/inne/n übernommen wurde. Das Experiment erfüllte damit eine wichtige Brückenfunktion zwischen den Wissenschaftler/inne/n und Schüler/inne/n, die damit unmittelbar an aktuellen Forschungsarbeiten teilnehmen und einen wichtigen Beitrag hierzu leisten konnten. Die am Projekt beteiligten Wissenschaftler/ innen vermittelten anhand der Experimente wiederum wichtige Aspekte der mathematischen Algorithmik, so dass über das Experimentieren ein für beide Seiten gewinnbringender Austausch stattfand.
Beim ersten Forschungsthema, das der Numerik als ein Fach der angewandten Mathematik zuzuordnen ist, wurden numerische Lösungsverfahren für Variationsungleichungen, die z.B. bei mechanischen Kontaktsystemen auftreten, entwickelt und untersucht. Die Schüler/ innen waren aufgefordert, möglichst selbstständig verschiedene Lösungsalgorithmen zu implementieren, zu analysieren und miteinander bezüglich ihrer Eigenschaften, der Abhängigkeiten von verschiedenen Parametern sowie der Effizienz zu vergleichen.
Das zweite Forschungsthema war im Bereich der diskreten Mathematik angesiedelt und befasste sich mit elliptischen Kurven mit hohem Rang und Diophantischen Tupeln. Elliptische Kurven sind im Prinzip Verallgemeinerungen von Kegelschnitten, also Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln. Der Rang ist eine Maßzahl, die die Anzahl der „unendlichen Spiralen“ einer elliptischen Kurve zählt. Gemeinsam mit den Schüler/innen wurde versucht, neue Rangrekorde für elliptische Kurven aufzustellen und Kurven mit möglichst hohem Rang zu konstruieren. Dabei kamen Diophantische Tupel ins Spiel, die Ausgangspunkt dieser neuen Konstruktionen sind. Anwendungsbereiche beider Forschungsthemen sind etwa in Crash- Test-Simulationen oder in der Datenverschlüsselung zu finden.
Das Freifach Universitätsmathematik an der Partnerschule HTL Braunau sowie der Pluskurs Geheime Botschaften am Akademischen Gymnasium Salzburg stellten die theoretischen und praktischen Grundlagen rund um die Forschungsthemen bereit und gaben dem Kontakt mit den Schüler/inne/n einen konkreten Rahmen. Im Verlauf des Projekts ging der anfängliche Grundlagenunterricht zur Arbeit in kleineren Gruppen über, in denen die erforschten Algorithmen implementiert und experimentell untersucht wurden. Dabei erfolgte die Durchführung von Experimenten und Studien sowie die grafische Aufbereitung in unmittelbarer Absprache mit den beteiligten Wissenschaftler/inne/n. Die erzielten Ergebnisse wurden anschließend vorgestellt und diskutiert. Die Anfertigung von Abschluss- und Diplomarbeiten zu den Forschungsthemen des Projekts war ebenfalls eine wichtige Komponente in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Schüler/inne/n.
Neben dem Freifach Universitätsmathematik und dem Pluskurs Geheime Botschaften wurden innerhalb des EMMA-Projekts weitere Aktivitäten angeboten, die eine intensive Zusammenarbeit von Wissenschaftler/inne/n und Schüler/inne/n ermöglichten. Hierzu gehörten vor allem mehrtätige Workshops am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl und im Nesin-Mathematikdorf in Sirince, Türkei, in denen die Zusammenarbeit mit den Schüler/ innen intensiviert wurde. Zudem gab es weitere Aktivitäten wie etwa ein Programming- Day, ein Science-Day sowie die erfolgreiche Teilnahme am Science-Slam. Auch Lehramtsstudent/ inn/en mit des Faches Mathematik wurden über das im Studienplan verankerte Wahlpflichtfach Computerorientierte Anwendungen in das Projekt einbezogen.
Das EMMA-Projekt wurde von fachdidaktischer Seite begleitet, so dass neben den Forschungsthemen auch Untersuchungen zur Wirksamkeit didaktischer Prinzipien und Konzepte sowie zu Unterrichtsformen und zur Bewertung fachlicher Inhalte aus Sicht der Schule bei Fragen der mathematischen Algorithmik erfolgten. Zusammenfasssend lässt sich feststellen, dass die Möglichkeit des Experimentierens zunächst zwar eine ungewohnte Situation fur die Schüler/innen darstellte, dass die damit verbundenen positiven Erfahrungen jedoch das Bild der Schüler/innen vom Unterrichtsfach Mathematik während des EMMA-Projekts deutlich veränderten. Anstatt des sturen, „händischen“ Abarbeitens von Algorithmen (wie z.B. der Bestimmung von Extrema etc.) konnten die Schüler/innen nun selbst verschiedene Verfahren zuerst implementieren und dann anhand verschiedener Kriterien miteinander vergleichen. Die Sichtung der zur Verfügung stehenden Werkzeuge in Form von unterschiedlichen Verfahren sowie die Auswertung der Experimente anhand von unterschiedlichen Kriterien wie Effizienz, Genauigkeit und Stabilität waren neue Erfahrungen für die Schüler/innen und förderten eine kritische Auseinandersetzung mit den gegebenen Eigenschaften der Aufgabenstellungen und den Rückgabedaten in Form von z.B. Rechenzeit und Güte der Lösung.
Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die weitere Planung und Durchführung des Freifachs Universitätsmathematik und mathematik-orientierter Pluskurse sowie in die Inhalte und Methoden der fachdidaktischen Module der neuen Lehrer/innen/ausbildung in den Unterrichtsfächern Mathematik, Informatik und Informatikmanagement unmittelbar ein. Ziel ist auch die Erstellung eines Leitfadens für die Einbindung von mathematischen Algorithmen in den Schulunterricht.