Nora Grundtner

Fachbereich Germanistik
Hauptbetreuer Univ. Prof. Dr. Manfred Kern
Nebenbetreuerin Dr. Martina Feichtenschlager
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Thema der Dissertation Tierische Häute – Menschliche Träger. Mensch-Tier-Analogien über die materielle Sachkultur in der mittelhochdeutschen Literatur.
AbstractTierhäute in Form von Fellen und Pelzen können in der höfischen Literatur des deutschsprachigen Mittelalters einen prominenten Platz einnehmen. Mäntel mit Pelzverbrämung werden als Geschenke überreicht, Pelz gefütterte Decken wärmen die Akteur*innen und selbst auf Schilden sind Pelzornamente angebracht. Inwiefern kann die Nähe des tierischen Materials zum menschlichen Körper als eine Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier gelesen werden? Die dem Tier zugesprochenen Eigenschaften können auf den Träger/ die Trägerin übertragen werden, so etwa, wenn das Fell eines wilden Tieres als Zeichen von Stärke angelegt wird. Bei kostbaren Pelzen hingegen lässt sich eine umfassendere tierische Attribuierung nachvollziehen, was sich im Spiel zwischen Tierfell und Menschenhaut zeigt. Eine schöne Dame strampelt im Schlaf ihre Pelzdecke ab, sodass der dunkelbraune Zobelpelz sie nur noch von der Hüfte abwärts bedeckt. Der Pelz deckt zu, gleichzeitig gibt dieser durch die Nähe des Materials von Haut und Pelz eine Vorstellung, was sich unter der Decke verbirgt; der Pelz auf der nackten Haut kann so ver- und enthüllen zugleich. In der Dissertation werden ausgehend vom Oeuvre Wolframs von Eschenbach tierische Materialien im Text untersucht und in einen größeren kulturgeschichtlichen und -wissenschaftlichen Kontext eingebunden. Denn der Mensch-Tier-Diskurs über das Anlegen tierischer Häute ist – so könnte man argumentieren – bereits in der Genesis vorgezeichnet. Die ersten Kleidungsstücke, die Adam und Eva von Gott erhalten, sind aus Tierhäuten gefertigt. Das Tragen von Tiermaterialien ist Folge des Sündenfalls und geht mit der Schlachtung und der Verarbeitung von Lebewesen einher. Der Auslöser des Brudermords – Kain erschlägt Abel – ist eine tierische Opfergabe. Der erste Betrug – Jakob ahmt seinen behaarten Bruder Esau nach, indem er Ziegenfelle um seine Hände wickelt – erfolgt mithilfe eines Tieres. In der Darstellung Jakobs und Esaus wird die grundsätzliche Diskussion von Natur und Kultur bereits zum Ausdruck gebracht. Auch Tierhäute sind als natürliche tierische Produkte, die durch kultivierte Verfahren haltbar gemacht werden, Grenzgänger zwischen Natur und Kultur. Der fließende Übergang zwischen Tier und Mensch wird, so die Forschungsthese, in der mittelhochdeutschen Literatur auf mehreren Ebenen angedeutet. So besteht eine materielle Ähnlichkeit von Mensch- und Tierhaut und die mittelhochdeutschen Substantive vel und hût bezeichnen sowohl die menschliche als auch die tierische Haut. Darüber hinaus kann Pelz in der höfischen Literatur ein Zeichen von Kostbarkeit und Auserwähltsein, Nacktheit, Herkunft, Tapferkeit und erotische Anspielung zugleich sein. Diesen vielfältigen und spielerischen Einsatz des tierischen Materials in Bezug auf die menschlichen Träger und Trägerinnen im Text herauszuarbeiten, ist Thema meines Dissertationsprojekts.