Matthias Kotyrba

„Die Bedeutung der Lehrerkooperation für die Unterrichtsplanung unter den Bedingungen von Digitalität– eine empirisch rekonstruktive Analyse kollektiver Orientierungen von Lehrkräften an ausgewählten Schulen in Österreich und Deutschland.“

Die Digitalisierung wird derzeit als einer der wichtigsten Wandlungstreiber in allen gesellschaftlichen Bereichen (Schellinger J., Tokarski K., Kissling-Näf I. 2019) bezeichnet und führt zu Veränderungen von Arbeitsinhalten und -formen (Bertschek und et. al 2020) auch in den Schulsystemen der Länder. Vorgänge, die durch die 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie zusätzlich an Fahrt gewonnen haben. Dadurch stehen die Schulen in Deutschland und Österreich gegenwärtig vor zwei großen Herausforderungen: die Digitalisierung und die CoronaPandemie zu meistern. Beides greift zum einen in fundamentaler Weise in das Selbstverständnis von Schule ein und wirkt sich zum anderen nachhaltig auf die zukünftigen technisch-technologischen, fachlich inhaltlichen und sozialen Veränderungen an den Schulen und im Unterrichtsprozess aus. 

Entsprechende Bildungsreformen in beiden Ländern (z. B. Deutschland 2010, Österreich 2017), wie die Einführung von neuen bzw. überarbeiteten Lehrplänen und die Vorgabe von Bildungsstandards mit einer kompetenzentwickelnden Orientierung und als eine Antwort auf die Corona-Pandemie, die Forderung nach einer verstärkten Nutzung digitaler Medien im gesamten Unterrichtsprozess, sollen dazu beitragen, den pädagogischen Auftrag der Schule zu präzisieren, den gesamten Unterrichtsprozess so gestalten zu können, um die zentralen Lernziele und Kompetenzen bei den Lernenden zu erreichen und eine Unterrichtstätigkeit auch unter „krisenhaften“ Schulsituationen zu garantieren.

Das stellt an das professionelle Handeln von Lehrkräften bei der Planung von Unterricht in den Schulen erhöhte, z. T. neue Anforderungen mit der Konsequenz, dass sich die Lehrkräfte möglicherweise aus traditionellen Rollen und habituellen Orientierungen verabschieden müss(t)en, wie z. B. das „eigene“ Unterrichtsfach bzw. Lernfeld als Abgrenzung zu anderen Fächern zu betrachten; das Vorherrschen einer zeit- und ortsgebundenen, analogen Kommunikation mit anderen Lehrkräften in der eigenen Planungstätigkeit zu überdenken oder die alleinige (solitäre) Zuständigkeit für die Planung von Unterrichtseinheiten aufzugeben. 

Hohe Erwartungen in Bezug auf die Bewältigung dieser Anforderungen gehen dabei von der Lehrerkooperation aus. Studien belegen, dass Lehrkräfte einer Zusammenarbeit in der Schule und im Unterricht grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Eigene Erfahrungen und bisherige empirische Studien zum kollektiven Verhalten von Lehrkräften in der Schule zeigen allerdings, dass Kooperation zwischen Lehrkräften praktisch noch zu selten stattfindet. 

Untersuchungen von Lehrerkooperationsprozessen, die sich diesem offensichtlichen Widerspruch zuwenden, sind zwar vorhanden, allerdings keine, die primär die Bedeutung des Kollektiven bzw. Konjunktiven in der sozialen Praxis von Lehrerkooperation im Hinblick auf erwartbare Handlungspraxen der Lehrkräfte für eine interdisziplinäre, fächer- bzw. lernfeldübergreifende Unterrichtsplanung in den Mittelpunkt stellen und dabei auch kollektive Vorstellungen (Bohnsack 2008) bei der Unterrichtsplanung in „krisenhaften“ schulischen Ausnahmesituationen (hier: unter den Bedingungen der Corona-Pandemie) in das Blickfeld nehmen. Deshalb wird mit dieser Arbeit der Versuch unternommen, die Bedeutung von Lehrerkooperation bei der Planung von Unterrichtseinheiten näher zu beleuchten. Dazu fokussiert das Dissertationsprojekt auf kollektiv-implizite Wissens- und Erfahrungsvorräte von Lehrkräften, welche im sozialen Prozess der Zusammenarbeit der Lehrkräfte in der Schule und der Unterrichtsplanung (re)produziert werden, sich in kollektiven Orientierungen zeigen, der Handlungspraxis bei der Unterrichtsplanung zu Grunde liegen und sie leiten und einen Einfluss auf die individuelle Planungskompetenz der Lehrkräfte ausüben könn(t)en. Wenn das Erlernen von implizitem Wissen und Erfahrungen der Lehrkräfte durch soziale (kollegiale) Praxis gedacht wird, lohnt die Betrachtung einer sozialen Gruppe von Lehrkräften (hier: von Teilen des Kollegiums einer Schule bei Unterrichtsplanung) als eine Community of Practice (CoP). Das Modell der CoP ist im Kontext der Lehrkräftekooperationsforschung ein normatives Konzept, welches als Best Practice gilt und hier aber als heuristisch-deskriptives Modell für die Untersuchung der sozialen Praxis von Lehrkräfteteams bei der Unterrichtsplanung verwendet wird.

Datengrundlage im empirischen Teil der Arbeit bildet eine kleine Stichprobe (acht Gruppendiskussionen mit je fünf bis sechs Lehrkräften im Handlungsfeld „Unterrichtsplanung“ an je zwei Schulen in Deutschland und Österreich in der SEK II). Das transkribierte Audio-Material wird nach drei Fragestellungen analysiert: 1) Welche kollektiven Orientierungen von Lehrkräften lassen sich in der sozialen Praxis einer kollegialen Unterrichtsplanung von Unterrichtseinheiten rekonstruieren? 2) Welchen Einfluss üben diese Orientierungen auf eine erwartbare interdisziplinäre, überfachliche, kooperativ-digitale Handlungspraxis bei der Unterrichtsplanung aus? und 3) Könn(t)en diese kollektiv-impliziten Orientierungen eine Gelingensbedingung für eine digital-kooperative Unterrichtsplanung unter schulischen Ausnahmesituationen darstellen?

Die Verwendung des Forschungsansatzes der praxeologischen Wissenssoziologie (Bohnsack 2017), die im Wesentlichen auf Mannheim (Mannheim und Wolff 1964) basiert und der dokumentarischen Methode nach Bohnsack (Bohnsack 2000) als Methodologie und Methode, zielt auf die Rekonstruktion von kollektiv-impliziten Orientierungen denen die Praktiken der Lehrkräfte, die an der kollektiven Planung von Unterrichtseinheiten beteiligt sind, zu Grunde liegen und leiten. Die rekonstruierten Orientierungen werden fallübergreifend zu (sinngenetischen) Lehrkräfte-Typiken zusammengefasst, um Antworten auf die Forschungsfragen geben zu können. 

Die präsentierten empirischen Belege sollen der Bildungswissenschaft als ein spezifischer Nachweis der angenommenen Bedeutung kollektiv-impliziter Orientierungen für die Förderung eines interdisziplinären, kooperativdigitalen Planungshandeln von Lehrkräften bei Unterrichtseinheiten dienen. Der Nutzen aus schulpraktischer Sicht besteht vor allem darin, dass die Studie zeigen wird, welche Logiken und Regeln jenen Praktiken zu Grunde liegen, die den kollegialen Prozess der Unterrichtsplanung bei der Umsetzung von Bildungsanforderungen im Kontext von Digitalisierung und schulischen Ausnahmesituationen konstituieren.