Alte Kämpfe – neue Medien
Reaktionen auf Sexismus im Internet – Ein psychologischer Feldversuch
Mein Mitbewohner und ich stehen in der Küche während unsere dritte Mitbewohnerin mit ihrem Handy beschäftigt ist. Mein Mitbewohner mag Fakten, also erzählt er uns ausführlich von allerlei Details über Flugzeuge. Meine Mitbewohnerin fragt ihn etwas, das er vor zwei Sekunden schon einmal erzählt hat. „Sorry, ich bin schlecht im Zuhören.“, sagt sie und zuckt die Schultern. Er antwortet: „Du kannst nicht zuhören? Aber du bist eine Frau!“. Als ich ihn darauf anspreche, dass das sexistisch war (und ich es nur allzu gerne für meinen Kurs notieren werde), ist er verwirrt. „Aber das ist doch nett! Es ist doch eine gute Eigenschaft.“, sagt er und ich schüttele den Kopf. Das wir diese Art Diskussion nicht zum ersten Mal führen, sei einmal dahingestellt. Wieso die Reaktion meines Mitbewohners sexistisch war? Nähern wir uns einer Definition.
Sexismus ist die bewusste oder unbewusste Diskriminierung von Personen aufgrund des Geschlechts, die in einer Gesellschaft einen ungleichen sozialen Status der Geschlechter herstellen oder festigen kann. Negative Vorurteile und Handlungen sind die Folge. Wir möchten hier deutlich erwähnen, dass sich Sexismus dementsprechend nicht allein gegenüber Frauen äußert. Sexistische Äußerungen und Handlungen können gegen alle Geschlechter gerichtet werden, vermehrt auch gegen queere Persone, die sich nicht in die binäre heterosexuelle Geschlechterordnung, die in unserer Gesellschaft noch immer als Norm gilt, einordnen.
Netter Versuch – ambivalenter Sexismus
Der “traditionelle” offene Sexismus der erstmals während der zweiten Welle des Feminismus in den 60-70er Jahre als solcher betitelt wurde, bezieht sich allerdings meist auf die Benachteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern. Das entspricht dem sog. Hostilen (feindseligen) Sexismus, in dem ein Geschlecht als minderwertiger angesehen und offen abgewertet wird. Dieser offenen Art des Sexismus stellen die Autoren der sog. ambivalenten Sexismustheorie (Glick & Fiske, 1996) den benevolenten (wohlwollenden) Sexismus gegenüber, der oft verdeckt bleibt.
Zu benevolenten Sexismus zählen positive konnotierte Einstellungen und Handlungen, die aber indirekt dazu dienen, patriarchale Strukturen und traditioneller Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten. So wäre es zum Beispiel eine benevolent sexistische Annahme, dass Frauen umsorgt und beschützt werden sollten. Was einerseits als “Kavalierstum” oder Ritterlichkeit verstanden werden kann, aber wiederum indirekt der Stärkung von männlichen Machtstrukturen dient. Auch die Annahme, dass Frauen Eigenschaften wie “fürsorglich”, “mitfühlend” oder wie in unserem Beispiel “gut zuhörend” verkörpern sollten zählt dazu. Vor allem dann, wenn eine Person abgewertet wird, sobald sie Eigenschaften dieses traditionellen Rollenbild nicht verkörpert.
Forscher*innen beobachten, dass der hostile Sexismus zwar weiterhin vertreten ist, allerdings über die Jahrzehnte weniger wurde. Dagegen nahm der der verdeckte benevolente Sexismus zu und begegnet uns immer wieder, so auch in unserer WG-Küche. Oft ist es dabei schwierig zu sagen, ob eine Aussage oder Handlung benevolent sexistisch ist, oder wirklich gut gemeint – also ob es eine positive Handlung gegenüber einer Person ist, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. So kann ich es einerseits gut finden, dass mein Mitbewohner äußert, dass Frauen besonders gut zuhören können, oder aber ich fühle mich angegriffen dadurch, dass er alte Vorurteile über Frauen reproduziert.
Wie man sieht, kann benevolenter Sexismus unterschiedliche, teils gegensätzliche Empfindungen auslösen. Als Studierende der Psychologie, waren wir neugierig, welche gegensätzlichen Gedanken und Gefühle hostile- und benevolent sexistische Äußerungen bei uns auslösen würden So startete die Idee für unseren Feldversuch, uns ins Kreuzfeuer sexistischer Kommentare zu begeben.
Ein (Teufels)Kreis – Sexismus anhand des Loop to loop Modells
Was passiert mit uns, wenn wir mit Sexismus konfrontiert werden? Schauen wir uns das Ganze mal aus der Perspektive des Loop-2-Loop-Modells (Jonas & Steindl, 2015) an, einem psychologischen Modell zu sozialen Interaktionen.
Unser Startpunkt ist dabei der sexistische Kommentar unseres Gegenübers. „Wieso hörst du nicht zu? Frauen sollten gut zuhören können.“ was in mir sofort eine Reaktion auslöst. Diese Reaktion besteht aus drei Komponenten. Meine erste Reaktion ist in diesem Fall eine Mischung aus Kognition und Affekt – Ich fühle mich „unwohl“ mit der Aussage. Warum ist das so? Nun, irgendwo in meinen unbewussten Motiven fühle ich mich vielleicht angegriffen oder diskriminiert. Immerhin verallgemeinert mein Gegenüber gerade einen Aspekt meiner Identität – Weiblichkeit – und stellt Annahmen darüber auf. In der Folge würde ich natürlich gerne darauf reagieren, aber ich möchte auch nicht dem Stereotyp entsprechen „die nörgelnde Feministin“ zu sein. Jetzt kann ich zwei Handlungswege gehen – etwas dazu sagen, oder es auf sich beruhen lassen. Wenn ich es auf sich beruhen lasse, fühlt er sich vielleicht in seiner Annahme bestätigt und wird sie das nächste Mal unhinterfragt wiederholen. Wenn ich etwas sage, löst das in ihm vielleicht eine ähnliche Reaktion aus. Die Diskrepanz zwischen dem Erlebten – kritisiert werden für etwas, dass er gesagt hat – und dem Selbstbild – kein Sexist zu sein – löst in ihm möglicherweise einen unangenehmen Spannungszustand aus, den er wiederum auf mehrere Arten lösen kann. Entweder er reagiert reflektiert: „Aber wieso ist das sexistisch? Erkläre es mir.“ Oder aber, er versucht die Dissonanz zu überwinden, indem er sich noch stärker selbst verteidigt und die Punkte der anderen Person invalidiert. “Wow, krass, dass du dich so angegriffen fühlst. Typisch Frau eben.”
Pest und Cholera – Sexismus und das Internet
Für unseren Feldversuch brauchten wir also sexistische soziale Interaktionen. Gar nicht mal so leicht in Zeiten von social Distancing. Also Zeit für Plan B – wir machten uns im Internet auf die Suche nach sexistischen Kommentaren. Zu unserem Glück macht die Anonymität der User*innen und die Distanz zum Gegenüber, das Internet zum idealen Setting für sexistische Äußerungen. Also schlugen wir uns durch Forenbeiträge und Kommentarspalten und sammelten unabhängig voneinander eine Reihe von benevolent und hostilen sexistischen Kommentaren. So viel schon einmal vorweg – Auch Phase 1 unseres Feldversuches war nicht schön. Zwei Fake Profile später haben wir uns gegenseitig eine Woche lang sexistische Sprüche unter die Instagram Bilder der anderen kommentiert, ohne dabei zu wissen welche Kommentare kommen würden und wann. Welche Gedanken und Gefühle das ausgelöst hat, haben wir in dem Moment des Lesens frei reflektiert und notiert.
Kommentieren, Bombadieren, Reflektieren
„Könnte man auf jeden fall knallen, keine Frage!“(benevolent sexism)
- Dieser Kommentar löst in mir eine merkwürdige Reaktion aus. Als erstes frage ich mich: Haha, wie ist das denn gemeint? Ich nehme es nicht ernst. Fast denke ich, man könnte es als Kompliment verstehen. Das gefällt mir nicht. Genau diese Einstellung veranlasst einen nämlich dazu über benevolenten Sexismus im Alltag hinwegzusehen. „Er meint es ja als Kompliment“. So ist es nicht. Aber das ist doch bestimmt das Gegenargument, das kommt, wenn ich mich darüber beschwere – oder?
„Wenn ich den hashtag feminism schon seh, immer diese double standards. Gleichberechtigung ja schön und gut aber am ende des tages wollt ihr Frauen doch besonders behandelt werden, eben weil ihr Frauen seid.“(hostile sexism)
- Ich habe mich wirklich müde gefühlt, als ich das gelesen habe. Als erstes kam mir in den Sinn… „Ja, ist klar oh man das ist die Diskussion ja echt nicht wert.“. Aber ist es das nicht? Was könnte man einer Person sagen, die so etwas schreibt, dass sie auf andere Gedanken bringen würde? Hashtag feminism will gar nicht gesehen werden aber – er wurde ja zumindest von dieser Person aktiv gesucht? Wenn ich mich nicht darüber aufrege, bleibt diese Meinung aber einfach so stehen. Wenn ich mich darüber aufrege bestätige ich quasi ihren „Punkt“. Alles, alles sehr ermüdend.
“Das einzige was Frauen können ist sich angegriffen fühlen” (hostile sexism)
- Ich merke, dass ich es nicht ernst nehmen kann. Ich stelle mir eine Konversation vor, die ich mit einer Person führe, die diesen Satz sagt und denke mir, dass ich spätestens bei diesen Worten einfach weggegangen wäre. Doch würde das nicht genau dem entsprechen, was der Angreifer mir in den Mund legt?
“Du bist ein Boss wenn du ne echte Frau erkennst und sie mit Anstand behandelst!” (benevolent)
- Ich habe kurz schmunzeln müssen, aber ein bisschen Kopfschütteln war auch mit dabei. Ich frage mich was eine “echte Frau” bedeuten soll? Frauen werden wohl nur dann wertgeschätzt, wenn sie echt sind. Diese Wertschätzung aber auch nur als Beiprodukt, zu dem eigentlichen Ziel des Kommentators sich als besonders positiv und machtvoll darzustellen. Man wird nicht als Person gesehen, sondern als Mittel zum Zweck, dass sich eine Person damit profilieren kann (aka “Boss” sein). Würde das ein Partner zu mir sagen, würde ich mich als Person nicht ernst genommen fühlen.
Fazit – Was nehmen wir mit?
Erstens war es ein Leichtes sexistische Kommentare im Internet zu finden. Das hat uns nicht überrascht, doch es hinterlässt trotzdem einen bitteren Beigeschmack. Auch wenn die Anonymität der Nutzer*innen, diese vor möglichen negativen Konsequenzen bewahrt, schützt das die Person auf der anderen Seite nicht davor, ein schlechtes Gefühl zu haben.
Schön waren die Kommentare nicht zu lesen, allerdings haben wir uns auch nicht besonders bedroht oder angegriffen gefühlt. Das lag einerseits vermutlich an den “gespielten” Rahmenbedingungen des Feldversuchs, aber vielleicht auch schlichtweg daran, dass solche Äußerungen nicht neu für uns sind. Sie werden eher als “war bestimmt nicht so gemeint” oder “passiert nun mal” wahrgenommen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses komische Gefühl der Normalität, das eigentlich Erschreckende an der Sache ist. Solche Äußerungen begegneten uns auch schon in echten sozialen Interaktionen und werden das vermutlich auch in Zukunft tun.
Trotzdem haben wir das Gefühl, dass uns das aktive Reflektieren, uns in gewisser Weise sensibilisiert hat. Hoffentlich werden wir also in Zukunft sowohl offenen als auch verdeckten Sexismus erkennen und ihn weniger tolerieren.
Quellen
- Glick, P. & Fiske, S. T. (1996). The ambivalent sexism inventory: Differentiating hostile and benevolent sexism. Journal of personality and social psychology, 70(3), 491.
- Jonas, E., & Steindl, C. (2015). Annäherung oder Vermeidung? eine motivationale Sicht auf Reformprozesse. Personal quarterly, 15(02), 10-16.