Geht’s noch? Wenn geschlechtsbezogener Humor zu weit geht

Was macht einen Witz lustig? Welche Witze gehen zu weit? Welche sind sexistisch, geschmacklos oder vielleicht sogar schädlich? In einem Selbstversuch befassen wir uns mit humorvollen Beiträgen aus verschiedenen Medien und reflektieren darüber, wann und warum es (bei uns) weh tut.
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Was ist der Unterschied zwischen einer Fliege und einer Frau? – Fliegen sind nur im Sommer lästig!
Oft entwischt einem bei Witzen wie diesem ein Lachen oder Kichern (vielleicht gepaart mit einem Augenrollen, Aufstöhnen oder Seufzen) gefolgt von einem üblen Nachgeschmack. Bin ich eine schlechte Feministin, wenn ich über solche Witze schmunzle? Sind sie harmlos oder richten sie Schaden an? Wo ist die Schmerzgrenze und sollte ich Witzen, die (für meine Begriffe) zu weit gehen, mit Konfrontation begegnen?
Wir haben geschlechtsbezogene humorvolle Beiträge gesammelt, anhand derer wir diese Fragen prüfen und diskutieren wollen.

Was macht Witze lustig?

Warum lachen wir, wenn uns jemand einen Witz erzählt? Und warum lachen wir bei schlechten Witzen nicht? Was macht einen schlechten Witz schlecht und einen guten Witz gut? Und kann man überhaupt so einfach zwischen schlechten und guten Witzen unterscheiden? Laut der “Benign Violation Theory of Humor” (McGraw & Warren, 2010) wird Humor durch drei Bedingungen erzeugt: eine Situation wird als “violation” bewertet (also als Verletzung, Bruch oder Übertretung), eine Situation wird als “benign” (als gutartig) bewertet und schließlich treten diese beiden Bewertungen gleichzeitig auf. Damit haben wir also unser Rezept für einen guten Witz. Aber von welcher Art von “violation” sprechen wir hier? Gemeint sind zum Beispiel Verletzungen von Würde, linguistischen Normen, sozialen Normen oder moralischen Normen, sprich alle Arten von Verletzungen meiner Vorstellung davon wie die Welt zu sein hat. Aber wie wir jetzt wissen, reicht eine Verletzung alleine nicht aus, um einen Witz witzig zu machen. Eine Verletzung der sozialen Norm (jemand der aus einer Bettpfanne isst) würde uns zum Beispiel eher verwirren, abstoßen oder sogar verärgern. Die Situation muss als gutartig bewertet werden. Die “Benign Violation Theory” schlägt vor, dass eine Situation als gutartig bewertet werden kann, wenn jemand sich der verletzten Norm gegenüber nur wenig verpflichtet fühlt, wenn die Verletzung psychologisch entfernt passiert oder wenn eine mir bewusste Norm zwar verletzt ist, eine andere mir bewusste Norm aber dafür spricht, dass die Verletzung akzeptabel ist (wenn sich herausstellt, dass die Bettpfanne neu und sauber ist). 
Wie ist das aber jetzt mit dem oben genannten Witz, wo eine Frau mit einer Fliege verglichen wird? Wird diese Normverletzung durch psychologische Distanz aufgehoben? Oder fühlen sich Personen, die über den Witz lachen beispielsweise der Norm Frauen als Menschen zu würdigen gegenüber wenig verpflichtet? Oder gibt es in unserer Gesellschaft eine Norm, die es akzeptabel macht, über sogenannte “Anti-Frauen-Witze” zu lachen?
Wir haben uns eine Liste von Kriterien zurechtgelegt, anhand derer wir Beiträge aus verschiedenen Medien einschätzen wollen.

Zuerst wollen wir unsere Gedanken und Gefühle, sowie erste Reaktionen (Lachen, Schmunzeln, Augenrollen?) zu dem Beitrag beobachten. Gefällt der Witz? Was daran ist lustig? Was nicht? War der Witz/ die Person, die den Witz vorträgt, uns schon vorher bekannt? Ist uns die Person sympathisch? Auf wessen Kosten geht der Witz? Ist er kränkend, beleidigend, sexisitisch? Hat der Beitrag seinen Zweck erfüllt unterhaltsam und humorvoll zu sein? Welche anderen Zwecke erfüllt er vielleicht? Regt er zum Nachdenken an? Hat der Beitrag eine Berechtigung? Sollte dieser Beitrag entfernt werden?


Schriftliche Witze – wie ist das jetzt gemeint?

Was ist der Unterschied zwischen einer Frau und einem Swimming-Pool? – Keiner! Teuer in der Anschaffung, teuer im Unterhalt, und man ist selten drin.
Warum können Frauen nicht hübsch und gleichzeitig intelligent sein? – Dann wären sie ja Männer!

Diese Witze stammen von der Website “witze.at” aus der Kategorie “anti-frauen-witze”, deren Existenz allein schon Stoff zur Diskussion liefert. Schriftliche Witze heben sich dadurch hervor, dass sie keinen Kontext liefern. Es gibt keine Person die den Witz erzählt, keine verbalen cues anhand derer wir uns überlegen können wie das jetzt bitte gemeint war.
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Bei den schriftlichen Witzen fehlen also fast alle Kontextinformationen. Wer macht den Witz? Wie und in welchem Zusammenhang wird er erzählt? Wer lacht darüber? Bei uns hat das häufig bewirkt, dass wir härter über die Witze urteilen, als über Live-Auftritte von Comedians. Einen schriftlichen Witz, der uns nicht gefällt, stufen wir also deutlich schlechter ein als ein Video mit Witzen, die uns ebenfalls nicht gefallen.
Die beiden oben genannten Witze sind für uns als geschmacklos und schädlich einzustufen. Wenn eine humorvolle Reaktion bei uns ausgelöst wurde, dann war es meistens eher ein zynisches Lachen. “Anti-Frauen-Witze” helfen dabei eine Norm zu festigen, die es ok und lustig macht, Frauen mit Tieren und Objekten zu vergleichen und sie als dumm oder schlechter als Männer zu bezeichnen. Wenn man sich diese Norm wegdenkt und somit den Faktor wegnimmt, der die Situation laut der “Benign Violation Theory” harmlos macht, bleibt nicht viel übrig, über das wir lachen können.


Comedians – Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer?

In einem ihrer Comedy-Auftritte spricht die kanadische Komödiantin Mae Martin darüber, dass sie seit kurzem neben Frauen auch Männer datet und meint, es wäre ein komischer Zeitpunkt damit zu beginnen, wenn man sich die Nachrichten anschaut: “turns out they’re all pretty much disgusting”. Dann erklärt sie weiter, wegen ihres Aussehens würde ihr niemand glauben sie hätte überhaupt Interesse an Männern,  “my whole life I’ve been told I look gay”. Der Beitrag hat uns zum Lachen gebracht, was sich auch ok anfühlt. Wenn man sich überlegt, ob es ok ist alle Männer als “pretty much disgusting” zu bezeichnen, fällt es uns schon schwerer zu einer Antwort zu kommen. Weil Mae Martin uns sympathisch ist, fangen wir an, ihren Kommentar gut zu reden. “Sie meint ja nicht alle Männer”, “Sie spielt damit auf Trump und co. an und die sind eben echt ekelhaft”, aber wenn der Kommentar umgekehrt wäre und alle Frauen als ekelhaft bezeichnet werden würden, was dann? Könnte sich ein Mann von Mae Martins Witz potenziell beleidigt fühlen? Wir kommen zu dem Schluss, dass in diesem Fall Kontext entscheidend ist: Mae Martin ist sympathisch, witzig, queer, auf der Bühne wirkt sie freundlich und zugänglich, harmlos. Kontext macht uns klar, dass Maes ironischer Kommentar sie zu keiner Männerhasserin macht. Ihr Witz über ihr Aussehen, das anderen zufolge “gay” wäre, regt uns zum Nachdenken an. Die Komödiantin spielt damit auf ihr androgynes Aussehen an und wir erwischen uns dabei zu denken, dass sie wirklich lesbisch aussieht. Oder eher, dass sie so aussieht, wie man sich lesbische Frauen typischerweise vorstellt. Mae konfrontiert uns mit unserem eigenen Denken, bringt uns dazu, mit ihr gemeinsam über ihre Bekannten zu lachen, die sie unüberlegterweise abstempeln.  –> Clip
Eine andere Komödiantin, Sarah Millican spricht während einem Auftritt über das Tabu der Menstruation und darüber, dass es sie störe, wenn diese in offiziellen Dokumenten “women’s problems” genannt wird. Wenn die Wörter “Periode” und “Menstruation” als so anstößig wahrgenommen werden, dann würde sie diese in Zukunft umgehen und sagen “I’m clotting” (zu deutsch etwa: Klumpen bilden) oder “I’m making jam”. Das Gelächter des Publikums kommentiert sie mit: “See, the word period isn’t so bad now, is it?”. Mit ihrem Beitrag liefert uns Sarah Millican ein gutes Beispiel für feministischen Humor. Sie bringt uns zum Lachen, ihre Witze gehen nicht auf Kosten von anderen, sind nicht schädlich, aber regen uns zum Nachdenken und vielleicht sogar zum Umdenken im Hinblick auf das Tabu um Perioden an. Ihr Witz setzt also niemanden herab, sondern bestärkt Frauen.  –> Clip
Ingo Appelt auf der anderen Seite sagt über Frauen: “Denen kannst du das halbe Hirn wegpusten, die können immer noch weiter sabbeln.” Er vergleicht Frauen mit Fledermäusen, denn “wenn man einer Frau nicht antwortet, fliegt die gegen den Baum.” Wir empfinden diese Witze als beleidigend und nicht lustig. Sie rufen sogar ein leichtes Ekelgefühl hervor. Mit der frei erfundenen, pseudowissenschaftlichen Behauptung, Frauen hätten fünf Kommunikationszentren im Gehirn und Männer kein einziges, gibt er dann auch noch vor, seine Witze über die vermeintlich so großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern würden auf biologischen Fakten, nicht auf Meinungen, basieren. Er erzählt seinem Publikum dann, nur Männer würden stottern (Anmerkung: das stimmt natürlich nicht), und behauptet über Männer: “Kommunikation ist für uns gleichzeitig Sex. Das ist für uns dasselbe. Wenn eine Frau uns anspricht, dann denken wir uns gleichzeitig, die will doch, oder?” Damit reproduziert er das gefährliche Stereotyp von Männern as sexuellen Aggressoren. Männer können demnach einfach nicht erkennen, wann eine Frau eben nicht “will”. Das ist von ihnen ja nicht böse gemeint, aber männliche Gehirne sind nun mal einfach so. Damit stellt Ingo Appelt Männer als (zumindest in sozialen Situationen) dumm dar. Seine Aussage impliziert aber auch, dass Frauen immer auf der Hut vor Männern sein sollten. Die könnten nämlich – nach dem Motto “die will doch, oder?” jede Form der verbalen Kommunikation zum Anlass für sexuelle Annäherungen nehmen. Wir fanden den Beitrag sehr problematisch. Er ist Männern und Frauen gegenüber beleidigend. Mit seinen Aussagen stellt Ingo Appelt geschlechtsbezogene Stereotype nicht infrage, sondern reproduziert sie stumpf.  –> Clip
Die Kabarettisten Michael Niavarani und Viktor Gernot sprechen in ihrem Programm “Gefühlsecht” über Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Sie beschweren sich über den Faible von Frauen für “kleine, unnötige Sachen” und “Pipifax”, wie Duftlampen und Windspiele. Was uns an diesen Witzen ärgert, ist dass (wie es bei geschlechtsbezogenem Humor häufig der Fall ist) alle Frauen in einen Topf geworfen und als dümmliche Wesen dargestellt werden, die sich nur für “Pipifax” interessieren. Wir finden diese Art von Humor aus verschiedenen Gründen schädlich: sie erzeugt eine künstliche Trennung zwischen Männern und Frauen, eine Front auf der man sich gegenübersteht und sich gegenseitig erklärt “ihr seid so und wir sind so”. Diese Art von Denken lässt keinen Spielraum für Persönlichkeiten und Vorlieben abseits von Genderstereotypen.  –> Clip

Entspann dich, Süße, ist doch nur ein Witz!

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Oft erwischt man sich dabei, dass man bei Witzen, die über die persönliche Schmerzensgrenze gehen, mit lacht – man will kein*e Spielverderber*in sein. Diese Tendenz zeigt sich auch in einer wissenschaftlichen Studie: Die Forschergruppe um Mallet (2016) untersuchte, wie Frauen auf sexistische Aussagen und auf sexistische Witze reagieren. Die Kernaussagen der Statements deckten sich dabei genau mit denen der Witze. Trotzdem wirkten sie auf die Teilnehmerinnen unterschiedlich. Durch die Verwendung von Humor wirkte der Sprecher weniger sexistisch auf die Frauen als durch Aussagen ohne Humor. Damit wurde auch eine Konfrontation des Sprechers für einen sexistischen Witz weniger wahrscheinlich als für eine humorfreie Aussage. Witze können also als eine Art Schutzschild für sexistische Inhalte dienen, das sie vor Konfrontation und Kritik bewahrt. Doch vielleicht besteht ja auch ein klarer Unterschied zwischen sexistischen Witzen und “echtem” Sexismus. Vielleicht gibt es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Witzen und einer sexistischen Haltung der Personen, die sie machen und die darüber lachen. Eine Studie von Eyssel und Bohner (2007) lässt anderes vermuten. Deutsche Männer bewerteten sexistische und neutrale Witze und füllten zusätzlich einen Fragebogen zu sexistischen Einstellungen aus. Tatsächlich korrelierten sexistische Einstellungen positiv mit einer besseren Bewertung der sexistischen, nicht aber der neutralen Witze. Das bedeutet, dass die Teilnehmer, die im Fragebogen eine stark sexistische Grundhaltung angaben, die sexistischen Witze signifikant lustiger fanden, als diejenigen, die keine sexistische Haltung angaben. Ein sexistischer Witz ist also nicht “nur ein Witz”, sondern eine Form von Sexismus, der wir klar entgegentreten sollten. Das ist aber manchmal ganz schön schwierig.
Auch diejenigen, die andere diskriminierende Aussagen direkt ansprechen und kritisieren würden, ignorieren sexistische Witze häufig, um nicht als Spaßbremse dazustehen. Besonders schwer fällt uns die Konfrontation der Witze in einer Gruppe. Wenn alle anderen Anwesenden scheinbar kein Problem mit dem Gesagten haben, sogar darüber lachen, verderben wir ihnen dann nicht einfach nur die gute Laune, wenn wir eine Diskussion beginnen? Wenn nur ich den Witz beleidigend finde, übertreibe ich dann nicht einfach nur? Meistens wäre es in diesen Situationen einfacher, den sexistischen Humor hinzunehmen, anstatt ihn zu konfrontieren. Dennoch ist es wichtig, es unseren Freunden offen sagen zu können, wenn wir etwas nicht okay finden. Aber wie? Die britische Youtuberin Hannah Witton schlägt drei Punkte vor, die bei der Konfrontation sexistischer Witze im Freundeskreis helfen können: die persönliche Ebene aufzeigen (Für wen ist der Witz verletzend?); respektvoll bleiben; nicht erwarten, dass sich alles von jetzt auf gleich ändert. Klingt einfach. Weil es das im Alltag nicht immer ist und derartige Konfrontationen viel Überwindung kosten, könnt ihr hier nochmal Hannah Wittons Video ansehen, in dem sie ihre drei Tipps etwas ausführlicher erklärt:  –> Clip

 Quellen

  • Eyssel, F., & Bohner, G. (2007). The rating of sexist humor under time pressure as an indicator of spontaneous sexist attitudes. Sex Roles, 57(9-10), 651–660.
  • Mallett, Robyn & Ford, Thomas & Woodzicka, Julie. (2016). What Did He Mean by that? Humor Decreases Attributions of Sexism and Confrontation of Sexist Jokes. Sex Roles, 75. doi: 10.1007/s11199-016-0605-2.
  • McGraw, A.P. & Warren, C. (2010). Benign Violations: Making Immoral Behavior Funny. Psychological Science, 21, 8. 1141-1149.